Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

regt unser Vorschlag die öffentliche Discussion an, für welche es kaum ein
wichtigeres weittragenderes Thema geben könnte, als das vorliegende. Nur
zu diesem Zwecke find die vorstehenden Zeilen geschrieben. --




Schwäbische Auffände.

Fortschritte der Mtramontanen. -- Der Abgang des preußischen Gesandten
Herrn von Rosenberg. -- Schwäbische Eisenbahnnöthe.

Man unterschätzt bei uns und im Reiche die Wirkungen jener heimlichen
Agitation nicht, welche dermalen unter dem gleißnerischen Gewände der Reichs¬
treue von den abhängigen Kreisen im Beamtenthum betrieben wird. Dem
gemeinen Mann, welcher die Rechtsquellen nicht kennt, die Reichsgesetze und
die Einführungsgesetze nicht zu unterscheiden weiß, wird unter der Hand alles,
was ihn unangenehm berührt, als vom Reiche kommend, jede populäre Ma߬
regel als von Stuttgart herrührend dargestellt. Sogar bei der Wiederauf¬
frischung einer Reihe ganz veralteter kirchenpolizeilicher Vorschriften über die
Sonntagsheiligung, welche von unseren Schwarzen neuerdings wesentlich geschärft
wurden, mußte der Kaiser die Schuld tragen, der nach der Aeußerung unserer
Oberamtmänner "ein gar frommer alter Herr" sei. Demokraten und Ultra¬
montane wirken in dieser Beziehung mit den Offieiösen getreulich zusammen,
um den Haß gegen den Norden von Neuem zu schüren. Es ist daher auch
sehr erklärlich, daß die "Germania" die württembergische Regierung allen an
deren deutschen Staaten als Muster hingestellt hat. Ist es doch eine That¬
sache, daß für Würtemberg der Kanzelparagraph wie das Jesuiten-Gesetz that¬
sächlich gar nicht existirt: marianische und andere dem Jesuitenorden verwandte
Kongregationen blühen hier üppig fort. Während im Norden die Rechte
des Staats gegenüber der. Kirche sicher gestellt werden, sucht man neuerdings
bei uns das Gebiet des Staats und der Kirche immer mehr zu vermischen,
und den Staat der Kirche zu unterwerfen, aus kläglicher Angst vor einem
Conflict, dem man bei aller Nachgiebigkeit für die Dauer doch nicht entgehen
kann. Von einer Lösung der zahlreichen rechtlichen Conflicte in Ehesachen ist
gar keine Rede. Weder der Minister des Cultus noch der Justiz lieben es,
an solchen Fragen sich die Finger zu verbrennen; ja der letztere hat in einer
bisher in Württemberg noch nicht dagewesenen Weise die Staatsgewalt, speciell
das Richteramt, der katholischen Kirche unterworfen. Unser Landesbischof
Hefele, dessen Jurisdiction seit dem württembergischen Kirchengesetz in Ehe¬
sachen von Katholiken eine ganz unbeschränkte ist, erklärt neuerdings, Ehen
welche nach der Staatsgesetzgebung giltig sind, für Bigamie; der württembergische


regt unser Vorschlag die öffentliche Discussion an, für welche es kaum ein
wichtigeres weittragenderes Thema geben könnte, als das vorliegende. Nur
zu diesem Zwecke find die vorstehenden Zeilen geschrieben. —




Schwäbische Auffände.

Fortschritte der Mtramontanen. — Der Abgang des preußischen Gesandten
Herrn von Rosenberg. — Schwäbische Eisenbahnnöthe.

