Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die beiden Häuser des preußischen Landtags haben ihre Präsidien con-
stituirt. Das des Abgeordnetenhauses besteht aus Bennigsen, Löwe, Bethusy-
Huc, das des Herrenhauses aus Graf Stolberg, von Bernuth und Hasselbach.
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. Januar legte der Finanz¬
minister den Staatshaushalt für 1873 vor. Der sehr interessante, die Ergeb¬
nisse zusammenfassende Einleitungsvortrag wird uns bei der Berathung des
Staatshaushaltes wiederholt Anlaß zur Besprechung geben.

In der Sitzung des Herrenhauses vom 22. Januar kamen ähnliche Be¬
schwerden, wie die des Grafen Frankenberg im Reichstag, über die Mühselig¬
keiten der Selbstverwaltung vor. Diesmal waren .es die Amtsvorsteher, über
deren Ueberbürdung und Arbeitslast verschiedene Herren klagten. Wir haben
nur zu wiederholen, was wir bei dem Vordringen derselben Beschwerde im
L! --r. Reichstag gesagt.




Der französische Aadicattsnms.

Es mehren sich die Zeichen, daß im Schooße des französischen Radikalis¬
mus die Revanchegedanken gegen Deutschland verblassen, um einem unwill¬
kürlichen Gefühl der Sympathie für dasselbe in seinem Kampf gegen den
Ultramontanismus Platz zu machen. So hat sich, während die gemäßigt re¬
publikanischen Blätter, wie die "Debats" und der "Temps", welche im Herzens¬
grund eigentlich orleanistisch sind und dies gegebenen Falls auch wieder offen
sein werden, so hat sich, sage ich, während diese "liberalen" Blätter nach wie
vor von der Kirchenverfolgung in Preußen reden, das Hauptorgan der radi¬
kalen Republikaner, die "Il,6MoIiqus trany." des Herrn Gambetta, in letzter Zeit
ganz entschieden dem richtigen Verständniß der Streitfrage zugeneigt. Aeußer-
lich knüpfte diese Umwandlung an das Gefecht an, welches zwischen Challesnel-
la-lacour und dem Bischof von Orleans in der Nationalversammlung über
die "Unterrichtsfreiheit" geliefert wurde. Dann bot sich Gelegenheit, an dem
Beispiel Belgiens die Gefahr zu zeigen, welche dem Staat erwachse, sobald er
die Kirche "frei" lasse. Ein Schritt weiter, und man konnte den nationalen
Gesinnungsgenossen in der Schweiz nur Recht geben, daß sie so kräftig gegen
die Klerikalen vorgingen, und endlich noch der letzte saure Schritt, man mußte,
hier und dort, zuerst indirect, zuletzt aber auch offen zugeben, daß Deutschland
in diesem Kampf ebenso in seinem Recht sei und deshalb allen Anspruch auf
den Neid des liberalen Frankreichs habe. Dieser letzte Gedanke, welchen aufzu-


Die beiden Häuser des preußischen Landtags haben ihre Präsidien con-
stituirt. Das des Abgeordnetenhauses besteht aus Bennigsen, Löwe, Bethusy-
Huc, das des Herrenhauses aus Graf Stolberg, von Bernuth und Hasselbach.
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. Januar legte der Finanz¬
minister den Staatshaushalt für 1873 vor. Der sehr interessante, die Ergeb¬
nisse zusammenfassende Einleitungsvortrag wird uns bei der Berathung des
Staatshaushaltes wiederholt Anlaß zur Besprechung geben.

In der Sitzung des Herrenhauses vom 22. Januar kamen ähnliche Be¬
schwerden, wie die des Grafen Frankenberg im Reichstag, über die Mühselig¬
keiten der Selbstverwaltung vor. Diesmal waren .es die Amtsvorsteher, über
deren Ueberbürdung und Arbeitslast verschiedene Herren klagten. Wir haben
nur zu wiederholen, was wir bei dem Vordringen derselben Beschwerde im
L! —r. Reichstag gesagt.




Der französische Aadicattsnms.

