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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Maler als Aristophanide.

So eigenartig und unnachahmlich die Aristophanische Komödie ist, weil sie
als das Product aus Factoren einer Staatsverfassung, einer Sitte und einer
Bildung bezeichnet werden muß, wie wir sie nur einmal im alten Athen zur
Zeit des peloponnesischen Krieges schöpferisch zusammenwirken sehen: die Deut¬
schen, die ja ihren Stolz darein setzen, literarische Kosmopoliten zu sein,
haben es doch versucht, jene Art des Lustspiels auch auf ihrem Boden heimisch
zu machen.

Der erste, der den Aristophanes nachahmte, war Goethe. Zunächst
gedachte er nur eine freie Bearbeitung vom Anfange der "Vögel" jenes Dichters
zu geben, dieselbe gerieth aber, da ganz neue Charaktere eingeführt und neue
Gesichtspunkte aufgestellt wurden, so frei, daß schon Goethe selbst sie für "ein
Lustspiel nach dem Griechischen und nicht nach dem Griechischen" erklären
konnte. Bei d^r Aufführung in Ettersburg verfehlte das Stück seine Wirkung
auf das erlesene Publikum nicht, und auch jetzt noch bietet es durch seine
scherzhafte Ironie und allerlei witzige Anspielungen einigen Genuß; um aber
beurtheilen zu können, ob Goethe im Stande gewesen wäre, etwas zu schaffen,
was einen Vergleich mit irgend einem Stücke seines Athemlöcher Vorbildes
zugelassen hätte, dazu ist das wenige, was erhalten ist, von zu geringer
Bedeutung.

Ein zweiter, der eine Komödie im Stile des Aristophanes zu schreiben
unternahm, war Rückert. Dieselbe Glut des Patriotismus, die seine "Ge¬
harnischten Sonette" schuf, bewog ihn auch, eine politische Komödie "Napo¬
leon" zu schreiben. Die Vorzüge, die allgemein an ihr gerühmt werden,
Großartigkeit der Anlage und "gigantische Phantastik der Darstellung", sind
zugleich ihre Fehler, denn sie haben den Dichter verhindert, seinen Stoff zu
bewältigen und sein Werk zum Abschluß zu bringen.

Auf ihn folgt Platen mit der Berhängnißvollen Gabel und dem Ro¬
mantischen Oedipus. Von diesen Dichtungen wird im Folgenden eingehender
die Rede sein.

Sodann ist in das Gewand des alten attischen Lustspiels ein Stück von
Gruppe gekleidet, das 1831 erschien und den Titel führt: "Die Winde oder
ganz absolute Construction der neueren Weltgeschichte durch Oberons Horn,


Grenzboten 1873. III. 26
Maler als Aristophanide.

So eigenartig und unnachahmlich die Aristophanische Komödie ist, weil sie
als das Product aus Factoren einer Staatsverfassung, einer Sitte und einer
Bildung bezeichnet werden muß, wie wir sie nur einmal im alten Athen zur
Zeit des peloponnesischen Krieges schöpferisch zusammenwirken sehen: die Deut¬
schen, die ja ihren Stolz darein setzen, literarische Kosmopoliten zu sein,
haben es doch versucht, jene Art des Lustspiels auch auf ihrem Boden heimisch
zu machen.

Der erste, der den Aristophanes nachahmte, war Goethe. Zunächst
gedachte er nur eine freie Bearbeitung vom Anfange der „Vögel" jenes Dichters
zu geben, dieselbe gerieth aber, da ganz neue Charaktere eingeführt und neue
Gesichtspunkte aufgestellt wurden, so frei, daß schon Goethe selbst sie für „ein
Lustspiel nach dem Griechischen und nicht nach dem Griechischen" erklären
konnte. Bei d^r Aufführung in Ettersburg verfehlte das Stück seine Wirkung
auf das erlesene Publikum nicht, und auch jetzt noch bietet es durch seine
scherzhafte Ironie und allerlei witzige Anspielungen einigen Genuß; um aber
beurtheilen zu können, ob Goethe im Stande gewesen wäre, etwas zu schaffen,
was einen Vergleich mit irgend einem Stücke seines Athemlöcher Vorbildes
zugelassen hätte, dazu ist das wenige, was erhalten ist, von zu geringer
Bedeutung.