Man unterschätzt bei uns und im Reiche die Wirkungen jener heimlichen
Agitation nicht, welche dermalen unter dem gleißnerischen Gewände der Reichs¬
treue von den abhängigen Kreisen im Beamtenthum betrieben wird. Dem
gemeinen Mann, welcher die Rechtsquellen nicht kennt, die Reichsgesetze und
die Einführungsgesetze nicht zu unterscheiden weiß, wird unter der Hand alles,
was ihn unangenehm berührt, als vom Reiche kommend, jede populäre Ma߬
regel als von Stuttgart herrührend dargestellt. Sogar bei der Wiederauf¬
frischung einer Reihe ganz veralteter kirchenpolizeilicher Vorschriften über die
Sonntagsheiligung, welche von unseren Schwarzen neuerdings wesentlich geschärft
wurden, mußte der Kaiser die Schuld tragen, der nach der Aeußerung unserer
Oberamtmänner „ein gar frommer alter Herr" sei. Demokraten und Ultra¬
montane wirken in dieser Beziehung mit den Offieiösen getreulich zusammen,
um den Haß gegen den Norden von Neuem zu schüren. Es ist daher auch
sehr erklärlich, daß die „Germania" die württembergische Regierung allen an
deren deutschen Staaten als Muster hingestellt hat. Ist es doch eine That¬
sache, daß für Würtemberg der Kanzelparagraph wie das Jesuiten-Gesetz that¬
sächlich gar nicht existirt: marianische und andere dem Jesuitenorden verwandte
Kongregationen blühen hier üppig fort. Während im Norden die Rechte
des Staats gegenüber der. Kirche sicher gestellt werden, sucht man neuerdings
bei uns das Gebiet des Staats und der Kirche immer mehr zu vermischen,
und den Staat der Kirche zu unterwerfen, aus kläglicher Angst vor einem
Conflict, dem man bei aller Nachgiebigkeit für die Dauer doch nicht entgehen
kann. Von einer Lösung der zahlreichen rechtlichen Conflicte in Ehesachen ist
gar keine Rede. Weder der Minister des Cultus noch der Justiz lieben es,
an solchen Fragen sich die Finger zu verbrennen; ja der letztere hat in einer
bisher in Württemberg noch nicht dagewesenen Weise die Staatsgewalt, speciell
das Richteramt, der katholischen Kirche unterworfen. Unser Landesbischof
Hefele, dessen Jurisdiction seit dem württembergischen Kirchengesetz in Ehe¬
sachen von Katholiken eine ganz unbeschränkte ist, erklärt neuerdings, Ehen
welche nach der Staatsgesetzgebung giltig sind, für Bigamie; der württembergische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129226"/>
          <p xml:id="ID_749" prev="#ID_748"> regt unser Vorschlag die öffentliche Discussion an, für welche es kaum ein<lb/>
wichtigeres weittragenderes Thema geben könnte, als das vorliegende. Nur<lb/>
zu diesem Zwecke find die vorstehenden Zeilen geschrieben. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Schwäbische Auffände.</head><lb/>
          <note type="argument"> Fortschritte der Mtramontanen. &#x2014; Der Abgang des preußischen Gesandten<lb/>
Herrn von Rosenberg. &#x2014; Schwäbische Eisenbahnnöthe.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_750" next="#ID_751"> Man unterschätzt bei uns und im Reiche die Wirkungen jener heimlichen<lb/>
Agitation nicht, welche dermalen unter dem gleißnerischen Gewände der Reichs¬<lb/>
treue von den abhängigen Kreisen im Beamtenthum betrieben wird. Dem<lb/>
gemeinen Mann, welcher die Rechtsquellen nicht kennt, die Reichsgesetze und<lb/>
die Einführungsgesetze nicht zu unterscheiden weiß, wird unter der Hand alles,<lb/>
was ihn unangenehm berührt, als vom Reiche kommend, jede populäre Ma߬<lb/>
regel als von Stuttgart herrührend dargestellt. Sogar bei der Wiederauf¬<lb/>
frischung einer Reihe ganz veralteter kirchenpolizeilicher Vorschriften über die<lb/>
Sonntagsheiligung, welche von unseren Schwarzen neuerdings wesentlich geschärft<lb/>
wurden, mußte der Kaiser die Schuld tragen, der nach der Aeußerung unserer<lb/>
Oberamtmänner &#x201E;ein gar frommer alter Herr" sei. Demokraten und Ultra¬<lb/>
montane wirken in dieser Beziehung mit den Offieiösen getreulich zusammen,<lb/>
um den Haß gegen den Norden von Neuem zu schüren. Es ist daher auch<lb/>
sehr erklärlich, daß die &#x201E;Germania" die württembergische Regierung allen an<lb/>
