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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Ms dem Lesen der Malerin Louise Seidler.*)

Die Heldin dieser Erinnerungen gehört nicht zu den allgenannten und
allbekannten Namen der Gegenwart. Es ist ihr im Leben wie im Tode nur
ein bescheidenes Maß von dem zu Theil geworden, was man Berühmtheit
heißt. Und dennoch verdient sie es, daß eine wohlgesinnte und geschickte Hand
ihr Bild in ausführlicher Breite vor unsern Augen zeichnet. Sie ist als
Charakter durch die seltene Vereinigung zarter und liebenswürdiger Züge,
wie durch den inhaltreichen Verlauf ihres Lebens werth, von vielen gekannt
und verehrt zu werden, die vielleicht bis jetzt nicht einmal ihren Namen haben
nennen hören. Denn ihre sanfte Bescheidenheit, der natürliche Grundton
ihres Wesens hat sie, so lange sie lebte, mit zarter Scheu alles vermeiden
lassen, was nur entfernt nach Reclame oder um im Stile ihrer Zeit zu sprechen,
nach eitelen Hervordrängen aussah. Zufrieden, wie wenige, innerhalb der
von ihr selbst vielleicht zu eng gezogenen Schranken ihres Talentes und ihrer
Leistungsfähigkeit, getragen von der selbstlosesten Hingebung an die göttliche
Hoheit der Kunst, hat sie in ihrem Berufe nur das reinste Glück gefunden,
dessen die Menschenseele fähig ist und keine der Enttäuschungen, denen sich
der Ehrgeiz und die Selbstüberschätzung auch dann so oft und. so schmerzlich
ausgesetzt sehen, wo sie sich mit der größten Genialität verbinden. Dazu
noch die vollste Befriedigung in allem dem, was zum Leben selbst und seinen
rein menschlichen Beziehungen gehört. Freude und Schmerz in jähem Wechsel
sind auch durch ihr Herz wie bei allen anderen Sterblichen gezogen, aber beide
haben es nur immer wärmer und kräftiger schlagen machen und ihrem Cha¬
rakter eine ebenso zarte wie feste Basis gegeben, die man im tiefsten Sinne
des Wortes durch und durch religiös nennen wird. Denn daß die Künstlerin
von einem stärkeren Hauche der specifisch-christlichen Stimmung erfaßt und be¬
wegt wurde, als es in dem ihr heimatlichen Kreise damals zu geschehen pflegte,



Erinnerungen aus dein Leben der Malerin Louise Seidler geboren zu Jena 1780, ge¬
storben zu Weimar 18Ki. Ans dem handschriftlichen Nachlaß zusannnengestellt und bearbeitet
von Hermann Abbe. Berlin l874.
Grenzboten l. 1874.
Ms dem Lesen der Malerin Louise Seidler.*)

Die Heldin dieser Erinnerungen gehört nicht zu den allgenannten und
allbekannten Namen der Gegenwart. Es ist ihr im Leben wie im Tode nur
ein bescheidenes Maß von dem zu Theil geworden, was man Berühmtheit
heißt. Und dennoch verdient sie es, daß eine wohlgesinnte und geschickte Hand
ihr Bild in ausführlicher Breite vor unsern Augen zeichnet. Sie ist als
Charakter durch die seltene Vereinigung zarter und liebenswürdiger Züge,
wie durch den inhaltreichen Verlauf ihres Lebens werth, von vielen gekannt
und verehrt zu werden, die vielleicht bis jetzt nicht einmal ihren Namen haben
nennen hören. Denn ihre sanfte Bescheidenheit, der natürliche Grundton
ihres Wesens hat sie, so lange sie lebte, mit zarter Scheu alles vermeiden
lassen, was nur entfernt nach Reclame oder um im Stile ihrer Zeit zu sprechen,
nach eitelen Hervordrängen aussah. Zufrieden, wie wenige, innerhalb der
von ihr selbst vielleicht zu eng gezogenen Schranken ihres Talentes und ihrer
Leistungsfähigkeit, getragen von der selbstlosesten Hingebung an die göttliche
Hoheit der Kunst, hat sie in ihrem Berufe nur das reinste Glück gefunden,
dessen die Menschenseele fähig ist und keine der Enttäuschungen, denen sich
der Ehrgeiz und die Selbstüberschätzung auch dann so oft und. so schmerzlich
ausgesetzt sehen, wo sie sich mit der größten Genialität verbinden. Dazu
noch die vollste Befriedigung in allem dem, was zum Leben selbst und seinen
rein menschlichen Beziehungen gehört. Freude und Schmerz in jähem Wechsel
sind auch durch ihr Herz wie bei allen anderen Sterblichen gezogen, aber beide
haben es nur immer wärmer und kräftiger schlagen machen und ihrem Cha¬
rakter eine ebenso zarte wie feste Basis gegeben, die man im tiefsten Sinne
des Wortes durch und durch religiös nennen wird. Denn daß die Künstlerin
von einem stärkeren Hauche der specifisch-christlichen Stimmung erfaßt und be¬
wegt wurde, als es in dem ihr heimatlichen Kreise damals zu geschehen pflegte,



