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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Die preußische Uheinprovinz in den Jahren 1815 bis 1850.

Von den Rheinländern war die unter Blücher stehende schlesische Armee
Mit Freuden aufgenommen worden. Die tyrannische Herrschaft Napoleon's,
seine Präfektenverwaltung, die Continentalsperre, die Vernichtung des Handels,
die Stockung des Feldbaues, die Lähmung der Industrie*), die fortwährende
Rekrutirung**) waren nicht geeignet gewesen, die deutsche Gesinnung der
Rheinländer umzuwandeln. Nicht blos ihre Sprache, ihre Sitte, und ihr
Familienleben, sondern auch ihr Charakter, ihre Anschauung und ihre Er¬
innerung waren deutsch und wohl waren sie sich bewußt, daß die reichen Ufer
ihres herrlichen Stromes die Wiege deutscher Größe und deutscher Kunst
waren, daß der Wohlstand, der im Mittelalter in ihren Gauen herrschte, sich
nur in Verbindung mit Deutschland wieder erneuern konnte und daß sie
auch nur in dieser Verbindung politische Bedeutung hatten. "Ihr sollt wissen",
sagte damals der rheinische Merkur -- "daß am Rhein ein Volk lebt,
welches die Grundzüge seines Charakters in einer älteren, rechtlicheren,
frömmeren Zeit empfing, als es die letzte in dem Wüste alles Lasters unter¬
gegangene gewesen ist. Es wogt in der Mehrzahl noch viel Liebe für altes
Recht und deutsche Treue, die noch unerschüttert auf dem redlichen Sinne und
dem sicheren Glauben der Vorzeit ruhen. Wir halten zur deutschen, zur
guten Partei!"

Mit Jubel hatten die Rheinländer im Befreiungskriege die preußische
Armee empfangen und diese deutsche Gesinnung hat sich auch später im Jahre
1840, wo Krieg mit Frankreich drohte, kundgegeben. Auch hatten die Rhein-




") Vergleiche die Rede von Raynouard in der Sitzung des gesetzgebenden Körpers zu Paris
Un December 1813. (Politisches Journal vom Jahre 1314 S, 108 bis 140.)
") In Folge der Rekrutirungen war im Januar 1813 ein nicht ganz unbedeutender Auf¬
stand im Großherzogthum Berg am Niederrhein ausgebrochen. Die Bewohner der Städte und
Dörfer des Elberfelder Kreises, welche die Russen und Preußen näher dachten, als wirklich der
Fall war, widersetzten sich der Conftription; die Soldaten mußten sich zurückziehen. Der Anf¬
uhr verbreitete sich schnell über die ganze Gegend und selbst Siegen und Dillenburg nahmen
daran Theil. In Elberfeld und Barmer versah man sich mit Fahnen. Leider hatten die Massen
Bitten tüchtigen Anführer und so wurde der Aufstand sehr bald unterdrückt. Strenge Strafen
>parer die Folge und nicht wenige Theilnehmer, unter ihnen auch der wackere Gastwirth
Devaranne und Wald, wurden erschossen.
Grenzboten III. 1874. 26
Die preußische Uheinprovinz in den Jahren 1815 bis 1850.

Von den Rheinländern war die unter Blücher stehende schlesische Armee
Mit Freuden aufgenommen worden. Die tyrannische Herrschaft Napoleon's,
seine Präfektenverwaltung, die Continentalsperre, die Vernichtung des Handels,
die Stockung des Feldbaues, die Lähmung der Industrie*), die fortwährende
Rekrutirung**) waren nicht geeignet gewesen, die deutsche Gesinnung der
Rheinländer umzuwandeln. Nicht blos ihre Sprache, ihre Sitte, und ihr
Familienleben, sondern auch ihr Charakter, ihre Anschauung und ihre Er¬
innerung waren deutsch und wohl waren sie sich bewußt, daß die reichen Ufer
ihres herrlichen Stromes die Wiege deutscher Größe und deutscher Kunst
waren, daß der Wohlstand, der im Mittelalter in ihren Gauen herrschte, sich
nur in Verbindung mit Deutschland wieder erneuern konnte und daß sie
auch nur in dieser Verbindung politische Bedeutung hatten. „Ihr sollt wissen",
sagte damals der rheinische Merkur — „daß am Rhein ein Volk lebt,
welches die Grundzüge seines Charakters in einer älteren, rechtlicheren,
frömmeren Zeit empfing, als es die letzte in dem Wüste alles Lasters unter¬
gegangene gewesen ist. Es wogt in der Mehrzahl noch viel Liebe für altes
Recht und deutsche Treue, die noch unerschüttert auf dem redlichen Sinne und
dem sicheren Glauben der Vorzeit ruhen. Wir halten zur deutschen, zur
guten Partei!"