deren deutschen Staaten als Muster hingestellt hat. Ist es doch eine That¬<lb/>
sache, daß für Würtemberg der Kanzelparagraph wie das Jesuiten-Gesetz that¬<lb/>
sächlich gar nicht existirt: marianische und andere dem Jesuitenorden verwandte<lb/>
Kongregationen blühen hier üppig fort. Während im Norden die Rechte<lb/>
des Staats gegenüber der. Kirche sicher gestellt werden, sucht man neuerdings<lb/>
bei uns das Gebiet des Staats und der Kirche immer mehr zu vermischen,<lb/>
und den Staat der Kirche zu unterwerfen, aus kläglicher Angst vor einem<lb/>
Conflict, dem man bei aller Nachgiebigkeit für die Dauer doch nicht entgehen<lb/>
kann. Von einer Lösung der zahlreichen rechtlichen Conflicte in Ehesachen ist<lb/>
gar keine Rede. Weder der Minister des Cultus noch der Justiz lieben es,<lb/>
an solchen Fragen sich die Finger zu verbrennen; ja der letztere hat in einer<lb/>
bisher in Württemberg noch nicht dagewesenen Weise die Staatsgewalt, speciell<lb/>
das Richteramt, der katholischen Kirche unterworfen. Unser Landesbischof<lb/>
Hefele, dessen Jurisdiction seit dem württembergischen Kirchengesetz in Ehe¬<lb/>
sachen von Katholiken eine ganz unbeschränkte ist, erklärt neuerdings, Ehen<lb/>
welche nach der Staatsgesetzgebung giltig sind, für Bigamie; der württembergische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] regt unser Vorschlag die öffentliche Discussion an, für welche es kaum ein wichtigeres weittragenderes Thema geben könnte, als das vorliegende. Nur zu diesem Zwecke find die vorstehenden Zeilen geschrieben. — Schwäbische Auffände. Fortschritte der Mtramontanen. — Der Abgang des preußischen Gesandten Herrn von Rosenberg. — Schwäbische Eisenbahnnöthe. Man unterschätzt bei uns und im Reiche die Wirkungen jener heimlichen Agitation nicht, welche dermalen unter dem gleißnerischen Gewände der Reichs¬ treue von den abhängigen Kreisen im Beamtenthum betrieben wird. Dem gemeinen Mann, welcher die Rechtsquellen nicht kennt, die Reichsgesetze und die Einführungsgesetze nicht zu unterscheiden weiß, wird unter der Hand alles, was ihn unangenehm berührt, als vom Reiche kommend, jede populäre Ma߬ regel als von Stuttgart herrührend dargestellt. Sogar bei der Wiederauf¬ frischung einer Reihe ganz veralteter kirchenpolizeilicher Vorschriften über die Sonntagsheiligung, welche von unseren Schwarzen neuerdings wesentlich geschärft wurden, mußte der Kaiser die Schuld tragen, der nach der Aeußerung unserer Oberamtmänner „ein gar frommer alter Herr" sei. Demokraten und Ultra¬ montane wirken in dieser Beziehung mit den Offieiösen getreulich zusammen, um den Haß gegen den Norden von Neuem zu schüren. Es ist daher auch sehr erklärlich, daß die „Germania" die württembergische Regierung allen an deren deutschen Staaten als Muster hingestellt hat. Ist es doch eine That¬ sache, daß für Würtemberg der Kanzelparagraph wie das Jesuiten-Gesetz that¬ sächlich gar nicht existirt: marianische und andere dem Jesuitenorden verwandte Kongregationen blühen hier üppig fort. Während im Norden die Rechte des Staats gegenüber der. Kirche sicher gestellt werden, sucht man neuerdings bei uns das Gebiet des Staats und der Kirche immer mehr zu vermischen, und den Staat der Kirche zu unterwerfen, aus kläglicher Angst vor einem Conflict, dem man bei aller Nachgiebigkeit für die Dauer doch nicht entgehen kann. Von einer Lösung der zahlreichen rechtlichen Conflicte in Ehesachen ist gar keine Rede. Weder der Minister des Cultus noch der Justiz lieben es, an solchen Fragen sich die Finger zu verbrennen; ja der letztere hat in einer bisher in Württemberg noch nicht dagewesenen Weise die Staatsgewalt, speciell das Richteramt, der katholischen Kirche unterworfen. Unser Landesbischof Hefele, dessen Jurisdiction seit dem württembergischen Kirchengesetz in Ehe¬ sachen von Katholiken eine ganz unbeschränkte ist, erklärt neuerdings, Ehen welche nach der Staatsgesetzgebung giltig sind, für Bigamie; der württembergische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/234>, abgerufen am 05.05.2024.