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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ist nicht das, was wir unter ihrer Religiosität, als innersten Kern ihres
Wesens meinen. Es war doch nur die zufällige Form, die sich ihr bot und
die sie in aller Arglosigkeit nach eigenem Bedürfniß sich gestaltete. Geborene
Protestantin, erwachsen in einer Zeit und einer Umgebung, die den Gegensatz
zu dem katholischen Wesen zwar nicht als herben Fanatismus heraushob,
aber bei aller Milde der äußeren toleranten Haltung innerlich von der ent¬
schiedensten Antipathie dagegen erfüllt war und beinahe nur darin ihr
protestantisches Bewußtsein lebendig empfand, hat sie doch in anderer Zeit
und Umgebung, in den Jahren der Romantik und in den Künstlerkreisen
Roms auch dem Katholicismus eine Menge freundlicher und großartiger
Züge abzusehen vermocht. Zu wahr, zu treu gegen sich selbst und ihre
nächsten Angehörigen in Deutschland konnte sie keine Convertitin werden,
obgleich sie mitten unter solchen und im herzlichsten Verkehr mit ihnen lebte.
Sie konnte es aber auch darum nicht werden, weil ihr das Verständniß für
den Grund eines solchen jähen Bruches mit sich selbst und anderen ganz
versagt war. Sie begriff nicht, wie die Bekenntnißformel als solche alle jene
andern echt menschlichen Gefühle und Verpflichtungen so weit zu überwiegen
vermögen sollte, daß sie für sie geopfert werden müßten. Nur in der freien
Allgemeinheit der unsichtbaren Kirche wollte sie sich als Christin empfinden
und die Besonderheit der Confession galt ihr nur insofern etwas, als darin
die Hingabe der Seele an jene Idee nicht beschränkt, sondern nur in eine
faßliche Form gebracht zu werden schien.

Das eigentliche Glück ihres Daseins ruhte für dieses echte Kind des
achtzehnten Jahrhunderts in dem Cultus der Freundschaft. Wer die innere
Geschichte unserer neuesten Zeit kennt, weiß ja wohl, daß jenes zarte und
beinahe überzarte Aethergebilde, was damals Freundschaft hieß, jetzt für
unsere etwas härteren freilich nicht gesunderen Nerven nicht mehr recht faßlich
ist, außer wenn man von der Gegenwart absehend, sich auf dem Wege der
Reflexion künstlich in die damalige Gemüthsstimmung versetzt. Wie wir
einmal heute geartet sind, will uns die überschwängliche Weichheit des Herzens,
die dazu nothwendig gehört, wenig anmuthen, wo wir ihr an dem stärkeren
Geschlecht begegnen. Wir sind geneigt über die stürmischen Ausbrüche der
Gefühlsseligkeit und die unaufhörlichen Entzückungen oder Thränen skeptisch zu
lächeln, wenn wir uns die wohlbekannten Physiognomien von Vater Gleim
oder Wieland dazu denken. Aber bei Frauen lassen wir es uns eher gefallen,
ihnen steht eine nervöse Erregtheit, wo sie sonst hübsch genug sind, recht
wohl, und wenn wir auch im Stillen Gott danken, daß er uns gnädig vor
solchen Ueberschwänglichkeiten und ihren lästigen Ansprüchen auf gleich ge¬
stimmte Erwiederung bewahrt hat, so behagen uns doch die Bilder davon, die
ja nicht mehr lebendig werden können. Insofern wird auch das in allen


ist nicht das, was wir unter ihrer Religiosität, als innersten Kern ihres
Wesens meinen. Es war doch nur die zufällige Form, die sich ihr bot und
die sie in aller Arglosigkeit nach eigenem Bedürfniß sich gestaltete. Geborene
Protestantin, erwachsen in einer Zeit und einer Umgebung, die den Gegensatz
zu dem katholischen Wesen zwar nicht als herben Fanatismus heraushob,
aber bei aller Milde der äußeren toleranten Haltung innerlich von der ent¬
schiedensten Antipathie dagegen erfüllt war und beinahe nur darin ihr
protestantisches Bewußtsein lebendig empfand, hat sie doch in anderer Zeit
und Umgebung, in den Jahren der Romantik und in den Künstlerkreisen
Roms auch dem Katholicismus eine Menge freundlicher und großartiger
Züge abzusehen vermocht. Zu wahr, zu treu gegen sich selbst und ihre
nächsten Angehörigen in Deutschland konnte sie keine Convertitin werden,
obgleich sie mitten unter solchen und im herzlichsten Verkehr mit ihnen lebte.
Sie konnte es aber auch darum nicht werden, weil ihr das Verständniß für
den Grund eines solchen jähen Bruches mit sich selbst und anderen ganz
versagt war. Sie begriff nicht, wie die Bekenntnißformel als solche alle jene
andern echt menschlichen Gefühle und Verpflichtungen so weit zu überwiegen
vermögen sollte, daß sie für sie geopfert werden müßten. Nur in der freien
Allgemeinheit der unsichtbaren Kirche wollte sie sich als Christin empfinden
und die Besonderheit der Confession galt ihr nur insofern etwas, als darin
die Hingabe der Seele an jene Idee nicht beschränkt, sondern nur in eine
faßliche Form gebracht zu werden schien.

Das eigentliche Glück ihres Daseins ruhte für dieses echte Kind des
achtzehnten Jahrhunderts in dem Cultus der Freundschaft. Wer die innere
Geschichte unserer neuesten Zeit kennt, weiß ja wohl, daß jenes zarte und
beinahe überzarte Aethergebilde, was damals Freundschaft hieß, jetzt für
unsere etwas härteren freilich nicht gesunderen Nerven nicht mehr recht faßlich
ist, außer wenn man von der Gegenwart absehend, sich auf dem Wege der
Reflexion künstlich in die damalige Gemüthsstimmung versetzt. Wie wir
einmal heute geartet sind, will uns die überschwängliche Weichheit des Herzens,
die dazu nothwendig gehört, wenig anmuthen, wo wir ihr an dem stärkeren
Geschlecht begegnen. Wir sind geneigt über die stürmischen Ausbrüche der
Gefühlsseligkeit und die unaufhörlichen Entzückungen oder Thränen skeptisch zu
lächeln, wenn wir uns die wohlbekannten Physiognomien von Vater Gleim
oder Wieland dazu denken. Aber bei Frauen lassen wir es uns eher gefallen,
ihnen steht eine nervöse Erregtheit, wo sie sonst hübsch genug sind, recht
wohl, und wenn wir auch im Stillen Gott danken, daß er uns gnädig vor
solchen Ueberschwänglichkeiten und ihren lästigen Ansprüchen auf gleich ge¬
stimmte Erwiederung bewahrt hat, so behagen uns doch die Bilder davon, die
ja nicht mehr lebendig werden können. Insofern wird auch das in allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/448>, abgerufen am 12.05.2024.