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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Die deutsche Herichtsorganisation und die Kleinstaaten.

Noch liegt das Ziel, auf welches wir mit den vom Bundesrath ge¬
nehmigten Entwürfen der Civil- und Strafprozeßordnung und des Gerichts¬
verfassungsgeseyes zusteuern, in ungewisser Ferne, um so deutlicher zeigen sich
aber schon jetzt zahlreiche Klippen und Sturmwolken als drohende Hindernisse
einer Fahrt, die das Höchste an Geschicklichkeit, wie an patriotischer Hingebung
von Denen fordert, welchen sie anvertraut ist.

Stände bloß das Schicksal der Prozeßordnungen in Frage, so ließe sich
das Weitere mit größerer Zuversicht erwarten. Trotz der Verschiedenheit der
Ansichten über die mannigfachen darin zum Ausdruck gelangten Abweichungen
von dem bestehenden Rechtszustande, findet sich doch in dem unwiderstehlichen
Drange nach Rechtseinheit die sicherste Gewähr für eine schlteßliche Ver¬
ständigung. Dagegen treten, sowohl was die Feststellung seiner Normen, als
namentlich was die künftige Ausführung betrifft, bei dem Gesetz über die
Einrichtung der Gerichte erheblichere Schwierigkeiten hervor. Dasselbe bildet
die gemeinsame Grundlage und die wesentliche Voraussetzung der beiden
Prozeßordnungen, indem es die Behörden, welche die letzteren handhaben und
dem Volke das Recht vermitteln sollen, in Umrissen bezeichnet, den Kreis
ihrer Zuständigkett abgrenzt, allgemeine zur Geschäftsordnung gehörige Punkte,
die Rechtshülfe, Gerichtssprache, Ferien :c. regelt. In höherm Maße wie die
Gesetze über das gerichtliche Verfahren, welche mehr die eigentlich juristischen
Kreise berühren, hat die künftige Gerichtsorganisation schon die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, es wird deßhalb gestattet sein, sie zum
Gegenstande einer Besprechung in diesen Blättern zu machen.

Und zwar richtet sich unser Blick zunächst auf ein Moment von wesentlich
politischer Bedeutung, das mehr als die ihrer Entscheidung harrenden erheb¬
licheren Streitfragen -- Beibehaltung der Schwurgerichte, Ausschließung des
Laienelements bei Aburtheilung der schweren Vergehen, Statthaftigkeit der
Berufung gegen die Endurtheile der Landgerichte und Handelsgerichte :c. --
das Gelingen des gesetzgeberischen Werkes beeinflussen dürfte. Wir meinen
die freie Stellung, welche bei der Durchführung des Gerichtsverfasfungsgesetzes
die einzelnen Staaten einnehmen werden. Aus den Motiven des Entwurfes
geht hervor, daß man aufs Sorgfältigste bemüht gewesen ist, die Selbständigkeit
der Bundesländer so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Nur soweit es
die Aufgabe des Gesetzes, "für die gleichmäßige Anwendung der
Prozeßordnungen die gemeinsamen Grundlagen zu schaffen",
unbedingt zu erfordern schien, hat man die Freiheit der einzelnen Staaten
eingeschränkt, man hat für das Reich bloß das in Anspruch nehmen wollen,


Die deutsche Herichtsorganisation und die Kleinstaaten.

Noch liegt das Ziel, auf welches wir mit den vom Bundesrath ge¬
nehmigten Entwürfen der Civil- und Strafprozeßordnung und des Gerichts¬
verfassungsgeseyes zusteuern, in ungewisser Ferne, um so deutlicher zeigen sich
aber schon jetzt zahlreiche Klippen und Sturmwolken als drohende Hindernisse
einer Fahrt, die das Höchste an Geschicklichkeit, wie an patriotischer Hingebung
von Denen fordert, welchen sie anvertraut ist.

Stände bloß das Schicksal der Prozeßordnungen in Frage, so ließe sich
das Weitere mit größerer Zuversicht erwarten. Trotz der Verschiedenheit der
Ansichten über die mannigfachen darin zum Ausdruck gelangten Abweichungen
von dem bestehenden Rechtszustande, findet sich doch in dem unwiderstehlichen
Drange nach Rechtseinheit die sicherste Gewähr für eine schlteßliche Ver¬
ständigung. Dagegen treten, sowohl was die Feststellung seiner Normen, als
namentlich was die künftige Ausführung betrifft, bei dem Gesetz über die
Einrichtung der Gerichte erheblichere Schwierigkeiten hervor. Dasselbe bildet
die gemeinsame Grundlage und die wesentliche Voraussetzung der beiden
Prozeßordnungen, indem es die Behörden, welche die letzteren handhaben und
dem Volke das Recht vermitteln sollen, in Umrissen bezeichnet, den Kreis
ihrer Zuständigkett abgrenzt, allgemeine zur Geschäftsordnung gehörige Punkte,
die Rechtshülfe, Gerichtssprache, Ferien :c. regelt. In höherm Maße wie die
Gesetze über das gerichtliche Verfahren, welche mehr die eigentlich juristischen
Kreise berühren, hat die künftige Gerichtsorganisation schon die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, es wird deßhalb gestattet sein, sie zum
Gegenstande einer Besprechung in diesen Blättern zu machen.

