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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Im Heschichte des Septenmts.
ii.
Das Mairesgesetz und die Stellung der Parteien.

Die Anforderungen, welche von Seiten der Regierung an die Thätigkeit
des zur Vorberathung der constitutionellen Gesetze ernannten Ausschusses
gestellt wurden, waren nicht gerade unbescheiden. Der Gesammtorganismus
des Staates war ja aus den Stürmen des Kriegsjahres im Ganzen unge-
schädigt hervorgegangen. Die alte Verwaltungsmaschine arbeitete in der Art
Wie unter dem Kaiserthum; zur Beseitigung der von Gambetta und Genossen
eingesetzten republikanisch gesinnten Staatsbeamten und zu ihrer Ersetzung
durch Parteigenossen der konservativen Mehrheit bedürfte es keiner neuen Ge¬
setze; das gesammte Präfecten- und Unterpräfectenpersonal war ganz von der
Gnade der Regierung abhängig, die jeden mißliebigen Beamten ohne Weiteres
seiner Stelle entsetzen konnte. Wenn die Negierung bisher von diesem Rechte
einen mäßigen Gebrauch gemacht hatte, so hatte dies nicht in ihrer Scheu
vor durchgreifenden Maßregeln seinen Grund, sondern lediglich in dem Mangel
an Persönlichkeiten, die zur Uebernahme der höheren Verwaltungsämter ge¬
eignet waren. Von den Beamten des Julikönigthums waren nur noch ver¬
einzelte Ueberbleibsel vorhanden; die Republik von 1848 hatte zu kurzen
Bestand gehabt, um ein Beamtenthum heranzubilden, abgesehen davon, daß
eine republikanische Vergangenheit die schlechteste Empfehlung in den Augen
der Regierung war. Die wirklich fähigen und im Dienste erprobten Beamten
hatten ihre Schule unter dem Kaiserthum gemacht, und waren in über¬
wiegender Mehrzahl der Sache, der sie lange gedient hatten, ergeben geblieben.
Auf diese Männer zurückzugreifen, hatte natürlich für die Regierung in der
Zeit, wo sie im Fahrwasser der Royalisten segelte, ernste Bedenken. Ohnehin
War trotz aller Maßregelungen von Seiten der Septembermänner in allen
Zweigen der Beamtenhierarchie -- Thiers war viel zu sehr Verwaltungsmann,
UM es über das Herz zu bringen, unter den erprobten Kräften aufzuräumen
das bonapartistische Element noch immer so stark vertreten, und machte
sich durch einen zähen versteckten Widerstand der Regierung oft so lästig, daß
ihr der Gedanke an eine Vermehrung desselben im höchsten Grade zuwider


Grenzboten IV. 1874. 41
Im Heschichte des Septenmts.
ii.
Das Mairesgesetz und die Stellung der Parteien.