Mit Jubel hatten die Rheinländer im Befreiungskriege die preußische
Armee empfangen und diese deutsche Gesinnung hat sich auch später im Jahre
1840, wo Krieg mit Frankreich drohte, kundgegeben. Auch hatten die Rhein-




") Vergleiche die Rede von Raynouard in der Sitzung des gesetzgebenden Körpers zu Paris
Un December 1813. (Politisches Journal vom Jahre 1314 S, 108 bis 140.)
") In Folge der Rekrutirungen war im Januar 1813 ein nicht ganz unbedeutender Auf¬
stand im Großherzogthum Berg am Niederrhein ausgebrochen. Die Bewohner der Städte und
Dörfer des Elberfelder Kreises, welche die Russen und Preußen näher dachten, als wirklich der
Fall war, widersetzten sich der Conftription; die Soldaten mußten sich zurückziehen. Der Anf¬
uhr verbreitete sich schnell über die ganze Gegend und selbst Siegen und Dillenburg nahmen
daran Theil. In Elberfeld und Barmer versah man sich mit Fahnen. Leider hatten die Massen
Bitten tüchtigen Anführer und so wurde der Aufstand sehr bald unterdrückt. Strenge Strafen
>parer die Folge und nicht wenige Theilnehmer, unter ihnen auch der wackere Gastwirth
Devaranne und Wald, wurden erschossen.
Grenzboten III. 1874. 26
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[0209] Die preußische Uheinprovinz in den Jahren 1815 bis 1850. Von den Rheinländern war die unter Blücher stehende schlesische Armee Mit Freuden aufgenommen worden. Die tyrannische Herrschaft Napoleon's, seine Präfektenverwaltung, die Continentalsperre, die Vernichtung des Handels, die Stockung des Feldbaues, die Lähmung der Industrie*), die fortwährende Rekrutirung**) waren nicht geeignet gewesen, die deutsche Gesinnung der Rheinländer umzuwandeln. Nicht blos ihre Sprache, ihre Sitte, und ihr Familienleben, sondern auch ihr Charakter, ihre Anschauung und ihre Er¬ innerung waren deutsch und wohl waren sie sich bewußt, daß die reichen Ufer ihres herrlichen Stromes die Wiege deutscher Größe und deutscher Kunst waren, daß der Wohlstand, der im Mittelalter in ihren Gauen herrschte, sich nur in Verbindung mit Deutschland wieder erneuern konnte und daß sie auch nur in dieser Verbindung politische Bedeutung hatten. „Ihr sollt wissen", sagte damals der rheinische Merkur — „daß am Rhein ein Volk lebt, welches die Grundzüge seines Charakters in einer älteren, rechtlicheren, frömmeren Zeit empfing, als es die letzte in dem Wüste alles Lasters unter¬ gegangene gewesen ist. Es wogt in der Mehrzahl noch viel Liebe für altes Recht und deutsche Treue, die noch unerschüttert auf dem redlichen Sinne und dem sicheren Glauben der Vorzeit ruhen. Wir halten zur deutschen, zur guten Partei!" Mit Jubel hatten die Rheinländer im Befreiungskriege die preußische Armee empfangen und diese deutsche Gesinnung hat sich auch später im Jahre 1840, wo Krieg mit Frankreich drohte, kundgegeben. Auch hatten die Rhein- ") Vergleiche die Rede von Raynouard in der Sitzung des gesetzgebenden Körpers zu Paris Un December 1813. (Politisches Journal vom Jahre 1314 S, 108 bis 140.) ") In Folge der Rekrutirungen war im Januar 1813 ein nicht ganz unbedeutender Auf¬ stand im Großherzogthum Berg am Niederrhein ausgebrochen. Die Bewohner der Städte und Dörfer des Elberfelder Kreises, welche die Russen und Preußen näher dachten, als wirklich der Fall war, widersetzten sich der Conftription; die Soldaten mußten sich zurückziehen. Der Anf¬ uhr verbreitete sich schnell über die ganze Gegend und selbst Siegen und Dillenburg nahmen daran Theil. In Elberfeld und Barmer versah man sich mit Fahnen. Leider hatten die Massen Bitten tüchtigen Anführer und so wurde der Aufstand sehr bald unterdrückt. Strenge Strafen >parer die Folge und nicht wenige Theilnehmer, unter ihnen auch der wackere Gastwirth Devaranne und Wald, wurden erschossen. Grenzboten III. 1874. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/209>, abgerufen am 06.05.2024.