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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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war. Zu einem durchgreifenden allgemeinen Beamtenwechsel hatte sich daher
die Negierung Mac Mahon's bisher ebensowenig entschließen können, als
Thiers seiner Zeit. Mit der Einsetzung des Septennats und der Uebernahme
des Ministeriums des Innern durch Broglie änderte sich dies. Seit der
Niederlage der Royalisten war ein großer Theil der Bedenken, die gegen die
Verstärkung des bonapartistischen Elements im Beamtenpersonal vorgelegen
hatten, fortgefallen. Eine unerfreuliche Nothwendigkeit blieb es immerhin,
die locale Verwaltung den Anhängern des gestürzten Regimes anzuvertrauen,
deren propagandistischen Eifer man hinreichend kannte, aber es war eben,
wenn man anders die Regierungsmaschine mit voller Kraft gegen die republi-
canische Agitation, arbeiten lassen wollte, eine Nothwendigkeit, der Broglie
sich unterzog. Den Kampf gegen die Republicaner betrachtete er als seine
nächste und wichtigste Aufgabe, und für diesen Kampf konnte er der Unter¬
stützung des alten Beamtenthums gar nicht entbehren. straffes Zusammen¬
fassen der Staatsgewalt, das war die Losung im Negierungslager; ob man
damit dieser oder jener besonderen Gruppe der Mehrheit in die Hände ar¬
beitete, darauf konnte die Regierung in der Lage, in der sie sich befand, in
einem Augenblick, wo es galt, die Grundlage der aus dem Schiffbruch der
fusionistischen Bestrebungen geretteten Gewalt Mac Mahon's zu befestigen,
keine Rücksicht nehmen.

Wie schon angedeutet, bedürfte die Regierung, um die Verwaltung im
Gange zu halten, keiner durchgreifenden organischen Gesetzgebung. Es war
In dieser Beziehung genügend, wenn sie sich das Recht der Ernennung der
Maires, welches man in den Honigmonaten des Dccentralisationsschwindels ---
denn etwas Andres, als Schwindel und Humbug sind die Versuche der Fran¬
zosen auf dem Gebiete der Selbstverwaltung niemals gewesen -- den Gemeinden
übertragen hatte, zurückgeben ließ. Im Uebrigen beschränkten sich die Wünsche
der Negierung darauf, dem Marschall in einer zweiten Kammer eine Art von
Senat, ein Gegengewicht gegen die Nationalversammlung zu schaffen und
durch eine Modifikation des Wahlgesetzes diejenigen Elemente, in denen man
die Hauptstütze des Radikalismus zu sehen glaubte, von der Betheiligung an
den nächsten Wahlen auszuschließen.

Die.Dreißigercommission nahm denn auch alsbald ihre Arbeiten in An¬
griff und setzte vorläufig zwei Tage in der Woche für ihre Berathungen fest.
Aber es zeigte sich sehr bald, daß Monate darüber vergehen würden, bis sie
auch nur über einen der ihr zur Berathung vorliegenden Gegenstände eiltest
Beschluß faßte; ja ihre Hülflosigkeit und Verlegenheit war so groß, daß die
Ansicht wohl gerechtfertigt erscheinen konnte, sie werde überhaupt Nichts zst
Stande bringen. Welchen Gegenstand sollte sie zuerst in Angriff nehmen-
Der Regierung war offenbar an dem Wahlgesetze am meisten gelegen. Nu"


war. Zu einem durchgreifenden allgemeinen Beamtenwechsel hatte sich daher
die Negierung Mac Mahon's bisher ebensowenig entschließen können, als
Thiers seiner Zeit. Mit der Einsetzung des Septennats und der Uebernahme
des Ministeriums des Innern durch Broglie änderte sich dies. Seit der
Niederlage der Royalisten war ein großer Theil der Bedenken, die gegen die
Verstärkung des bonapartistischen Elements im Beamtenpersonal vorgelegen
hatten, fortgefallen. Eine unerfreuliche Nothwendigkeit blieb es immerhin,
die locale Verwaltung den Anhängern des gestürzten Regimes anzuvertrauen,
deren propagandistischen Eifer man hinreichend kannte, aber es war eben,
wenn man anders die Regierungsmaschine mit voller Kraft gegen die republi-
canische Agitation, arbeiten lassen wollte, eine Nothwendigkeit, der Broglie
sich unterzog. Den Kampf gegen die Republicaner betrachtete er als seine
nächste und wichtigste Aufgabe, und für diesen Kampf konnte er der Unter¬
stützung des alten Beamtenthums gar nicht entbehren. straffes Zusammen¬
fassen der Staatsgewalt, das war die Losung im Negierungslager; ob man
damit dieser oder jener besonderen Gruppe der Mehrheit in die Hände ar¬
beitete, darauf konnte die Regierung in der Lage, in der sie sich befand, in
einem Augenblick, wo es galt, die Grundlage der aus dem Schiffbruch der
fusionistischen Bestrebungen geretteten Gewalt Mac Mahon's zu befestigen,
keine Rücksicht nehmen.

Wie schon angedeutet, bedürfte die Regierung, um die Verwaltung im
Gange zu halten, keiner durchgreifenden organischen Gesetzgebung. Es war
In dieser Beziehung genügend, wenn sie sich das Recht der Ernennung der
Maires, welches man in den Honigmonaten des Dccentralisationsschwindels —-
denn etwas Andres, als Schwindel und Humbug sind die Versuche der Fran¬
zosen auf dem Gebiete der Selbstverwaltung niemals gewesen — den Gemeinden
übertragen hatte, zurückgeben ließ. Im Uebrigen beschränkten sich die Wünsche
der Negierung darauf, dem Marschall in einer zweiten Kammer eine Art von
Senat, ein Gegengewicht gegen die Nationalversammlung zu schaffen und
durch eine Modifikation des Wahlgesetzes diejenigen Elemente, in denen man
die Hauptstütze des Radikalismus zu sehen glaubte, von der Betheiligung an
den nächsten Wahlen auszuschließen.

Die.Dreißigercommission nahm denn auch alsbald ihre Arbeiten in An¬
griff und setzte vorläufig zwei Tage in der Woche für ihre Berathungen fest.
Aber es zeigte sich sehr bald, daß Monate darüber vergehen würden, bis sie
auch nur über einen der ihr zur Berathung vorliegenden Gegenstände eiltest
Beschluß faßte; ja ihre Hülflosigkeit und Verlegenheit war so groß, daß die
Ansicht wohl gerechtfertigt erscheinen konnte, sie werde überhaupt Nichts zst
Stande bringen. Welchen Gegenstand sollte sie zuerst in Angriff nehmen-
Der Regierung war offenbar an dem Wahlgesetze am meisten gelegen. Nu"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/326>, abgerufen am 10.06.2024.