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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Dom deutschen Ueichstag.

Wir übergehen die zweite Berathung des Milttärgesetzes in demjenigen
Theil, welcher die auf den § 1 folgenden Paragraphen betraf, weil bedeutende
Gesichtspunkte dabei nicht hervortraten. Dagegen werfen wir noch einen
Blick auf die dritte Berathung desselben Gesetzes. Bei derselben wurde in
Bezug auf den principiellen Standpunkt von zwei Rednern eine nicht un¬
bedeutende Nachlese gehalten. Der eine davon war der Abgeordnete Jörg,
Mitglied des Centrums und Herausgeber der historisch-politischen Blätter in
München. Sein Auftreten konnte umsomehr Aufmerksamkeit erregen, als
man wußte, daß er zu Zeiten Befürworter der preußischen Hegemonie in
Deutschland gewesen, natürlich unter der Bedingung, daß dadurch Macht
und Wirksamkeit der römisch-katholischen Kirche auf deutschem Boden nicht
geschmälert würden. Es sind das vielleicht Träume, die gleichwohl ein
deutsches und patriotisches Gemüth verrathen und die man deßhalb den
Träumender zum Guten anrechnen muß. Träume sind solche Gedanken vor
allem durch das vaticanische Concil geworden, während sie vorher für Zukunfts¬
bilder gelten konnten, denen doch nicht alle Möglichkeit der Verwirklichung
abzusprechen war. Jetzt gehört Herr Jörg begreiflicherweise zu den durch
das deutsche Reich Enttäuschten und gegen dasselbe Verbitterten. Auch ihn
konnte man indeß nur mit Bedauern gegen das Militärgesetz seine Zuflucht
nehmen sehen zu der revolutionären Budgettheorie. Wir wissen ja. daß beim
Kampf ums Leben die Meisten nach der nächsten Waffe greifen, ohne zu
prüfen, ob die Waffe für den Kämpfer taugt. Dennoch ist es befremdlich,
daß folgende Erwägung den bedeutenderen Köpfen des Centrums ganz zu
entgehen scheint. Es giebt -- das ist unleugbar -- bis jetzt viele ernste
Geister in Deutschland, welche aus religiöser Scheu und religiösem Mitgefühl
den Kampf des Reiches gegen die römische Kirche mit Sorge und selbst mit
Abneigung betrachten, die lieber heute wie morgen die Kunde von einem
zweckmäßig gefundenen Ausgleich vernehmen würden. Diese Geister macht
das Centrum mehr und mehr zu überzeugten Gegnern der römischen Sache
und zu Anhängern des Kampfes gegen dieselbe mit dem Aufgebot aller
Mittel, indem es die Bundesgenossenschaft auch der unhaltbarsten Irrthümer,
der verderblichsten Richtungen nicht verschmäht. Wenn der Ultramontanismus
es darauf anlegen wollte, dem ernsten Sinn des deutschen Volkes noch Achtung
abzunöthigen, so müßte er erscheinen als der unerschütterliche, durch ewige
Principien festgehaltene Bundesgenosse von Allem, was konservativ und
Dauer verleihend ist, was die Obrigkeit und den nationalen Zusammenhalt


Dom deutschen Ueichstag.

