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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Zoologische "Mythologie.*)

"Wenn Italien meine Mutter gewesen ist, so betrachte ich Deutschland
als meine beste Amme. Jeder Mensch hat, wie der Held der Sage, in seinem
Leben gute Feen, die ihn beschützen. Auch ich traf auf meinem beschwerlichen
und oft unwegsamen Pfade durchs Leben solche Feen, die mir in dem dunklen
Walde von ferne ein kleines Licht zeigten, das sich vergrößerte, je näher ich
kam, die meinen Muth vor dem Sinken bewahrt haben. Eine dieser wunder¬
baren Beschützerinnen war mir Deutschland. Sobald ich seine Sprache verstand,
befand ich mich in einer neuen Welt, voll poetischer Reize, großartig, glän¬
zend. Es zog zuerst meinen wißbegierigen Geist durch den Reiz seiner Volks¬
lieder und Volkssagen an; es ließ mich, zu meiner großen Ueberraschung die
Jliade in den Nibelungen wieder finden, in viel höherem Maße, als in den
lateinischen und italienischen Epen, welche Nachahmungen jener sein wollten;
es flößte mir eine noch größere Liebe, eine noch größere Begeisterung für das
Ideale durch jene wundersamen Gestalten ein, welche seine Dichter in ihren
Werken geschaffen. An dem Tage, an welchem mein Schicksal mir erlaubte,
seine wissenschaftliche Gastfreundschaft zu genießen, fühlte ich meine Kräfte
sich verdoppeln; meine geistigen Fähigkeiten entwickelten sich erst jetzt, nachdem
sie den sichern Führer gefunden hatten, der ihre milden Bewegungen und
Bestrebungen leitete."

Mit diesen, unser Land und Volk im hohen Grade ehrenden Worten,
die wir dankbar annehmen wollen, eröffnet der berühmte Florentiner Ge¬
lehrte Angelo de Gubernatis, die deutsche Uebersetzung seines Aufsehen er¬
regenden Werkes über die Thiere in der indogermanischen Mythologie. Er
ist einer von jenen Forschern, die bahnbrechend wirken und auf dem weiten
schönen Gebiete der vergleichenden Mythologie eine neue Disciplin geschaffen
haben. Wohl ist sich Gubernatis bewußt, daß er blos das Gerüste des
Hauses aufschlägt, welches andere weiter ausbauen müssen; aber dieses Ge¬
rüste steht fest und sicher und der Wind wird es nicht mehr umstoßen. Trotz¬
dem neuerdings eine Anzahl von Stimmen sich erhoben hat, welche die ganze
vergleichende Mythologie als völlig werthlos in die Plunderkammer zu werfen
versuchte, erfreut diese Wissenschaft sich immer zahlreicherer Anhänger und häuft
sich das Material zu ihrer Stütze in wahrhaft staunenswerther Weise. Es
ist in der That eigenthümlich, daß noch kein Gelehrter darauf verfiel, zu



') Die Thiere in der indogermanischen Mythologie von Angelo de Gubernatis, Professor
des Sanskrit und der vergleichenden Literatur am Instituts al stuäii superiori o al perköüion",-
movto zu Florenz. Aus dem Englischen übersetzt von M. Hartmann. Leipzig, F. W. Gru-
now. 1874.
Zoologische "Mythologie.*)

„Wenn Italien meine Mutter gewesen ist, so betrachte ich Deutschland
als meine beste Amme. Jeder Mensch hat, wie der Held der Sage, in seinem
Leben gute Feen, die ihn beschützen. Auch ich traf auf meinem beschwerlichen
und oft unwegsamen Pfade durchs Leben solche Feen, die mir in dem dunklen
Walde von ferne ein kleines Licht zeigten, das sich vergrößerte, je näher ich
kam, die meinen Muth vor dem Sinken bewahrt haben. Eine dieser wunder¬
baren Beschützerinnen war mir Deutschland. Sobald ich seine Sprache verstand,
befand ich mich in einer neuen Welt, voll poetischer Reize, großartig, glän¬
zend. Es zog zuerst meinen wißbegierigen Geist durch den Reiz seiner Volks¬
lieder und Volkssagen an; es ließ mich, zu meiner großen Ueberraschung die
Jliade in den Nibelungen wieder finden, in viel höherem Maße, als in den
lateinischen und italienischen Epen, welche Nachahmungen jener sein wollten;
es flößte mir eine noch größere Liebe, eine noch größere Begeisterung für das
Ideale durch jene wundersamen Gestalten ein, welche seine Dichter in ihren
Werken geschaffen. An dem Tage, an welchem mein Schicksal mir erlaubte,
seine wissenschaftliche Gastfreundschaft zu genießen, fühlte ich meine Kräfte
sich verdoppeln; meine geistigen Fähigkeiten entwickelten sich erst jetzt, nachdem
sie den sichern Führer gefunden hatten, der ihre milden Bewegungen und
Bestrebungen leitete."

