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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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über kaum durchdringen, so sehr wir es wünschten. Vandenkindere hatte Recht,
als er seinen Landsleuten anempfahl, das Hochdeutsche anzunehmen. Darin
liegt ein Halt. Als geschlossene politische Partei sind die Vlamingen auch
nicht aufgetreten und der Unterschied zwischen liberal und klerikal trennt auch
sie. Wie anders haben es dagegen in Oestreich kleine Nationalitäten, die den
Deutschen gegenüber in ähnlicher Lage sich befinden, wie die Vlamingen
gegenüber den Franzosen, verstanden zur Geltung zu gelangen. Was Czechen
und Slovenen erreicht, kann den Vlamingen zum Vorbilde dienen. Möchten
sie deren Taktik wenigstens in einigen Beziehungen nachahmen. Wir haben
hier Gelegenheit genommen, die Vlamingen darauf hinzuweisen. Aber so lange
alles Streben sich nur um as kaat, die Sprache dreht, so lange kein großer
politischer Horizont gewonnen wird, so lange in vlamischen Bezirken noch
französische Abgeordnete gewählt werden und die Vlamingen nicht als Majo¬
rität in der Brüsseler Kammer sitzen, wird es nicht vorwärts gehen, wenig¬
stens nicht in höherem Maße, als dies bisher der Fall war. Wohl hat
Deutschlands neue Machtstellung befruchtend auch auf die Vlamingen gewirkt,
an ihnen ist es aber die Saatkörner fleißig groß zu ziehen!




Dom preußischen Landtag.

Am 13. Februar berieth das Abgeordnetenhaus in zweiter Lesung über
das Schulaufsichtsgesetz. Die conservativen Abgeordneten v. Rauchhaupt und
v. Brauchitsch hatten in der ersten Lesung dem K 2 des Gesetzes eine Fassung
geben wollen, nach welcher die Localinspection der Volksschule den Ortsgeist¬
lichen zustehen sollte, allerdings im Auftrage des Staates. Dieser Auftrag
sollte durch Beschluß der Bezirksregierung unter Bestätigung des Cultus¬
ministers zurückgezogen und an andere geeignete Personen übertragen werden
können. Man erinnert sich, daß im Gegensatz hierzu die Regierungsvorlage
die Ernennung der Local- und Kreisschulinspectoren unbedingt dem Staate über¬
wies. Der Antrag Rauchhaupt's war bei der ersten Lesung abgelehnt worden.
Jetzt nahm ihn der Antragsteller wieder auf und zwar Namens der conser¬
vativen Partei, von der er behauptete, daß sie es gewesen, welche dem Mi¬
nisterpräsidenten die Möglichkeit verschafft, während der Conflictsjahre das
Ruder zu behalten. Diese Rede veranlaßte den Fürsten Bismarck zunächst
zu der Bemerkung, daß, wenn einmal dem Staate soviel gegeben wird, wie
durch den Vorschlag Rauchhaupt, die Anhänger eines solchen Vorschlags
keinen ernsthaften Grund mehr haben können, die Regierungsvorlage nicht
anzunehmen. Ob der Staat Laien zu Schulinspectoren machen darf, nachdem
er den betreffenden Auftrag einem ungeeigneten Geistlichen entzogen, oder
gleich von Anfang, ist in der Sache dasselbe, in der Form führt die letztere
Beschränkung nur zu einem lästigen Umweg. Demnach konnte der Minister¬
präsident in'dem schließlich negativen Verhalten der Conservativen gegen die
Regierungsvorlage bei der ersten Lesung, nachdem sie ihren Antrag' nicht in
das Gesetz gebracht, nur Fractionseifersucht finden, die ihn zu der Bitte ver¬
anlaßte, doch nicht -solche Stimmungen aus Kosten der Staatsbedürfnisse Platz


über kaum durchdringen, so sehr wir es wünschten. Vandenkindere hatte Recht,
als er seinen Landsleuten anempfahl, das Hochdeutsche anzunehmen. Darin
liegt ein Halt. Als geschlossene politische Partei sind die Vlamingen auch
nicht aufgetreten und der Unterschied zwischen liberal und klerikal trennt auch
sie. Wie anders haben es dagegen in Oestreich kleine Nationalitäten, die den
Deutschen gegenüber in ähnlicher Lage sich befinden, wie die Vlamingen
gegenüber den Franzosen, verstanden zur Geltung zu gelangen. Was Czechen
und Slovenen erreicht, kann den Vlamingen zum Vorbilde dienen. Möchten
sie deren Taktik wenigstens in einigen Beziehungen nachahmen. Wir haben
hier Gelegenheit genommen, die Vlamingen darauf hinzuweisen. Aber so lange
alles Streben sich nur um as kaat, die Sprache dreht, so lange kein großer
politischer Horizont gewonnen wird, so lange in vlamischen Bezirken noch
französische Abgeordnete gewählt werden und die Vlamingen nicht als Majo¬
rität in der Brüsseler Kammer sitzen, wird es nicht vorwärts gehen, wenig¬
stens nicht in höherem Maße, als dies bisher der Fall war. Wohl hat
Deutschlands neue Machtstellung befruchtend auch auf die Vlamingen gewirkt,
an ihnen ist es aber die Saatkörner fleißig groß zu ziehen!




Dom preußischen Landtag.

Am 13. Februar berieth das Abgeordnetenhaus in zweiter Lesung über
das Schulaufsichtsgesetz. Die conservativen Abgeordneten v. Rauchhaupt und
v. Brauchitsch hatten in der ersten Lesung dem K 2 des Gesetzes eine Fassung
geben wollen, nach welcher die Localinspection der Volksschule den Ortsgeist¬
lichen zustehen sollte, allerdings im Auftrage des Staates. Dieser Auftrag
sollte durch Beschluß der Bezirksregierung unter Bestätigung des Cultus¬
ministers zurückgezogen und an andere geeignete Personen übertragen werden
können. Man erinnert sich, daß im Gegensatz hierzu die Regierungsvorlage
die Ernennung der Local- und Kreisschulinspectoren unbedingt dem Staate über¬
wies. Der Antrag Rauchhaupt's war bei der ersten Lesung abgelehnt worden.
Jetzt nahm ihn der Antragsteller wieder auf und zwar Namens der conser¬
vativen Partei, von der er behauptete, daß sie es gewesen, welche dem Mi¬
nisterpräsidenten die Möglichkeit verschafft, während der Conflictsjahre das
Ruder zu behalten. Diese Rede veranlaßte den Fürsten Bismarck zunächst
zu der Bemerkung, daß, wenn einmal dem Staate soviel gegeben wird, wie
durch den Vorschlag Rauchhaupt, die Anhänger eines solchen Vorschlags
keinen ernsthaften Grund mehr haben können, die Regierungsvorlage nicht
anzunehmen. Ob der Staat Laien zu Schulinspectoren machen darf, nachdem
er den betreffenden Auftrag einem ungeeigneten Geistlichen entzogen, oder
gleich von Anfang, ist in der Sache dasselbe, in der Form führt die letztere
Beschränkung nur zu einem lästigen Umweg. Demnach konnte der Minister¬
präsident in'dem schließlich negativen Verhalten der Conservativen gegen die
Regierungsvorlage bei der ersten Lesung, nachdem sie ihren Antrag' nicht in
das Gesetz gebracht, nur Fractionseifersucht finden, die ihn zu der Bitte ver¬
anlaßte, doch nicht -solche Stimmungen aus Kosten der Staatsbedürfnisse Platz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/371>, abgerufen am 07.05.2024.