Erinnerungen aus dein Leben der Malerin Louise Seidler geboren zu Jena 1780, ge¬
storben zu Weimar 18Ki. Ans dem handschriftlichen Nachlaß zusannnengestellt und bearbeitet
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Grenzboten l. 1874.
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[0447] Ms dem Lesen der Malerin Louise Seidler.*) Die Heldin dieser Erinnerungen gehört nicht zu den allgenannten und allbekannten Namen der Gegenwart. Es ist ihr im Leben wie im Tode nur ein bescheidenes Maß von dem zu Theil geworden, was man Berühmtheit heißt. Und dennoch verdient sie es, daß eine wohlgesinnte und geschickte Hand ihr Bild in ausführlicher Breite vor unsern Augen zeichnet. Sie ist als Charakter durch die seltene Vereinigung zarter und liebenswürdiger Züge, wie durch den inhaltreichen Verlauf ihres Lebens werth, von vielen gekannt und verehrt zu werden, die vielleicht bis jetzt nicht einmal ihren Namen haben nennen hören. Denn ihre sanfte Bescheidenheit, der natürliche Grundton ihres Wesens hat sie, so lange sie lebte, mit zarter Scheu alles vermeiden lassen, was nur entfernt nach Reclame oder um im Stile ihrer Zeit zu sprechen, nach eitelen Hervordrängen aussah. Zufrieden, wie wenige, innerhalb der von ihr selbst vielleicht zu eng gezogenen Schranken ihres Talentes und ihrer Leistungsfähigkeit, getragen von der selbstlosesten Hingebung an die göttliche Hoheit der Kunst, hat sie in ihrem Berufe nur das reinste Glück gefunden, dessen die Menschenseele fähig ist und keine der Enttäuschungen, denen sich der Ehrgeiz und die Selbstüberschätzung auch dann so oft und. so schmerzlich ausgesetzt sehen, wo sie sich mit der größten Genialität verbinden. Dazu noch die vollste Befriedigung in allem dem, was zum Leben selbst und seinen rein menschlichen Beziehungen gehört. Freude und Schmerz in jähem Wechsel sind auch durch ihr Herz wie bei allen anderen Sterblichen gezogen, aber beide haben es nur immer wärmer und kräftiger schlagen machen und ihrem Cha¬ rakter eine ebenso zarte wie feste Basis gegeben, die man im tiefsten Sinne des Wortes durch und durch religiös nennen wird. Denn daß die Künstlerin von einem stärkeren Hauche der specifisch-christlichen Stimmung erfaßt und be¬ wegt wurde, als es in dem ihr heimatlichen Kreise damals zu geschehen pflegte, Erinnerungen aus dein Leben der Malerin Louise Seidler geboren zu Jena 1780, ge¬ storben zu Weimar 18Ki. Ans dem handschriftlichen Nachlaß zusannnengestellt und bearbeitet von Hermann Abbe. Berlin l874. Grenzboten l. 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/447>, abgerufen am 28.04.2024.