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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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sönlicher Freiheit der nichtjcsuitischen Staatsbürger durch Gesetz auszusprechen
haben, daß die Eide, welche von Geistlichen geleistet werden, die unter jesui¬
tischer Dressur abgerichtet worden find, so lange nicht als beweiskräftig gelten
können, als sie nicht durch mindestens zwei gleichlautende einwandfreie Eide
bestätigt werden.




Für Bayern ist seit dem Beginne dieses Jahres ein folgenschwerer Wende¬
punkt eingetreten. Der Kampf zwischen den particularistischen und den na¬
tionalen Tendenzen. der Gegensatz, der zwischen deutscher und römischer Politik
besteht, ward von neuem entfesselt und in zwei entscheidenden Schlachten hat
das Recht gesiegt. Der Leser der den öffentlichen Dingen auch nur einiger¬
maßen gefolgt ist, wird wissen, was wir hierbei im Auge haben, es sind die
beiden großen Debatten über die Beschwerde des Bischofs von Augsburg und
über den sogenannten Initiativantrag. Der Fall an sich war beidemale ohne
besonderen Belang, er bedeutete wenig mehr, als die Gelegenheit, die sich
die Gegner ausersahen um ihren principiellen Widerstand zu insceniren. Aber
eben darin, in dieser Verallgemeinerung des Thema's, die sich sofort auf beiden
Seiten ergab, lag der große Werth, den diese Verhandlungen für die Klärung
der gesammten Lage hatten, dadurch wuchs das Interesse und darnach mißt
sich der Erfolg. Auf diesen Standpunkt stellen wir die folgende Darlegung.
Es könnte dem deutschen Publicum im ganzen sehr gleichgiltig sein, ob eine
Beschwerde des Bischof Dinkel begründet ist oder nicht, und ebenso ob die
staatsrechtliche Ansicht eines Hrn. Schüttinger über den Artikel 78 der Retchs-
verfassung sich in Richtigkeit verhält, allein wenn der erstere Fall sich dahin
zuspitzt, ob der bayrische Staat seine Autorität gegen eine frömmelnde Um¬
sturzpartei behaupten soll oder nicht, dann liegen die Dinge doch etwas anders.
Und wenn im zweiten Falle die Frage entschieden wird, ob die reactionären
Kammern eines Sonderstaats das Recht haben sollen, jeder Entwickelung der
nationalen Einheit ihr Veto entgegenzuwerfen, oder ob das deutsche Reich die
Gesetze seiner Wohlfahrt in sich selber trägt, so gewinnt der Antrag, der hier¬
über die Entscheidung provocirt, mehr als die Bedeutung einer ephemeren
Tagesordnung. Die Frage, die in Bayern entschieden ward, ist für das ge"
sammle Reich entschieden worden, denn der Feind ward damit in der festesten
Position, die er überhaupt besaß, geschlagen, und das Präjudiz wird ver¬
nichtend wirken, wenn die gleiche Frage wo immer erneuert wird.


sönlicher Freiheit der nichtjcsuitischen Staatsbürger durch Gesetz auszusprechen
haben, daß die Eide, welche von Geistlichen geleistet werden, die unter jesui¬
tischer Dressur abgerichtet worden find, so lange nicht als beweiskräftig gelten
können, als sie nicht durch mindestens zwei gleichlautende einwandfreie Eide
bestätigt werden.




Für Bayern ist seit dem Beginne dieses Jahres ein folgenschwerer Wende¬
punkt eingetreten. Der Kampf zwischen den particularistischen und den na¬
tionalen Tendenzen. der Gegensatz, der zwischen deutscher und römischer Politik
besteht, ward von neuem entfesselt und in zwei entscheidenden Schlachten hat
das Recht gesiegt. Der Leser der den öffentlichen Dingen auch nur einiger¬
maßen gefolgt ist, wird wissen, was wir hierbei im Auge haben, es sind die
beiden großen Debatten über die Beschwerde des Bischofs von Augsburg und
über den sogenannten Initiativantrag. Der Fall an sich war beidemale ohne
besonderen Belang, er bedeutete wenig mehr, als die Gelegenheit, die sich
die Gegner ausersahen um ihren principiellen Widerstand zu insceniren. Aber
eben darin, in dieser Verallgemeinerung des Thema's, die sich sofort auf beiden
Seiten ergab, lag der große Werth, den diese Verhandlungen für die Klärung
der gesammten Lage hatten, dadurch wuchs das Interesse und darnach mißt
sich der Erfolg. Auf diesen Standpunkt stellen wir die folgende Darlegung.
Es könnte dem deutschen Publicum im ganzen sehr gleichgiltig sein, ob eine
Beschwerde des Bischof Dinkel begründet ist oder nicht, und ebenso ob die
staatsrechtliche Ansicht eines Hrn. Schüttinger über den Artikel 78 der Retchs-
verfassung sich in Richtigkeit verhält, allein wenn der erstere Fall sich dahin
zuspitzt, ob der bayrische Staat seine Autorität gegen eine frömmelnde Um¬
sturzpartei behaupten soll oder nicht, dann liegen die Dinge doch etwas anders.
Und wenn im zweiten Falle die Frage entschieden wird, ob die reactionären
Kammern eines Sonderstaats das Recht haben sollen, jeder Entwickelung der
nationalen Einheit ihr Veto entgegenzuwerfen, oder ob das deutsche Reich die
Gesetze seiner Wohlfahrt in sich selber trägt, so gewinnt der Antrag, der hier¬
über die Entscheidung provocirt, mehr als die Bedeutung einer ephemeren
Tagesordnung. Die Frage, die in Bayern entschieden ward, ist für das ge»
sammle Reich entschieden worden, denn der Feind ward damit in der festesten
Position, die er überhaupt besaß, geschlagen, und das Präjudiz wird ver¬
nichtend wirken, wenn die gleiche Frage wo immer erneuert wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/438>, abgerufen am 07.05.2024.