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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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unsre, für keinen Beruf weniger als für denjenigen der Minister und Abgeord¬
neten des heutigen Deutschland. In den früheren Phasen unsrer nationalen
Entwickelung konnte man sich genügen lassen, wenn man die stillen Verdienste
eines kleinen Ministers oder Landtagsdeputirten, nach dem Erlöschen des kleinen
Lichtes, in dem zartesten Rosa des Hofzeitungsstils gefärbt, der erstaunten
Mitwelt verkünden hörte; glaubte man doch selbst den besten Todten Deutsch¬
lands das Maß des Dankes voll zu machen, wenn man im verborgenen
Hinterstübchen auf den seligen Geist des Abgeschiedenen ein gutes Glas dem
eigenen Gaumen gönnte. Heutzutagehat diese Zurückhaltung aufgehört, polizeilich
erlaubt zu sein. Wirwollenvon unsernStaatsmännern, unsern hervorragenden Ab¬
geordneten nicht erst nach ihrem Tode erfahren, nicht blos wissen was sie reden
und thun, sondern auch wie sie geworden, wie sie zu der hohen Stelle unsres
Staatslebens emporgestiegen sind, an welcher wir heute sie wirken sehen, und
welchen Zielen dieses Wirken gewidmet ist. Bisher ist diesem Bedürfniß nur
fragmentarisch genügt worden. Auch die Lebensschilderungen, welche diese
Zeilen eröffnen, wollen in der bezeichneten Richtung nur anregen, ohne sich in
irgend einer Weise für erschöpfend zu halten. Dazu gebricht der Raum, nicht
selten auch die historische Vollständigkeit und Objektivität der Quellen. Nur
der eine gleiche Maßstab soll an alle die Männer gelegt werden, welche
diese Blätter aus den verschiedensten Fractionen des Reichstags, aus den Bundes¬
räthen der verschiedenen Bundesstaaten ihren Lesern vorzuführen gedenken:
wie sie ihr Leben lang sich gestellt haben zu den höchsten Aufgaben unseres
Volkes, vor allem zum einheitlichen Ausbau des deutschen Staates.

Nicht aus bloßer Willkür stellen wir an die Spitze dieser Lebensschilde¬
rungen den Namen Joseph Volk. Sein Leben ist ein treues Abbild des
schweren selbstgebahnten Entwicklungsganges unsres Volkes: aus Armuth und
Erniedrigung zu fröhlichem Gedeihen und mächtigem Einfluß; aus den Ban¬
den verkümmernder Kleinlebens zu dem freien Sonnenlicht gesammtdeutscher
Staatsgemeinschaft. Herzlich erfreut, daß der Mann, als bayrischer Schwabe und
Katholik aus eigener Kraft sich so hoch über die Vorurtheile so vieler seiner
Standes- und Glaubensgenossen zu erheben vermochte. Ganz besonders aber
gewinnt sein Streben und Wirken deshalb unsre wärmste Theilnahme, weil
er lange vor den Jahren 1866 und 1870 den Weg zeigte in das gelobte
deutsche Reich und ankämpfte für die von Roms Bannstrahlen unberührte
Glaubensfreiheit des reinen Katholizismus.

Joseph Volk ist geboren am 9. Mai 1819 in Mittelstellen, einem kleinen
Dorfe des bayrischen Schwaben, bei Augsburg. Sein Vater war damals noch
Besitzer einer der bedeutendsten Meierhöfe der Gegend, und durfte trotz seiner starken
Familie von acht Kindern hoffen, diesen eine gute Erziehung zu gewähren
und dereinst ein hübsches Vermögen zu hinterlassen. Aber so plötzlich wie die


unsre, für keinen Beruf weniger als für denjenigen der Minister und Abgeord¬
neten des heutigen Deutschland. In den früheren Phasen unsrer nationalen
Entwickelung konnte man sich genügen lassen, wenn man die stillen Verdienste
eines kleinen Ministers oder Landtagsdeputirten, nach dem Erlöschen des kleinen
Lichtes, in dem zartesten Rosa des Hofzeitungsstils gefärbt, der erstaunten
Mitwelt verkünden hörte; glaubte man doch selbst den besten Todten Deutsch¬
lands das Maß des Dankes voll zu machen, wenn man im verborgenen
Hinterstübchen auf den seligen Geist des Abgeschiedenen ein gutes Glas dem
eigenen Gaumen gönnte. Heutzutagehat diese Zurückhaltung aufgehört, polizeilich
erlaubt zu sein. Wirwollenvon unsernStaatsmännern, unsern hervorragenden Ab¬
geordneten nicht erst nach ihrem Tode erfahren, nicht blos wissen was sie reden
und thun, sondern auch wie sie geworden, wie sie zu der hohen Stelle unsres
Staatslebens emporgestiegen sind, an welcher wir heute sie wirken sehen, und
welchen Zielen dieses Wirken gewidmet ist. Bisher ist diesem Bedürfniß nur
fragmentarisch genügt worden. Auch die Lebensschilderungen, welche diese
Zeilen eröffnen, wollen in der bezeichneten Richtung nur anregen, ohne sich in
irgend einer Weise für erschöpfend zu halten. Dazu gebricht der Raum, nicht
selten auch die historische Vollständigkeit und Objektivität der Quellen. Nur
der eine gleiche Maßstab soll an alle die Männer gelegt werden, welche
diese Blätter aus den verschiedensten Fractionen des Reichstags, aus den Bundes¬
räthen der verschiedenen Bundesstaaten ihren Lesern vorzuführen gedenken:
wie sie ihr Leben lang sich gestellt haben zu den höchsten Aufgaben unseres
Volkes, vor allem zum einheitlichen Ausbau des deutschen Staates.

