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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Kanäle für das deutsche Aeich!
Bon Ferd. Worthmann.

Bis in die neueste Zeit hat man bei uns die Wasserstraßen behandelt
wie eine jener alten "legitimen" Herrscherfamilien, die zu ihrer Zeit einmal
ganz respectable Dienste geleistet haben mögen, für die Gegenwart aber nichts
nütze sind und somit in einem Antiquitätenkabinet beigesetzt zu werden ver¬
dienen. Wenn Graf Jtzenplitz freilich als preußischer Handelsminister auf die
Jnterpellation, was er für unsere Kanäle zu thun gedenke, erwiderte: "Wir
haben ja die Eisenbahnen!" -- dann konnte man ihm dasselbe sagen,
was Byron im Don Juan vom Bischof Berkeley sagt:


WKon Lisbox Berkeley gxM tdors nah no matter,
It pas no matter ^vbat dö sala.

Aber auch Leute, von denen man etwas Besseres hätte erwarten sollen, unsere
Handelswelt, unsere Fabrikanten huldigten so ausschließlich der aufgehenden
Sonne, der Eisenbahn, daß sie darob den alten langjährigen Vertrauten, den
Wasserweg, völlig gering achteten. Die neue glänzende Erscheinung blendete
so sehr, daß man eine Zeit lang für die Vorgänge des Wassertransports kein
Auge hatte.

Frühere Zeiten hatten ihn wohl zu schätzen gewußt. Der Franzose Col-
bert, die Russin Katharina II., in Preußen der geniale Kurfürst und der
geniale König bauten durch Kanäle und kanalisirte Flüsse ein weitgespanntes
Netz von Wasserstraßen aus. Alle Staatsmänner von großem Blicke: in
absolut regierten Ländern nur diese! Denn der neue Kanal rentirt sich spät.
Allerdings siedeln sich an seinen Ufern Fabriken an, weil sie Bau-, Brenn-
und Rohstoffe dort auf die einfachste, leichteste und billigste Weise jederzeit
beziehen können; allein dies geschieht doch erst im Laufe vieler Jahre. In
absolut regierten Staaten aber gewinnen nur große Staatsmänner dem Luxus
des Hofes die Summen zu so kostspieligen Anlagen ab, deren Rentabilität
in weiter Ferne liegt. In freieren Ländern hat es so starker Triebkraft Ein-
Seiner selten bedurft, um sie durchzuführen. England nahm 1739 sein wunder¬
volles Kanalnetz in Angriff; Amerika begann zu Anfang dieses Jahrhunderts
den Erie- und den Champlain - Kanal zu bauen.


Grenzboten III. 1874. 21
Kanäle für das deutsche Aeich!
Bon Ferd. Worthmann.

Bis in die neueste Zeit hat man bei uns die Wasserstraßen behandelt
wie eine jener alten „legitimen" Herrscherfamilien, die zu ihrer Zeit einmal
ganz respectable Dienste geleistet haben mögen, für die Gegenwart aber nichts
nütze sind und somit in einem Antiquitätenkabinet beigesetzt zu werden ver¬
dienen. Wenn Graf Jtzenplitz freilich als preußischer Handelsminister auf die
Jnterpellation, was er für unsere Kanäle zu thun gedenke, erwiderte: „Wir
haben ja die Eisenbahnen!" — dann konnte man ihm dasselbe sagen,
was Byron im Don Juan vom Bischof Berkeley sagt:


WKon Lisbox Berkeley gxM tdors nah no matter,
It pas no matter ^vbat dö sala.

Aber auch Leute, von denen man etwas Besseres hätte erwarten sollen, unsere
Handelswelt, unsere Fabrikanten huldigten so ausschließlich der aufgehenden
Sonne, der Eisenbahn, daß sie darob den alten langjährigen Vertrauten, den
Wasserweg, völlig gering achteten. Die neue glänzende Erscheinung blendete
so sehr, daß man eine Zeit lang für die Vorgänge des Wassertransports kein
Auge hatte.