Es mehren sich die Zeichen, daß im Schooße des französischen Radikalis¬
mus die Revanchegedanken gegen Deutschland verblassen, um einem unwill¬
kürlichen Gefühl der Sympathie für dasselbe in seinem Kampf gegen den
Ultramontanismus Platz zu machen. So hat sich, während die gemäßigt re¬
publikanischen Blätter, wie die „Debats" und der „Temps", welche im Herzens¬
grund eigentlich orleanistisch sind und dies gegebenen Falls auch wieder offen
sein werden, so hat sich, sage ich, während diese „liberalen" Blätter nach wie
vor von der Kirchenverfolgung in Preußen reden, das Hauptorgan der radi¬
kalen Republikaner, die „Il,6MoIiqus trany." des Herrn Gambetta, in letzter Zeit
ganz entschieden dem richtigen Verständniß der Streitfrage zugeneigt. Aeußer-
lich knüpfte diese Umwandlung an das Gefecht an, welches zwischen Challesnel-
la-lacour und dem Bischof von Orleans in der Nationalversammlung über
die „Unterrichtsfreiheit" geliefert wurde. Dann bot sich Gelegenheit, an dem
Beispiel Belgiens die Gefahr zu zeigen, welche dem Staat erwachse, sobald er
die Kirche „frei" lasse. Ein Schritt weiter, und man konnte den nationalen
Gesinnungsgenossen in der Schweiz nur Recht geben, daß sie so kräftig gegen
die Klerikalen vorgingen, und endlich noch der letzte saure Schritt, man mußte,
hier und dort, zuerst indirect, zuletzt aber auch offen zugeben, daß Deutschland
in diesem Kampf ebenso in seinem Recht sei und deshalb allen Anspruch auf
den Neid des liberalen Frankreichs habe. Dieser letzte Gedanke, welchen aufzu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132962"/>
          <p xml:id="ID_686"> Die beiden Häuser des preußischen Landtags haben ihre Präsidien con-<lb/>
stituirt. Das des Abgeordnetenhauses besteht aus Bennigsen, Löwe, Bethusy-<lb/>
Huc, das des Herrenhauses aus Graf Stolberg, von Bernuth und Hasselbach.<lb/>
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. Januar legte der Finanz¬<lb/>
minister den Staatshaushalt für 1873 vor. Der sehr interessante, die Ergeb¬<lb/>
nisse zusammenfassende Einleitungsvortrag wird uns bei der Berathung des<lb/>
Staatshaushaltes wiederholt Anlaß zur Besprechung geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_687"> In der Sitzung des Herrenhauses vom 22. Januar kamen ähnliche Be¬<lb/>
schwerden, wie die des Grafen Frankenberg im Reichstag, über die Mühselig¬<lb/>
keiten der Selbstverwaltung vor. Diesmal waren .es die Amtsvorsteher, über<lb/>
deren Ueberbürdung und Arbeitslast verschiedene Herren klagten. Wir haben<lb/>
nur zu wiederholen, was wir bei dem Vordringen derselben Beschwerde im<lb/><note type="byline"> L! &#x2014;r.</note> Reichstag gesagt. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der französische Aadicattsnms.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_688" next="#ID_689"> Es mehren sich die Zeichen, daß im Schooße des französischen Radikalis¬<lb/>
mus die Revanchegedanken gegen Deutschland verblassen, um einem unwill¬<lb/>
kürlichen Gefühl der Sympathie für dasselbe in seinem Kampf gegen den<lb/>
Ultramontanismus Platz zu machen. So hat sich, während die gemäßigt re¬<lb/>
publikanischen Blätter, wie die &#x201E;Debats" und der &#x201E;Temps", welche im Herzens¬<lb/>
grund eigentlich orleanistisch sind und dies gegebenen Falls auch wieder offen<lb/>
sein werden, so hat sich, sage ich, während diese &#x201E;liberalen" Blätter nach wie<lb/>
vor von der Kirchenverfolgung in Preußen reden, das Hauptorgan der radi¬<lb/>
kalen Republikaner, die &#x201E;Il,6MoIiqus trany." des Herrn Gambetta, in letzter Zeit<lb/>
