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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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des Lieferanten Anwendung, welche mit Kenntniß des Zweckes der Lieferung
die Nichterfüllung derselben vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit verur¬
sachen.

Wir sind uns wohl bewußt, daß die ratio leZIs dieser Strafbestimmungen
nicht ohne Weiteres auf ungesetzlich verabredete oder durchgeführte Strikes An¬
wendung finden kann. Aber sicher ist doch, daß der Gedanke, auf den absicht¬
lichen Bruch privatrechtlicher Verpflichtungen öffentliche Strafen zu setzen,
keineswegs so neu und unerhört ist, als er von mancher Seite ausgegeben
wird. Und die Werthe und Interessen, welche durch einen ungesetzlichen
Strike bedroht sind, erscheinen uns keineswegs geringer und weniger viel¬
seitig, als diejenigen, welche durch das Entlaufen von Matrosen gefährdet
werden. Wir glauben daher, daß eine ähnliche Strafbestimmung gegen gesetz¬
widriges Striken nützlich und gerecht wäre.

Der Gedanke, in diesem Sinne die Gesellschaft vor willkürlichen und
ungesetzlichen Strikes zu schützen, ist übrigens keineswegs neu. Das vielbe¬
sprochene Urtheil gegen die englischen Gasarbeiter, die wegen " eonsM-a-e^"
zu vielmonatlichen Gefängniß verurtheilt worden sind, beruht durchaus auf
dem Princip, welches wir als Schutzmittel gegen ungesetzliche Strikes auch in
Deutschland empfehlen möchten; d. h. das englische Recht straft nicht etwa
die Verabredung, Ankündigung und Unterstützung gesetzlich unanfechtbarer
Strikes, sondern nur die sträfliche Verabredung gesetzwidriger Arbeitseinstel¬
lungen. Das englische Recht wahrt also die Coalitionsfreiheit, und straft
deren Mißbrauch. Auch um Autoritäten sind wir nicht verlegen für unsern
Vorschlag; unter Denen, gegen welche Niemand den Verdacht "volksfeindlicher"
Gesinnung erheben wird, und die sich in demselben Sinne ausgesprochen haben,
nennen wir z. B. den bekannten Prof. von Holtzendorff in Berlin. --

Das Maximum des Strafmaßes könnte niedrig bemessen werden, etwa
wie dasjenige des § 153 der Gewerbeordnung, das wir oben mittheilten. Die
Androhung von Strafe erscheint uns als die Hauptsache; und daß Alle,
welche bei dem gesetzwidrigen Strike als Anstifter, Theilnehmer, Gehülfen
thätig sind, stufenweise mit Strafe bedacht werden, als das nächstwichtige.
Auch das erscheint unumgänglich, daß schon der Versuch, die "Verabredung"
mit Strafe bedroht wird, wie schon in § 153 der Gewerbeordnung in ähn¬
lichen Fällen geschehen ist. Denn die Verabredung und die ihr folgende An¬
drohung des ungesetzlichen Strikes richtet oftmals schon größeres Unheil an,
als die Ausführung. Das Recht zur gerichtlichen Beschlagnahme derjenigen
Beträge, welche offenkundig zur Verübung des Vergehens, zur Verbreitung
und Unterhalt des ungesetzlichen Strikes dienen, ist selbstverständlich. Vielleicht


Gvenzboten 1873. I. 29

des Lieferanten Anwendung, welche mit Kenntniß des Zweckes der Lieferung
die Nichterfüllung derselben vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit verur¬
sachen.

Wir sind uns wohl bewußt, daß die ratio leZIs dieser Strafbestimmungen
nicht ohne Weiteres auf ungesetzlich verabredete oder durchgeführte Strikes An¬
wendung finden kann. Aber sicher ist doch, daß der Gedanke, auf den absicht¬
lichen Bruch privatrechtlicher Verpflichtungen öffentliche Strafen zu setzen,
keineswegs so neu und unerhört ist, als er von mancher Seite ausgegeben
wird. Und die Werthe und Interessen, welche durch einen ungesetzlichen
Strike bedroht sind, erscheinen uns keineswegs geringer und weniger viel¬
seitig, als diejenigen, welche durch das Entlaufen von Matrosen gefährdet
werden. Wir glauben daher, daß eine ähnliche Strafbestimmung gegen gesetz¬
widriges Striken nützlich und gerecht wäre.