Und zwar richtet sich unser Blick zunächst auf ein Moment von wesentlich
politischer Bedeutung, das mehr als die ihrer Entscheidung harrenden erheb¬
licheren Streitfragen — Beibehaltung der Schwurgerichte, Ausschließung des
Laienelements bei Aburtheilung der schweren Vergehen, Statthaftigkeit der
Berufung gegen die Endurtheile der Landgerichte und Handelsgerichte :c. —
das Gelingen des gesetzgeberischen Werkes beeinflussen dürfte. Wir meinen
die freie Stellung, welche bei der Durchführung des Gerichtsverfasfungsgesetzes
die einzelnen Staaten einnehmen werden. Aus den Motiven des Entwurfes
geht hervor, daß man aufs Sorgfältigste bemüht gewesen ist, die Selbständigkeit
der Bundesländer so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Nur soweit es
die Aufgabe des Gesetzes, „für die gleichmäßige Anwendung der
Prozeßordnungen die gemeinsamen Grundlagen zu schaffen",
unbedingt zu erfordern schien, hat man die Freiheit der einzelnen Staaten
eingeschränkt, man hat für das Reich bloß das in Anspruch nehmen wollen,


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[0502] Die deutsche Herichtsorganisation und die Kleinstaaten. Noch liegt das Ziel, auf welches wir mit den vom Bundesrath ge¬ nehmigten Entwürfen der Civil- und Strafprozeßordnung und des Gerichts¬ verfassungsgeseyes zusteuern, in ungewisser Ferne, um so deutlicher zeigen sich aber schon jetzt zahlreiche Klippen und Sturmwolken als drohende Hindernisse einer Fahrt, die das Höchste an Geschicklichkeit, wie an patriotischer Hingebung von Denen fordert, welchen sie anvertraut ist. Stände bloß das Schicksal der Prozeßordnungen in Frage, so ließe sich das Weitere mit größerer Zuversicht erwarten. Trotz der Verschiedenheit der Ansichten über die mannigfachen darin zum Ausdruck gelangten Abweichungen von dem bestehenden Rechtszustande, findet sich doch in dem unwiderstehlichen Drange nach Rechtseinheit die sicherste Gewähr für eine schlteßliche Ver¬ ständigung. Dagegen treten, sowohl was die Feststellung seiner Normen, als namentlich was die künftige Ausführung betrifft, bei dem Gesetz über die Einrichtung der Gerichte erheblichere Schwierigkeiten hervor. Dasselbe bildet die gemeinsame Grundlage und die wesentliche Voraussetzung der beiden Prozeßordnungen, indem es die Behörden, welche die letzteren handhaben und dem Volke das Recht vermitteln sollen, in Umrissen bezeichnet, den Kreis ihrer Zuständigkett abgrenzt, allgemeine zur Geschäftsordnung gehörige Punkte, die Rechtshülfe, Gerichtssprache, Ferien :c. regelt. In höherm Maße wie die Gesetze über das gerichtliche Verfahren, welche mehr die eigentlich juristischen Kreise berühren, hat die künftige Gerichtsorganisation schon die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, es wird deßhalb gestattet sein, sie zum Gegenstande einer Besprechung in diesen Blättern zu machen. Und zwar richtet sich unser Blick zunächst auf ein Moment von wesentlich politischer Bedeutung, das mehr als die ihrer Entscheidung harrenden erheb¬ licheren Streitfragen — Beibehaltung der Schwurgerichte, Ausschließung des Laienelements bei Aburtheilung der schweren Vergehen, Statthaftigkeit der Berufung gegen die Endurtheile der Landgerichte und Handelsgerichte :c. — das Gelingen des gesetzgeberischen Werkes beeinflussen dürfte. Wir meinen die freie Stellung, welche bei der Durchführung des Gerichtsverfasfungsgesetzes die einzelnen Staaten einnehmen werden. Aus den Motiven des Entwurfes geht hervor, daß man aufs Sorgfältigste bemüht gewesen ist, die Selbständigkeit der Bundesländer so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Nur soweit es die Aufgabe des Gesetzes, „für die gleichmäßige Anwendung der Prozeßordnungen die gemeinsamen Grundlagen zu schaffen", unbedingt zu erfordern schien, hat man die Freiheit der einzelnen Staaten eingeschränkt, man hat für das Reich bloß das in Anspruch nehmen wollen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/502>, abgerufen am 05.05.2024.