Wir übergehen die zweite Berathung des Milttärgesetzes in demjenigen
Theil, welcher die auf den § 1 folgenden Paragraphen betraf, weil bedeutende
Gesichtspunkte dabei nicht hervortraten. Dagegen werfen wir noch einen
Blick auf die dritte Berathung desselben Gesetzes. Bei derselben wurde in
Bezug auf den principiellen Standpunkt von zwei Rednern eine nicht un¬
bedeutende Nachlese gehalten. Der eine davon war der Abgeordnete Jörg,
Mitglied des Centrums und Herausgeber der historisch-politischen Blätter in
München. Sein Auftreten konnte umsomehr Aufmerksamkeit erregen, als
man wußte, daß er zu Zeiten Befürworter der preußischen Hegemonie in
Deutschland gewesen, natürlich unter der Bedingung, daß dadurch Macht
und Wirksamkeit der römisch-katholischen Kirche auf deutschem Boden nicht
geschmälert würden. Es sind das vielleicht Träume, die gleichwohl ein
deutsches und patriotisches Gemüth verrathen und die man deßhalb den
Träumender zum Guten anrechnen muß. Träume sind solche Gedanken vor
allem durch das vaticanische Concil geworden, während sie vorher für Zukunfts¬
bilder gelten konnten, denen doch nicht alle Möglichkeit der Verwirklichung
abzusprechen war. Jetzt gehört Herr Jörg begreiflicherweise zu den durch
das deutsche Reich Enttäuschten und gegen dasselbe Verbitterten. Auch ihn
konnte man indeß nur mit Bedauern gegen das Militärgesetz seine Zuflucht
nehmen sehen zu der revolutionären Budgettheorie. Wir wissen ja. daß beim
Kampf ums Leben die Meisten nach der nächsten Waffe greifen, ohne zu
prüfen, ob die Waffe für den Kämpfer taugt. Dennoch ist es befremdlich,
daß folgende Erwägung den bedeutenderen Köpfen des Centrums ganz zu
entgehen scheint. Es giebt — das ist unleugbar — bis jetzt viele ernste
Geister in Deutschland, welche aus religiöser Scheu und religiösem Mitgefühl
den Kampf des Reiches gegen die römische Kirche mit Sorge und selbst mit
Abneigung betrachten, die lieber heute wie morgen die Kunde von einem
zweckmäßig gefundenen Ausgleich vernehmen würden. Diese Geister macht
das Centrum mehr und mehr zu überzeugten Gegnern der römischen Sache
und zu Anhängern des Kampfes gegen dieselbe mit dem Aufgebot aller
Mittel, indem es die Bundesgenossenschaft auch der unhaltbarsten Irrthümer,
der verderblichsten Richtungen nicht verschmäht. Wenn der Ultramontanismus
es darauf anlegen wollte, dem ernsten Sinn des deutschen Volkes noch Achtung
abzunöthigen, so müßte er erscheinen als der unerschütterliche, durch ewige
Principien festgehaltene Bundesgenosse von Allem, was konservativ und
Dauer verleihend ist, was die Obrigkeit und den nationalen Zusammenhalt


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[0190] Dom deutschen Ueichstag. Wir übergehen die zweite Berathung des Milttärgesetzes in demjenigen Theil, welcher die auf den § 1 folgenden Paragraphen betraf, weil bedeutende Gesichtspunkte dabei nicht hervortraten. Dagegen werfen wir noch einen Blick auf die dritte Berathung desselben Gesetzes. Bei derselben wurde in Bezug auf den principiellen Standpunkt von zwei Rednern eine nicht un¬ bedeutende Nachlese gehalten. Der eine davon war der Abgeordnete Jörg, Mitglied des Centrums und Herausgeber der historisch-politischen Blätter in München. Sein Auftreten konnte umsomehr Aufmerksamkeit erregen, als man wußte, daß er zu Zeiten Befürworter der preußischen Hegemonie in Deutschland gewesen, natürlich unter der Bedingung, daß dadurch Macht und Wirksamkeit der römisch-katholischen Kirche auf deutschem Boden nicht geschmälert würden. Es sind das vielleicht Träume, die gleichwohl ein deutsches und patriotisches Gemüth verrathen und die man deßhalb den Träumender zum Guten anrechnen muß. Träume sind solche Gedanken vor allem durch das vaticanische Concil geworden, während sie vorher für Zukunfts¬ bilder gelten konnten, denen doch nicht alle Möglichkeit der Verwirklichung abzusprechen war. Jetzt gehört Herr Jörg begreiflicherweise zu den durch das deutsche Reich Enttäuschten und gegen dasselbe Verbitterten. Auch ihn konnte man indeß nur mit Bedauern gegen das Militärgesetz seine Zuflucht nehmen sehen zu der revolutionären Budgettheorie. Wir wissen ja. daß beim Kampf ums Leben die Meisten nach der nächsten Waffe greifen, ohne zu prüfen, ob die Waffe für den Kämpfer taugt. Dennoch ist es befremdlich, daß folgende Erwägung den bedeutenderen Köpfen des Centrums ganz zu entgehen scheint. Es giebt — das ist unleugbar — bis jetzt viele ernste Geister in Deutschland, welche aus religiöser Scheu und religiösem Mitgefühl den Kampf des Reiches gegen die römische Kirche mit Sorge und selbst mit Abneigung betrachten, die lieber heute wie morgen die Kunde von einem zweckmäßig gefundenen Ausgleich vernehmen würden. Diese Geister macht das Centrum mehr und mehr zu überzeugten Gegnern der römischen Sache und zu Anhängern des Kampfes gegen dieselbe mit dem Aufgebot aller Mittel, indem es die Bundesgenossenschaft auch der unhaltbarsten Irrthümer, der verderblichsten Richtungen nicht verschmäht. Wenn der Ultramontanismus es darauf anlegen wollte, dem ernsten Sinn des deutschen Volkes noch Achtung abzunöthigen, so müßte er erscheinen als der unerschütterliche, durch ewige Principien festgehaltene Bundesgenosse von Allem, was konservativ und Dauer verleihend ist, was die Obrigkeit und den nationalen Zusammenhalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/190>, abgerufen am 07.05.2024.