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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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Verbindung bringen will, wird sicher zur Ausführung gelangen. Wo bleiben
d'a die Entfernungen!


Richard Andree.


Die wichtigste Aufgabe dieser Session unseres Landtags war ohne Zweifel
die Berathung des Einführungsgesetzes zum Reichsstrafgesetzbuche.

Daß ein solches Gesetz zu Stande käme, war in gewissen Punkten gera¬
dezu eine Nothwendigkeit. Es mußten an der Gerichtsverfassung und dem
Strafverfahren Aenderungen vorgenommen werden, wenn überhaupt vom 1.
Januar an die abweichenden Sätze des Neichsstrafgesetzbuches gehandhabt
werden sollten. Insbesondere war zu bestimmen, von welchen Gerichten die
verschiedenen Arten der zum Theil ganz neu bezeichneten strafbaren Hand¬
lungen abzuurtheilen seien; sonst wäre, da nur ganz vage Analogieen die
früheren genauen Competenzbestimmungen hätten ersetzen können, vom 1. Ja-
, nuar 1872 an der widerwärtigste Befugnißstreit zwischen den Gerichten ver¬
schiedener Gattung ausgebrochen. Die Festsetzung einer großen Anzahl anderer
Punkte durch das Einführungsgesetz war ferner von unbestreitbarer Zweck¬
mäßigkeit; es wurde ein übersichtlicher Katalog aller derjenigen Strafbestim¬
mungen, welche durch das Reichsstrafrecht beseitigt sind, aufgestellt und damit
nach der unbezweifelten Zuständigkeit der Landesgesetzgebung auch diejenigen
Straffestsetzungen aufgehoben, über deren Fortbestand hätte Streit entstehen
können. Endlich erleichterte das Gesetz dem Beamten seine nicht immer leichte
Arbeit dadurch, daß es an den fortbestehenden Strafbestimmungen die durch
das Reichsrecht gebotenen Aenderungen anbrachte.

Trotzdem erklärte sich von vornherein das weltliche Haupt der katholischen
Volkspartei. Anwalt Scholz von Heidelberg, gegen das ganze Gesetz, angeblich
aus Reichstreue, weil es seinem ganzen Charakter nach ein unzulässiger Ein¬
griff in das Gebiet des Reichsrechts sei, in Wahrheit weil den Interessen
seiner Partei einige Bestimmungen nicht behagten.

Die Verhandlungen liefen, wie es bei einem derartigen speciell juristischen
Thema kaum anders sein kann, über die meisten Artikel rasch hinweg. Nur
um einige Punkte von allgemeinerem Interesse concentrirte sich ein heftigerer
Streit. Ein resultatloses Vorpostengefecht entbrannte um die Bestimmung
des Art. 4,, daß bei Nichtbekanntsein des Verfassers eines Preßerzeugnisses,
wegen des strafbaren Inhalts einer Druckschrift auch gegen den Redacteur,


Verbindung bringen will, wird sicher zur Ausführung gelangen. Wo bleiben
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Richard Andree.


Die wichtigste Aufgabe dieser Session unseres Landtags war ohne Zweifel
die Berathung des Einführungsgesetzes zum Reichsstrafgesetzbuche.

Daß ein solches Gesetz zu Stande käme, war in gewissen Punkten gera¬
dezu eine Nothwendigkeit. Es mußten an der Gerichtsverfassung und dem
Strafverfahren Aenderungen vorgenommen werden, wenn überhaupt vom 1.
Januar an die abweichenden Sätze des Neichsstrafgesetzbuches gehandhabt
werden sollten. Insbesondere war zu bestimmen, von welchen Gerichten die
verschiedenen Arten der zum Theil ganz neu bezeichneten strafbaren Hand¬
lungen abzuurtheilen seien; sonst wäre, da nur ganz vage Analogieen die
früheren genauen Competenzbestimmungen hätten ersetzen können, vom 1. Ja-
, nuar 1872 an der widerwärtigste Befugnißstreit zwischen den Gerichten ver¬
schiedener Gattung ausgebrochen. Die Festsetzung einer großen Anzahl anderer
Punkte durch das Einführungsgesetz war ferner von unbestreitbarer Zweck¬
mäßigkeit; es wurde ein übersichtlicher Katalog aller derjenigen Strafbestim¬
mungen, welche durch das Reichsstrafrecht beseitigt sind, aufgestellt und damit
nach der unbezweifelten Zuständigkeit der Landesgesetzgebung auch diejenigen
Straffestsetzungen aufgehoben, über deren Fortbestand hätte Streit entstehen
können. Endlich erleichterte das Gesetz dem Beamten seine nicht immer leichte
Arbeit dadurch, daß es an den fortbestehenden Strafbestimmungen die durch
das Reichsrecht gebotenen Aenderungen anbrachte.

