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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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Genug der Aufzählung aller Monstrositäten und Lächerlichkeiten, an
denen die moderne Journalistik kränkelt. Sie ist ein Opfer einer hyperreali-
stischen Zettstrümung geworden und kann sie sich nicht durch kräftiges
Schwimmen aus dem trüben Wasser, in dem nur der Jndustrialismus fischt, her¬
ausarbeiten, so wird und muß sie untersinken und das "Neichspreßgesetz" ist
nur eine von den Wellen, die ihr über den Kopf zusammenschlagen.

Ich schließe mich dem Proteste gegen dasselbe nicht an, denn die einzige
richtige Antwort auf ein solches Gesetz ist eine Action, welche die Verfasser
des Reichspreßgesetzes einfach in der öffentlichen Meinung blamiren muß.

Zeigen wir, daß wir Standesehre besitzen; verbannen wir die
Scheere, die Anonymität und die bezahlte Reclame und, mein Wort
darauf, niemand mehr wird wagen, von "verfehlten Existenzen" zu reden! Der
Ritter vom Degen wird Achtung vor dem "Ritter vom Geist" haben,
wenn dieser keinen Fuchsschwanz in der Scheide trägt.

Ich habe mich ausgesprochen und hege die Absicht, indifferent bei
den Verhandlungen des deutschen Journalistentags zu bleiben, wo bis
jetzt wesentlich nur die materiellen In dustrieinter essen der Zeitungen
zur Sprache zu kommen pflegten. Meiner schwachen Unterstützung in der Anregung
oben erwähnter Fragen aber darf dagegen jeder meiner Herren Collegen gewiß sein.
Aber -- ich fürchte, ich bin wieder einmal zu frühe gekommen mit meinen
Ansichten.*)




Dom deutschen Keichstag.

Die vielbesprochene Sitzung vom 9. Juni steht diesmal an der Spitze un¬
seres Berichtes. Es ist nicht nöthig, daß der interessanteste Gegenstand auch
der Zeitfolge nach der erste ist. Denn nun wird über jene Vorgänge längst
Gras gewachsen sein in dem Augenblick, wo die Leser der Grenzboten diese
Zeilen zu Gesicht bekommen. Dies sei uns doppelter Grund, den Vorfall nicht
als ein aufregendes Tagesereigniß zu behandeln, sondern wie ein der Geschichte
angehörendes Vorkommniß zu erläutern.

Also: der Reichstag, durch einen Mangel an Berechnung von Seiten
der Reichsregierung um mindestens 5 Wochen zu früh einberufen, durch die



") Im Uevrigen gestatte ich den geehrten Zeitungsrcdactioncn den Abdruck obiger Artikel,
jedoch in sxtLuso wenn ich bitten darf.

Genug der Aufzählung aller Monstrositäten und Lächerlichkeiten, an
denen die moderne Journalistik kränkelt. Sie ist ein Opfer einer hyperreali-
stischen Zettstrümung geworden und kann sie sich nicht durch kräftiges
Schwimmen aus dem trüben Wasser, in dem nur der Jndustrialismus fischt, her¬
ausarbeiten, so wird und muß sie untersinken und das „Neichspreßgesetz" ist
nur eine von den Wellen, die ihr über den Kopf zusammenschlagen.

Ich schließe mich dem Proteste gegen dasselbe nicht an, denn die einzige
richtige Antwort auf ein solches Gesetz ist eine Action, welche die Verfasser
des Reichspreßgesetzes einfach in der öffentlichen Meinung blamiren muß.

Zeigen wir, daß wir Standesehre besitzen; verbannen wir die
Scheere, die Anonymität und die bezahlte Reclame und, mein Wort
darauf, niemand mehr wird wagen, von „verfehlten Existenzen" zu reden! Der
Ritter vom Degen wird Achtung vor dem „Ritter vom Geist" haben,
wenn dieser keinen Fuchsschwanz in der Scheide trägt.

Ich habe mich ausgesprochen und hege die Absicht, indifferent bei
den Verhandlungen des deutschen Journalistentags zu bleiben, wo bis
jetzt wesentlich nur die materiellen In dustrieinter essen der Zeitungen
zur Sprache zu kommen pflegten. Meiner schwachen Unterstützung in der Anregung
oben erwähnter Fragen aber darf dagegen jeder meiner Herren Collegen gewiß sein.
Aber — ich fürchte, ich bin wieder einmal zu frühe gekommen mit meinen
Ansichten.*)




Dom deutschen Keichstag.

Die vielbesprochene Sitzung vom 9. Juni steht diesmal an der Spitze un¬
seres Berichtes. Es ist nicht nöthig, daß der interessanteste Gegenstand auch
der Zeitfolge nach der erste ist. Denn nun wird über jene Vorgänge längst
Gras gewachsen sein in dem Augenblick, wo die Leser der Grenzboten diese
Zeilen zu Gesicht bekommen. Dies sei uns doppelter Grund, den Vorfall nicht
als ein aufregendes Tagesereigniß zu behandeln, sondern wie ein der Geschichte
angehörendes Vorkommniß zu erläutern.

Also: der Reichstag, durch einen Mangel an Berechnung von Seiten
der Reichsregierung um mindestens 5 Wochen zu früh einberufen, durch die



") Im Uevrigen gestatte ich den geehrten Zeitungsrcdactioncn den Abdruck obiger Artikel,
jedoch in sxtLuso wenn ich bitten darf.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/520>, abgerufen am 08.05.2024.