Nicht aus bloßer Willkür stellen wir an die Spitze dieser Lebensschilde¬
rungen den Namen Joseph Volk. Sein Leben ist ein treues Abbild des
schweren selbstgebahnten Entwicklungsganges unsres Volkes: aus Armuth und
Erniedrigung zu fröhlichem Gedeihen und mächtigem Einfluß; aus den Ban¬
den verkümmernder Kleinlebens zu dem freien Sonnenlicht gesammtdeutscher
Staatsgemeinschaft. Herzlich erfreut, daß der Mann, als bayrischer Schwabe und
Katholik aus eigener Kraft sich so hoch über die Vorurtheile so vieler seiner
Standes- und Glaubensgenossen zu erheben vermochte. Ganz besonders aber
gewinnt sein Streben und Wirken deshalb unsre wärmste Theilnahme, weil
er lange vor den Jahren 1866 und 1870 den Weg zeigte in das gelobte
deutsche Reich und ankämpfte für die von Roms Bannstrahlen unberührte
Glaubensfreiheit des reinen Katholizismus.

Joseph Volk ist geboren am 9. Mai 1819 in Mittelstellen, einem kleinen
Dorfe des bayrischen Schwaben, bei Augsburg. Sein Vater war damals noch
Besitzer einer der bedeutendsten Meierhöfe der Gegend, und durfte trotz seiner starken
Familie von acht Kindern hoffen, diesen eine gute Erziehung zu gewähren
und dereinst ein hübsches Vermögen zu hinterlassen. Aber so plötzlich wie die


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[0019] unsre, für keinen Beruf weniger als für denjenigen der Minister und Abgeord¬ neten des heutigen Deutschland. In den früheren Phasen unsrer nationalen Entwickelung konnte man sich genügen lassen, wenn man die stillen Verdienste eines kleinen Ministers oder Landtagsdeputirten, nach dem Erlöschen des kleinen Lichtes, in dem zartesten Rosa des Hofzeitungsstils gefärbt, der erstaunten Mitwelt verkünden hörte; glaubte man doch selbst den besten Todten Deutsch¬ lands das Maß des Dankes voll zu machen, wenn man im verborgenen Hinterstübchen auf den seligen Geist des Abgeschiedenen ein gutes Glas dem eigenen Gaumen gönnte. Heutzutagehat diese Zurückhaltung aufgehört, polizeilich erlaubt zu sein. Wirwollenvon unsernStaatsmännern, unsern hervorragenden Ab¬ geordneten nicht erst nach ihrem Tode erfahren, nicht blos wissen was sie reden und thun, sondern auch wie sie geworden, wie sie zu der hohen Stelle unsres Staatslebens emporgestiegen sind, an welcher wir heute sie wirken sehen, und welchen Zielen dieses Wirken gewidmet ist. Bisher ist diesem Bedürfniß nur fragmentarisch genügt worden. Auch die Lebensschilderungen, welche diese Zeilen eröffnen, wollen in der bezeichneten Richtung nur anregen, ohne sich in irgend einer Weise für erschöpfend zu halten. Dazu gebricht der Raum, nicht selten auch die historische Vollständigkeit und Objektivität der Quellen. Nur der eine gleiche Maßstab soll an alle die Männer gelegt werden, welche diese Blätter aus den verschiedensten Fractionen des Reichstags, aus den Bundes¬ räthen der verschiedenen Bundesstaaten ihren Lesern vorzuführen gedenken: wie sie ihr Leben lang sich gestellt haben zu den höchsten Aufgaben unseres Volkes, vor allem zum einheitlichen Ausbau des deutschen Staates. Nicht aus bloßer Willkür stellen wir an die Spitze dieser Lebensschilde¬ rungen den Namen Joseph Volk. Sein Leben ist ein treues Abbild des schweren selbstgebahnten Entwicklungsganges unsres Volkes: aus Armuth und Erniedrigung zu fröhlichem Gedeihen und mächtigem Einfluß; aus den Ban¬ den verkümmernder Kleinlebens zu dem freien Sonnenlicht gesammtdeutscher Staatsgemeinschaft. Herzlich erfreut, daß der Mann, als bayrischer Schwabe und Katholik aus eigener Kraft sich so hoch über die Vorurtheile so vieler seiner Standes- und Glaubensgenossen zu erheben vermochte. Ganz besonders aber gewinnt sein Streben und Wirken deshalb unsre wärmste Theilnahme, weil er lange vor den Jahren 1866 und 1870 den Weg zeigte in das gelobte deutsche Reich und ankämpfte für die von Roms Bannstrahlen unberührte Glaubensfreiheit des reinen Katholizismus. Joseph Volk ist geboren am 9. Mai 1819 in Mittelstellen, einem kleinen Dorfe des bayrischen Schwaben, bei Augsburg. Sein Vater war damals noch Besitzer einer der bedeutendsten Meierhöfe der Gegend, und durfte trotz seiner starken Familie von acht Kindern hoffen, diesen eine gute Erziehung zu gewähren und dereinst ein hübsches Vermögen zu hinterlassen. Aber so plötzlich wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/19>, abgerufen am 19.05.2024.