Der Gedanke, in diesem Sinne die Gesellschaft vor willkürlichen und
ungesetzlichen Strikes zu schützen, ist übrigens keineswegs neu. Das vielbe¬
sprochene Urtheil gegen die englischen Gasarbeiter, die wegen „ eonsM-a-e^"
zu vielmonatlichen Gefängniß verurtheilt worden sind, beruht durchaus auf
dem Princip, welches wir als Schutzmittel gegen ungesetzliche Strikes auch in
Deutschland empfehlen möchten; d. h. das englische Recht straft nicht etwa
die Verabredung, Ankündigung und Unterstützung gesetzlich unanfechtbarer
Strikes, sondern nur die sträfliche Verabredung gesetzwidriger Arbeitseinstel¬
lungen. Das englische Recht wahrt also die Coalitionsfreiheit, und straft
deren Mißbrauch. Auch um Autoritäten sind wir nicht verlegen für unsern
Vorschlag; unter Denen, gegen welche Niemand den Verdacht „volksfeindlicher"
Gesinnung erheben wird, und die sich in demselben Sinne ausgesprochen haben,
nennen wir z. B. den bekannten Prof. von Holtzendorff in Berlin. —

Das Maximum des Strafmaßes könnte niedrig bemessen werden, etwa
wie dasjenige des § 153 der Gewerbeordnung, das wir oben mittheilten. Die
Androhung von Strafe erscheint uns als die Hauptsache; und daß Alle,
welche bei dem gesetzwidrigen Strike als Anstifter, Theilnehmer, Gehülfen
thätig sind, stufenweise mit Strafe bedacht werden, als das nächstwichtige.
Auch das erscheint unumgänglich, daß schon der Versuch, die „Verabredung"
mit Strafe bedroht wird, wie schon in § 153 der Gewerbeordnung in ähn¬
lichen Fällen geschehen ist. Denn die Verabredung und die ihr folgende An¬
drohung des ungesetzlichen Strikes richtet oftmals schon größeres Unheil an,
als die Ausführung. Das Recht zur gerichtlichen Beschlagnahme derjenigen
Beträge, welche offenkundig zur Verübung des Vergehens, zur Verbreitung
und Unterhalt des ungesetzlichen Strikes dienen, ist selbstverständlich. Vielleicht


Gvenzboten 1873. I. 29
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[0233] des Lieferanten Anwendung, welche mit Kenntniß des Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung derselben vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit verur¬ sachen. Wir sind uns wohl bewußt, daß die ratio leZIs dieser Strafbestimmungen nicht ohne Weiteres auf ungesetzlich verabredete oder durchgeführte Strikes An¬ wendung finden kann. Aber sicher ist doch, daß der Gedanke, auf den absicht¬ lichen Bruch privatrechtlicher Verpflichtungen öffentliche Strafen zu setzen, keineswegs so neu und unerhört ist, als er von mancher Seite ausgegeben wird. Und die Werthe und Interessen, welche durch einen ungesetzlichen Strike bedroht sind, erscheinen uns keineswegs geringer und weniger viel¬ seitig, als diejenigen, welche durch das Entlaufen von Matrosen gefährdet werden. Wir glauben daher, daß eine ähnliche Strafbestimmung gegen gesetz¬ widriges Striken nützlich und gerecht wäre. Der Gedanke, in diesem Sinne die Gesellschaft vor willkürlichen und ungesetzlichen Strikes zu schützen, ist übrigens keineswegs neu. Das vielbe¬ sprochene Urtheil gegen die englischen Gasarbeiter, die wegen „ eonsM-a-e^" zu vielmonatlichen Gefängniß verurtheilt worden sind, beruht durchaus auf dem Princip, welches wir als Schutzmittel gegen ungesetzliche Strikes auch in Deutschland empfehlen möchten; d. h. das englische Recht straft nicht etwa die Verabredung, Ankündigung und Unterstützung gesetzlich unanfechtbarer Strikes, sondern nur die sträfliche Verabredung gesetzwidriger Arbeitseinstel¬ lungen. Das englische Recht wahrt also die Coalitionsfreiheit, und straft deren Mißbrauch. Auch um Autoritäten sind wir nicht verlegen für unsern Vorschlag; unter Denen, gegen welche Niemand den Verdacht „volksfeindlicher" Gesinnung erheben wird, und die sich in demselben Sinne ausgesprochen haben, nennen wir z. B. den bekannten Prof. von Holtzendorff in Berlin. — Das Maximum des Strafmaßes könnte niedrig bemessen werden, etwa wie dasjenige des § 153 der Gewerbeordnung, das wir oben mittheilten. Die Androhung von Strafe erscheint uns als die Hauptsache; und daß Alle, welche bei dem gesetzwidrigen Strike als Anstifter, Theilnehmer, Gehülfen thätig sind, stufenweise mit Strafe bedacht werden, als das nächstwichtige. Auch das erscheint unumgänglich, daß schon der Versuch, die „Verabredung" mit Strafe bedroht wird, wie schon in § 153 der Gewerbeordnung in ähn¬ lichen Fällen geschehen ist. Denn die Verabredung und die ihr folgende An¬ drohung des ungesetzlichen Strikes richtet oftmals schon größeres Unheil an, als die Ausführung. Das Recht zur gerichtlichen Beschlagnahme derjenigen Beträge, welche offenkundig zur Verübung des Vergehens, zur Verbreitung und Unterhalt des ungesetzlichen Strikes dienen, ist selbstverständlich. Vielleicht Gvenzboten 1873. I. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/233>, abgerufen am 24.05.2024.