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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Lin mittelalterliches Mosaik in Köln.

Wer vor dem Jahre 1868 in die Krypta der hochberühmten Gereons-
kirche in Köln hinabstieg, dem bot sich dort ein höchst eigenthümlicher Anblick.
Den Boden des weiten Raumes fand der Beschauer buchstäblich gepflastert
mit ungefähr KVO größeren und kleineren Mvsaikfragmenten, deren unregel¬
mäßige Bruchlinien bekundeten, daß die Neste einem großen Boden ange¬
hörten, den man in barbarischer Weise zerstört und dann als Pflastermaterial
benutzt hatte. Da lag z. B. neben einem Bruchstück, welches einen Kopf
darstellt, ein Fuß, daneben ein Gewandstück oder eine Waffe, ein Stadtthor
oder ein Jnschriftfragment. Ein wunderliches Durcheinander, eine dämonische
Sphinx, die dem Fremdling unlösbare Räthsel vorlegte.

Schon Anfangs der dreißiger Jahre versuchte der Maler Pereira die
Reeonstruction des untergegangenen Kunstwerks. Pereira begann seine Arbeit
in ganz rationeller Weise damit, daß er die einzelnen Fragmente durchpauste
und mit diesen in Privatbesitz noch vorhandenen Pausen den ursprünglichen
Zusammenhang zu ermitteln sich bestrebte. Diese Bemühungen scheiterten
aber an der Ungenauigkeit der Arbeit, weil der Künstler auf die genaue
Zeichnung der Bruchlinien, die beim späteren Aneinanderpassen in hervor¬
ragender Weise maßgebend sein mußten, nicht die nöthige Sorgfalt gelegt
hatte. -- Später schickte der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. einen
Maler aus Berlin nach Gereon; dieser glaubte eine Darstellung des Urtheils
Salomo's gefunden zu haben, kam aber zu keinem Resultat. -- Gottfried
Kinkel machte in seiner i. I. 1845, erschienenen Geschichte der bildenden
Künste auf die Mosaiken aufmerksam, aber dieselben waren und blieben ein
Buch mit sieben Siegeln. -- Endlich fand sich der richtige Mann in der
Person eines hiesigen Künstlers, des Malers Toni Avenarius, welcher mit
energischem Muth und liebender Hingabe ans Werk ging. Avenarius machte
sich das von Pereira angedeutete Verfahren zu eigen und zeichnete alle Stücke
durch, wobei er mit Rücksicht auf die später zu machenden Zusammenstcllungs-
Versuche die größte Sorgfalt aus die Bruchumrisse verwandte. Mit diesen
Pausen begann er, unterstützt von seiner kunstsinnigen Gattin, die Versuche
des Aneinanderpassens. Die Arbeit wurde bald mit schönem Erfolg gekrönt;
bald konnte Avenarius sein -L^x" ausrufen, als er das Bild eines thro¬
nenden David gefunden hatte. Durch diese Entdeckung war der Weg für
die weiteren Versuche vorgezeichnet; denn jetzt war die Annahme berechtigt,
daß es sich um alttestamentarische Darstellungen handelte.

So ergab sich ein Cyclus von zwölf Darstellungen aus der Geschichte
Josephs. Josuas, Simsons und Davids. 1) Joseph und Potiphars Weib;
2) die Kundschafter Josuas, die von der Buhlerin in Jericho aus einem


Lin mittelalterliches Mosaik in Köln.

Wer vor dem Jahre 1868 in die Krypta der hochberühmten Gereons-
kirche in Köln hinabstieg, dem bot sich dort ein höchst eigenthümlicher Anblick.
Den Boden des weiten Raumes fand der Beschauer buchstäblich gepflastert
mit ungefähr KVO größeren und kleineren Mvsaikfragmenten, deren unregel¬
mäßige Bruchlinien bekundeten, daß die Neste einem großen Boden ange¬
hörten, den man in barbarischer Weise zerstört und dann als Pflastermaterial
benutzt hatte. Da lag z. B. neben einem Bruchstück, welches einen Kopf
darstellt, ein Fuß, daneben ein Gewandstück oder eine Waffe, ein Stadtthor
oder ein Jnschriftfragment. Ein wunderliches Durcheinander, eine dämonische
Sphinx, die dem Fremdling unlösbare Räthsel vorlegte.