Frühere Zeiten hatten ihn wohl zu schätzen gewußt. Der Franzose Col-
bert, die Russin Katharina II., in Preußen der geniale Kurfürst und der
geniale König bauten durch Kanäle und kanalisirte Flüsse ein weitgespanntes
Netz von Wasserstraßen aus. Alle Staatsmänner von großem Blicke: in
absolut regierten Ländern nur diese! Denn der neue Kanal rentirt sich spät.
Allerdings siedeln sich an seinen Ufern Fabriken an, weil sie Bau-, Brenn-
und Rohstoffe dort auf die einfachste, leichteste und billigste Weise jederzeit
beziehen können; allein dies geschieht doch erst im Laufe vieler Jahre. In
absolut regierten Staaten aber gewinnen nur große Staatsmänner dem Luxus
des Hofes die Summen zu so kostspieligen Anlagen ab, deren Rentabilität
in weiter Ferne liegt. In freieren Ländern hat es so starker Triebkraft Ein-
Seiner selten bedurft, um sie durchzuführen. England nahm 1739 sein wunder¬
volles Kanalnetz in Angriff; Amerika begann zu Anfang dieses Jahrhunderts
den Erie- und den Champlain - Kanal zu bauen.


Grenzboten III. 1874. 21
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[0169] Kanäle für das deutsche Aeich! Bon Ferd. Worthmann. Bis in die neueste Zeit hat man bei uns die Wasserstraßen behandelt wie eine jener alten „legitimen" Herrscherfamilien, die zu ihrer Zeit einmal ganz respectable Dienste geleistet haben mögen, für die Gegenwart aber nichts nütze sind und somit in einem Antiquitätenkabinet beigesetzt zu werden ver¬ dienen. Wenn Graf Jtzenplitz freilich als preußischer Handelsminister auf die Jnterpellation, was er für unsere Kanäle zu thun gedenke, erwiderte: „Wir haben ja die Eisenbahnen!" — dann konnte man ihm dasselbe sagen, was Byron im Don Juan vom Bischof Berkeley sagt: WKon Lisbox Berkeley gxM tdors nah no matter, It pas no matter ^vbat dö sala. Aber auch Leute, von denen man etwas Besseres hätte erwarten sollen, unsere Handelswelt, unsere Fabrikanten huldigten so ausschließlich der aufgehenden Sonne, der Eisenbahn, daß sie darob den alten langjährigen Vertrauten, den Wasserweg, völlig gering achteten. Die neue glänzende Erscheinung blendete so sehr, daß man eine Zeit lang für die Vorgänge des Wassertransports kein Auge hatte. Frühere Zeiten hatten ihn wohl zu schätzen gewußt. Der Franzose Col- bert, die Russin Katharina II., in Preußen der geniale Kurfürst und der geniale König bauten durch Kanäle und kanalisirte Flüsse ein weitgespanntes Netz von Wasserstraßen aus. Alle Staatsmänner von großem Blicke: in absolut regierten Ländern nur diese! Denn der neue Kanal rentirt sich spät. Allerdings siedeln sich an seinen Ufern Fabriken an, weil sie Bau-, Brenn- und Rohstoffe dort auf die einfachste, leichteste und billigste Weise jederzeit beziehen können; allein dies geschieht doch erst im Laufe vieler Jahre. In absolut regierten Staaten aber gewinnen nur große Staatsmänner dem Luxus des Hofes die Summen zu so kostspieligen Anlagen ab, deren Rentabilität in weiter Ferne liegt. In freieren Ländern hat es so starker Triebkraft Ein- Seiner selten bedurft, um sie durchzuführen. England nahm 1739 sein wunder¬ volles Kanalnetz in Angriff; Amerika begann zu Anfang dieses Jahrhunderts den Erie- und den Champlain - Kanal zu bauen. Grenzboten III. 1874. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/169>, abgerufen am 05.05.2024.