Trotzdem erklärte sich von vornherein das weltliche Haupt der katholischen
Volkspartei. Anwalt Scholz von Heidelberg, gegen das ganze Gesetz, angeblich
aus Reichstreue, weil es seinem ganzen Charakter nach ein unzulässiger Ein¬
griff in das Gebiet des Reichsrechts sei, in Wahrheit weil den Interessen
seiner Partei einige Bestimmungen nicht behagten.

Die Verhandlungen liefen, wie es bei einem derartigen speciell juristischen
Thema kaum anders sein kann, über die meisten Artikel rasch hinweg. Nur
um einige Punkte von allgemeinerem Interesse concentrirte sich ein heftigerer
Streit. Ein resultatloses Vorpostengefecht entbrannte um die Bestimmung
des Art. 4,, daß bei Nichtbekanntsein des Verfassers eines Preßerzeugnisses,
wegen des strafbaren Inhalts einer Druckschrift auch gegen den Redacteur,


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[0198] Verbindung bringen will, wird sicher zur Ausführung gelangen. Wo bleiben d'a die Entfernungen! Richard Andree. Die wichtigste Aufgabe dieser Session unseres Landtags war ohne Zweifel die Berathung des Einführungsgesetzes zum Reichsstrafgesetzbuche. Daß ein solches Gesetz zu Stande käme, war in gewissen Punkten gera¬ dezu eine Nothwendigkeit. Es mußten an der Gerichtsverfassung und dem Strafverfahren Aenderungen vorgenommen werden, wenn überhaupt vom 1. Januar an die abweichenden Sätze des Neichsstrafgesetzbuches gehandhabt werden sollten. Insbesondere war zu bestimmen, von welchen Gerichten die verschiedenen Arten der zum Theil ganz neu bezeichneten strafbaren Hand¬ lungen abzuurtheilen seien; sonst wäre, da nur ganz vage Analogieen die früheren genauen Competenzbestimmungen hätten ersetzen können, vom 1. Ja- , nuar 1872 an der widerwärtigste Befugnißstreit zwischen den Gerichten ver¬ schiedener Gattung ausgebrochen. Die Festsetzung einer großen Anzahl anderer Punkte durch das Einführungsgesetz war ferner von unbestreitbarer Zweck¬ mäßigkeit; es wurde ein übersichtlicher Katalog aller derjenigen Strafbestim¬ mungen, welche durch das Reichsstrafrecht beseitigt sind, aufgestellt und damit nach der unbezweifelten Zuständigkeit der Landesgesetzgebung auch diejenigen Straffestsetzungen aufgehoben, über deren Fortbestand hätte Streit entstehen können. Endlich erleichterte das Gesetz dem Beamten seine nicht immer leichte Arbeit dadurch, daß es an den fortbestehenden Strafbestimmungen die durch das Reichsrecht gebotenen Aenderungen anbrachte. Trotzdem erklärte sich von vornherein das weltliche Haupt der katholischen Volkspartei. Anwalt Scholz von Heidelberg, gegen das ganze Gesetz, angeblich aus Reichstreue, weil es seinem ganzen Charakter nach ein unzulässiger Ein¬ griff in das Gebiet des Reichsrechts sei, in Wahrheit weil den Interessen seiner Partei einige Bestimmungen nicht behagten. Die Verhandlungen liefen, wie es bei einem derartigen speciell juristischen Thema kaum anders sein kann, über die meisten Artikel rasch hinweg. Nur um einige Punkte von allgemeinerem Interesse concentrirte sich ein heftigerer Streit. Ein resultatloses Vorpostengefecht entbrannte um die Bestimmung des Art. 4,, daß bei Nichtbekanntsein des Verfassers eines Preßerzeugnisses, wegen des strafbaren Inhalts einer Druckschrift auch gegen den Redacteur,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/198>, abgerufen am 07.05.2024.