Ein zweiter, der eine Komödie im Stile des Aristophanes zu schreiben
unternahm, war Rückert. Dieselbe Glut des Patriotismus, die seine „Ge¬
harnischten Sonette" schuf, bewog ihn auch, eine politische Komödie „Napo¬
leon" zu schreiben. Die Vorzüge, die allgemein an ihr gerühmt werden,
Großartigkeit der Anlage und „gigantische Phantastik der Darstellung", sind
zugleich ihre Fehler, denn sie haben den Dichter verhindert, seinen Stoff zu
bewältigen und sein Werk zum Abschluß zu bringen.

Auf ihn folgt Platen mit der Berhängnißvollen Gabel und dem Ro¬
mantischen Oedipus. Von diesen Dichtungen wird im Folgenden eingehender
die Rede sein.

Sodann ist in das Gewand des alten attischen Lustspiels ein Stück von
Gruppe gekleidet, das 1831 erschien und den Titel führt: „Die Winde oder
ganz absolute Construction der neueren Weltgeschichte durch Oberons Horn,


Grenzboten 1873. III. 26
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[0209] Maler als Aristophanide. So eigenartig und unnachahmlich die Aristophanische Komödie ist, weil sie als das Product aus Factoren einer Staatsverfassung, einer Sitte und einer Bildung bezeichnet werden muß, wie wir sie nur einmal im alten Athen zur Zeit des peloponnesischen Krieges schöpferisch zusammenwirken sehen: die Deut¬ schen, die ja ihren Stolz darein setzen, literarische Kosmopoliten zu sein, haben es doch versucht, jene Art des Lustspiels auch auf ihrem Boden heimisch zu machen. Der erste, der den Aristophanes nachahmte, war Goethe. Zunächst gedachte er nur eine freie Bearbeitung vom Anfange der „Vögel" jenes Dichters zu geben, dieselbe gerieth aber, da ganz neue Charaktere eingeführt und neue Gesichtspunkte aufgestellt wurden, so frei, daß schon Goethe selbst sie für „ein Lustspiel nach dem Griechischen und nicht nach dem Griechischen" erklären konnte. Bei d^r Aufführung in Ettersburg verfehlte das Stück seine Wirkung auf das erlesene Publikum nicht, und auch jetzt noch bietet es durch seine scherzhafte Ironie und allerlei witzige Anspielungen einigen Genuß; um aber beurtheilen zu können, ob Goethe im Stande gewesen wäre, etwas zu schaffen, was einen Vergleich mit irgend einem Stücke seines Athemlöcher Vorbildes zugelassen hätte, dazu ist das wenige, was erhalten ist, von zu geringer Bedeutung. Ein zweiter, der eine Komödie im Stile des Aristophanes zu schreiben unternahm, war Rückert. Dieselbe Glut des Patriotismus, die seine „Ge¬ harnischten Sonette" schuf, bewog ihn auch, eine politische Komödie „Napo¬ leon" zu schreiben. Die Vorzüge, die allgemein an ihr gerühmt werden, Großartigkeit der Anlage und „gigantische Phantastik der Darstellung", sind zugleich ihre Fehler, denn sie haben den Dichter verhindert, seinen Stoff zu bewältigen und sein Werk zum Abschluß zu bringen. Auf ihn folgt Platen mit der Berhängnißvollen Gabel und dem Ro¬ mantischen Oedipus. Von diesen Dichtungen wird im Folgenden eingehender die Rede sein. Sodann ist in das Gewand des alten attischen Lustspiels ein Stück von Gruppe gekleidet, das 1831 erschien und den Titel führt: „Die Winde oder ganz absolute Construction der neueren Weltgeschichte durch Oberons Horn, Grenzboten 1873. III. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/209>, abgerufen am 03.05.2024.