ganz entschieden dem richtigen Verständniß der Streitfrage zugeneigt. Aeußer-<lb/>
lich knüpfte diese Umwandlung an das Gefecht an, welches zwischen Challesnel-<lb/>
la-lacour und dem Bischof von Orleans in der Nationalversammlung über<lb/>
die &#x201E;Unterrichtsfreiheit" geliefert wurde. Dann bot sich Gelegenheit, an dem<lb/>
Beispiel Belgiens die Gefahr zu zeigen, welche dem Staat erwachse, sobald er<lb/>
die Kirche &#x201E;frei" lasse. Ein Schritt weiter, und man konnte den nationalen<lb/>
Gesinnungsgenossen in der Schweiz nur Recht geben, daß sie so kräftig gegen<lb/>
die Klerikalen vorgingen, und endlich noch der letzte saure Schritt, man mußte,<lb/>
hier und dort, zuerst indirect, zuletzt aber auch offen zugeben, daß Deutschland<lb/>
in diesem Kampf ebenso in seinem Recht sei und deshalb allen Anspruch auf<lb/>
den Neid des liberalen Frankreichs habe.  Dieser letzte Gedanke, welchen aufzu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Die beiden Häuser des preußischen Landtags haben ihre Präsidien con- stituirt. Das des Abgeordnetenhauses besteht aus Bennigsen, Löwe, Bethusy- Huc, das des Herrenhauses aus Graf Stolberg, von Bernuth und Hasselbach. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. Januar legte der Finanz¬ minister den Staatshaushalt für 1873 vor. Der sehr interessante, die Ergeb¬ nisse zusammenfassende Einleitungsvortrag wird uns bei der Berathung des Staatshaushaltes wiederholt Anlaß zur Besprechung geben. In der Sitzung des Herrenhauses vom 22. Januar kamen ähnliche Be¬ schwerden, wie die des Grafen Frankenberg im Reichstag, über die Mühselig¬ keiten der Selbstverwaltung vor. Diesmal waren .es die Amtsvorsteher, über deren Ueberbürdung und Arbeitslast verschiedene Herren klagten. Wir haben nur zu wiederholen, was wir bei dem Vordringen derselben Beschwerde im L! —r. Reichstag gesagt. Der französische Aadicattsnms. Es mehren sich die Zeichen, daß im Schooße des französischen Radikalis¬ mus die Revanchegedanken gegen Deutschland verblassen, um einem unwill¬ kürlichen Gefühl der Sympathie für dasselbe in seinem Kampf gegen den Ultramontanismus Platz zu machen. So hat sich, während die gemäßigt re¬ publikanischen Blätter, wie die „Debats" und der „Temps", welche im Herzens¬ grund eigentlich orleanistisch sind und dies gegebenen Falls auch wieder offen sein werden, so hat sich, sage ich, während diese „liberalen" Blätter nach wie vor von der Kirchenverfolgung in Preußen reden, das Hauptorgan der radi¬ kalen Republikaner, die „Il,6MoIiqus trany." des Herrn Gambetta, in letzter Zeit ganz entschieden dem richtigen Verständniß der Streitfrage zugeneigt. Aeußer- lich knüpfte diese Umwandlung an das Gefecht an, welches zwischen Challesnel- la-lacour und dem Bischof von Orleans in der Nationalversammlung über die „Unterrichtsfreiheit" geliefert wurde. Dann bot sich Gelegenheit, an dem Beispiel Belgiens die Gefahr zu zeigen, welche dem Staat erwachse, sobald er die Kirche „frei" lasse. Ein Schritt weiter, und man konnte den nationalen Gesinnungsgenossen in der Schweiz nur Recht geben, daß sie so kräftig gegen die Klerikalen vorgingen, und endlich noch der letzte saure Schritt, man mußte, hier und dort, zuerst indirect, zuletzt aber auch offen zugeben, daß Deutschland in diesem Kampf ebenso in seinem Recht sei und deshalb allen Anspruch auf den Neid des liberalen Frankreichs habe. Dieser letzte Gedanke, welchen aufzu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/202>, abgerufen am 06.05.2024.