Schon Anfangs der dreißiger Jahre versuchte der Maler Pereira die
Reeonstruction des untergegangenen Kunstwerks. Pereira begann seine Arbeit
in ganz rationeller Weise damit, daß er die einzelnen Fragmente durchpauste
und mit diesen in Privatbesitz noch vorhandenen Pausen den ursprünglichen
Zusammenhang zu ermitteln sich bestrebte. Diese Bemühungen scheiterten
aber an der Ungenauigkeit der Arbeit, weil der Künstler auf die genaue
Zeichnung der Bruchlinien, die beim späteren Aneinanderpassen in hervor¬
ragender Weise maßgebend sein mußten, nicht die nöthige Sorgfalt gelegt
hatte. — Später schickte der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. einen
Maler aus Berlin nach Gereon; dieser glaubte eine Darstellung des Urtheils
Salomo's gefunden zu haben, kam aber zu keinem Resultat. — Gottfried
Kinkel machte in seiner i. I. 1845, erschienenen Geschichte der bildenden
Künste auf die Mosaiken aufmerksam, aber dieselben waren und blieben ein
Buch mit sieben Siegeln. — Endlich fand sich der richtige Mann in der
Person eines hiesigen Künstlers, des Malers Toni Avenarius, welcher mit
energischem Muth und liebender Hingabe ans Werk ging. Avenarius machte
sich das von Pereira angedeutete Verfahren zu eigen und zeichnete alle Stücke
durch, wobei er mit Rücksicht auf die später zu machenden Zusammenstcllungs-
Versuche die größte Sorgfalt aus die Bruchumrisse verwandte. Mit diesen
Pausen begann er, unterstützt von seiner kunstsinnigen Gattin, die Versuche
des Aneinanderpassens. Die Arbeit wurde bald mit schönem Erfolg gekrönt;
bald konnte Avenarius sein -L^x« ausrufen, als er das Bild eines thro¬
nenden David gefunden hatte. Durch diese Entdeckung war der Weg für
die weiteren Versuche vorgezeichnet; denn jetzt war die Annahme berechtigt,
daß es sich um alttestamentarische Darstellungen handelte.

So ergab sich ein Cyclus von zwölf Darstellungen aus der Geschichte
Josephs. Josuas, Simsons und Davids. 1) Joseph und Potiphars Weib;
2) die Kundschafter Josuas, die von der Buhlerin in Jericho aus einem


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[0265] Lin mittelalterliches Mosaik in Köln. Wer vor dem Jahre 1868 in die Krypta der hochberühmten Gereons- kirche in Köln hinabstieg, dem bot sich dort ein höchst eigenthümlicher Anblick. Den Boden des weiten Raumes fand der Beschauer buchstäblich gepflastert mit ungefähr KVO größeren und kleineren Mvsaikfragmenten, deren unregel¬ mäßige Bruchlinien bekundeten, daß die Neste einem großen Boden ange¬ hörten, den man in barbarischer Weise zerstört und dann als Pflastermaterial benutzt hatte. Da lag z. B. neben einem Bruchstück, welches einen Kopf darstellt, ein Fuß, daneben ein Gewandstück oder eine Waffe, ein Stadtthor oder ein Jnschriftfragment. Ein wunderliches Durcheinander, eine dämonische Sphinx, die dem Fremdling unlösbare Räthsel vorlegte. Schon Anfangs der dreißiger Jahre versuchte der Maler Pereira die Reeonstruction des untergegangenen Kunstwerks. Pereira begann seine Arbeit in ganz rationeller Weise damit, daß er die einzelnen Fragmente durchpauste und mit diesen in Privatbesitz noch vorhandenen Pausen den ursprünglichen Zusammenhang zu ermitteln sich bestrebte. Diese Bemühungen scheiterten aber an der Ungenauigkeit der Arbeit, weil der Künstler auf die genaue Zeichnung der Bruchlinien, die beim späteren Aneinanderpassen in hervor¬ ragender Weise maßgebend sein mußten, nicht die nöthige Sorgfalt gelegt hatte. — Später schickte der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. einen Maler aus Berlin nach Gereon; dieser glaubte eine Darstellung des Urtheils Salomo's gefunden zu haben, kam aber zu keinem Resultat. — Gottfried Kinkel machte in seiner i. I. 1845, erschienenen Geschichte der bildenden Künste auf die Mosaiken aufmerksam, aber dieselben waren und blieben ein Buch mit sieben Siegeln. — Endlich fand sich der richtige Mann in der Person eines hiesigen Künstlers, des Malers Toni Avenarius, welcher mit energischem Muth und liebender Hingabe ans Werk ging. Avenarius machte sich das von Pereira angedeutete Verfahren zu eigen und zeichnete alle Stücke durch, wobei er mit Rücksicht auf die später zu machenden Zusammenstcllungs- Versuche die größte Sorgfalt aus die Bruchumrisse verwandte. Mit diesen Pausen begann er, unterstützt von seiner kunstsinnigen Gattin, die Versuche des Aneinanderpassens. Die Arbeit wurde bald mit schönem Erfolg gekrönt; bald konnte Avenarius sein -L^x« ausrufen, als er das Bild eines thro¬ nenden David gefunden hatte. Durch diese Entdeckung war der Weg für die weiteren Versuche vorgezeichnet; denn jetzt war die Annahme berechtigt, daß es sich um alttestamentarische Darstellungen handelte. So ergab sich ein Cyclus von zwölf Darstellungen aus der Geschichte Josephs. Josuas, Simsons und Davids. 1) Joseph und Potiphars Weib; 2) die Kundschafter Josuas, die von der Buhlerin in Jericho aus einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/265>, abgerufen am 28.04.2024.