Die Anforderungen, welche von Seiten der Regierung an die Thätigkeit
des zur Vorberathung der constitutionellen Gesetze ernannten Ausschusses
gestellt wurden, waren nicht gerade unbescheiden. Der Gesammtorganismus
des Staates war ja aus den Stürmen des Kriegsjahres im Ganzen unge-
schädigt hervorgegangen. Die alte Verwaltungsmaschine arbeitete in der Art
Wie unter dem Kaiserthum; zur Beseitigung der von Gambetta und Genossen
eingesetzten republikanisch gesinnten Staatsbeamten und zu ihrer Ersetzung
durch Parteigenossen der konservativen Mehrheit bedürfte es keiner neuen Ge¬
setze; das gesammte Präfecten- und Unterpräfectenpersonal war ganz von der
Gnade der Regierung abhängig, die jeden mißliebigen Beamten ohne Weiteres
seiner Stelle entsetzen konnte. Wenn die Negierung bisher von diesem Rechte
einen mäßigen Gebrauch gemacht hatte, so hatte dies nicht in ihrer Scheu
vor durchgreifenden Maßregeln seinen Grund, sondern lediglich in dem Mangel
an Persönlichkeiten, die zur Uebernahme der höheren Verwaltungsämter ge¬
eignet waren. Von den Beamten des Julikönigthums waren nur noch ver¬
einzelte Ueberbleibsel vorhanden; die Republik von 1848 hatte zu kurzen
Bestand gehabt, um ein Beamtenthum heranzubilden, abgesehen davon, daß
eine republikanische Vergangenheit die schlechteste Empfehlung in den Augen
der Regierung war. Die wirklich fähigen und im Dienste erprobten Beamten
hatten ihre Schule unter dem Kaiserthum gemacht, und waren in über¬
wiegender Mehrzahl der Sache, der sie lange gedient hatten, ergeben geblieben.
Auf diese Männer zurückzugreifen, hatte natürlich für die Regierung in der
Zeit, wo sie im Fahrwasser der Royalisten segelte, ernste Bedenken. Ohnehin
War trotz aller Maßregelungen von Seiten der Septembermänner in allen
Zweigen der Beamtenhierarchie — Thiers war viel zu sehr Verwaltungsmann,
UM es über das Herz zu bringen, unter den erprobten Kräften aufzuräumen
das bonapartistische Element noch immer so stark vertreten, und machte
sich durch einen zähen versteckten Widerstand der Regierung oft so lästig, daß
ihr der Gedanke an eine Vermehrung desselben im höchsten Grade zuwider


Grenzboten IV. 1874. 41
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[0325] Im Heschichte des Septenmts. ii. Das Mairesgesetz und die Stellung der Parteien. Die Anforderungen, welche von Seiten der Regierung an die Thätigkeit des zur Vorberathung der constitutionellen Gesetze ernannten Ausschusses gestellt wurden, waren nicht gerade unbescheiden. Der Gesammtorganismus des Staates war ja aus den Stürmen des Kriegsjahres im Ganzen unge- schädigt hervorgegangen. Die alte Verwaltungsmaschine arbeitete in der Art Wie unter dem Kaiserthum; zur Beseitigung der von Gambetta und Genossen eingesetzten republikanisch gesinnten Staatsbeamten und zu ihrer Ersetzung durch Parteigenossen der konservativen Mehrheit bedürfte es keiner neuen Ge¬ setze; das gesammte Präfecten- und Unterpräfectenpersonal war ganz von der Gnade der Regierung abhängig, die jeden mißliebigen Beamten ohne Weiteres seiner Stelle entsetzen konnte. Wenn die Negierung bisher von diesem Rechte einen mäßigen Gebrauch gemacht hatte, so hatte dies nicht in ihrer Scheu vor durchgreifenden Maßregeln seinen Grund, sondern lediglich in dem Mangel an Persönlichkeiten, die zur Uebernahme der höheren Verwaltungsämter ge¬ eignet waren. Von den Beamten des Julikönigthums waren nur noch ver¬ einzelte Ueberbleibsel vorhanden; die Republik von 1848 hatte zu kurzen Bestand gehabt, um ein Beamtenthum heranzubilden, abgesehen davon, daß eine republikanische Vergangenheit die schlechteste Empfehlung in den Augen der Regierung war. Die wirklich fähigen und im Dienste erprobten Beamten hatten ihre Schule unter dem Kaiserthum gemacht, und waren in über¬ wiegender Mehrzahl der Sache, der sie lange gedient hatten, ergeben geblieben. Auf diese Männer zurückzugreifen, hatte natürlich für die Regierung in der Zeit, wo sie im Fahrwasser der Royalisten segelte, ernste Bedenken. Ohnehin War trotz aller Maßregelungen von Seiten der Septembermänner in allen Zweigen der Beamtenhierarchie — Thiers war viel zu sehr Verwaltungsmann, UM es über das Herz zu bringen, unter den erprobten Kräften aufzuräumen das bonapartistische Element noch immer so stark vertreten, und machte sich durch einen zähen versteckten Widerstand der Regierung oft so lästig, daß ihr der Gedanke an eine Vermehrung desselben im höchsten Grade zuwider Grenzboten IV. 1874. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/325>, abgerufen am 19.05.2024.