Mit diesen, unser Land und Volk im hohen Grade ehrenden Worten,
die wir dankbar annehmen wollen, eröffnet der berühmte Florentiner Ge¬
lehrte Angelo de Gubernatis, die deutsche Uebersetzung seines Aufsehen er¬
regenden Werkes über die Thiere in der indogermanischen Mythologie. Er
ist einer von jenen Forschern, die bahnbrechend wirken und auf dem weiten
schönen Gebiete der vergleichenden Mythologie eine neue Disciplin geschaffen
haben. Wohl ist sich Gubernatis bewußt, daß er blos das Gerüste des
Hauses aufschlägt, welches andere weiter ausbauen müssen; aber dieses Ge¬
rüste steht fest und sicher und der Wind wird es nicht mehr umstoßen. Trotz¬
dem neuerdings eine Anzahl von Stimmen sich erhoben hat, welche die ganze
vergleichende Mythologie als völlig werthlos in die Plunderkammer zu werfen
versuchte, erfreut diese Wissenschaft sich immer zahlreicherer Anhänger und häuft
sich das Material zu ihrer Stütze in wahrhaft staunenswerther Weise. Es
ist in der That eigenthümlich, daß noch kein Gelehrter darauf verfiel, zu



') Die Thiere in der indogermanischen Mythologie von Angelo de Gubernatis, Professor
des Sanskrit und der vergleichenden Literatur am Instituts al stuäii superiori o al perköüion«,-
movto zu Florenz. Aus dem Englischen übersetzt von M. Hartmann. Leipzig, F. W. Gru-
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[0216] Zoologische "Mythologie.*) „Wenn Italien meine Mutter gewesen ist, so betrachte ich Deutschland als meine beste Amme. Jeder Mensch hat, wie der Held der Sage, in seinem Leben gute Feen, die ihn beschützen. Auch ich traf auf meinem beschwerlichen und oft unwegsamen Pfade durchs Leben solche Feen, die mir in dem dunklen Walde von ferne ein kleines Licht zeigten, das sich vergrößerte, je näher ich kam, die meinen Muth vor dem Sinken bewahrt haben. Eine dieser wunder¬ baren Beschützerinnen war mir Deutschland. Sobald ich seine Sprache verstand, befand ich mich in einer neuen Welt, voll poetischer Reize, großartig, glän¬ zend. Es zog zuerst meinen wißbegierigen Geist durch den Reiz seiner Volks¬ lieder und Volkssagen an; es ließ mich, zu meiner großen Ueberraschung die Jliade in den Nibelungen wieder finden, in viel höherem Maße, als in den lateinischen und italienischen Epen, welche Nachahmungen jener sein wollten; es flößte mir eine noch größere Liebe, eine noch größere Begeisterung für das Ideale durch jene wundersamen Gestalten ein, welche seine Dichter in ihren Werken geschaffen. An dem Tage, an welchem mein Schicksal mir erlaubte, seine wissenschaftliche Gastfreundschaft zu genießen, fühlte ich meine Kräfte sich verdoppeln; meine geistigen Fähigkeiten entwickelten sich erst jetzt, nachdem sie den sichern Führer gefunden hatten, der ihre milden Bewegungen und Bestrebungen leitete." Mit diesen, unser Land und Volk im hohen Grade ehrenden Worten, die wir dankbar annehmen wollen, eröffnet der berühmte Florentiner Ge¬ lehrte Angelo de Gubernatis, die deutsche Uebersetzung seines Aufsehen er¬ regenden Werkes über die Thiere in der indogermanischen Mythologie. Er ist einer von jenen Forschern, die bahnbrechend wirken und auf dem weiten schönen Gebiete der vergleichenden Mythologie eine neue Disciplin geschaffen haben. Wohl ist sich Gubernatis bewußt, daß er blos das Gerüste des Hauses aufschlägt, welches andere weiter ausbauen müssen; aber dieses Ge¬ rüste steht fest und sicher und der Wind wird es nicht mehr umstoßen. Trotz¬ dem neuerdings eine Anzahl von Stimmen sich erhoben hat, welche die ganze vergleichende Mythologie als völlig werthlos in die Plunderkammer zu werfen versuchte, erfreut diese Wissenschaft sich immer zahlreicherer Anhänger und häuft sich das Material zu ihrer Stütze in wahrhaft staunenswerther Weise. Es ist in der That eigenthümlich, daß noch kein Gelehrter darauf verfiel, zu ') Die Thiere in der indogermanischen Mythologie von Angelo de Gubernatis, Professor des Sanskrit und der vergleichenden Literatur am Instituts al stuäii superiori o al perköüion«,- movto zu Florenz. Aus dem Englischen übersetzt von M. Hartmann. Leipzig, F. W. Gru- now. 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/216>, abgerufen am 27.04.2024.