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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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dazu kommen, von Zetteln, die man auf Schußweite erkennen kann, zu sagen,
sie tragen kein äußeres Merkmal. Die ganze Zettelfrage, die nach zufälligen
Stimmungen bei der einen Wahl so, bei der andern so entschieden wird, läßt sich
allerdings auf vernünftige Weise überhaupt nicht entscheiden. Die vernünftige
Lösung des ganzen Problems liegt in der Beseitigung der geheimen Wahl, zu
welcher uns vielleicht der alljährige Schulze'sche Diätenantrag mit der Zeit verhilft.

Die Sitzung vom 22. Januar beschäftigte sich mit Rechnungsprüfungen
und mit der Schlußberathung über das Landsturmgesetz, das nach den Be¬
schlüssen der zweiten Lesung in namentlicher Abstimmung mit 198 gegen 84
Stimmen angenommen wurde. So hat denn das deutsche Volk durch seine
Vertretung mit großer Majorität erklärt, daß es Alles thun will, die unab¬
hängige Bestimmung über seine Geschicke, die ihm die Kämpfe von 1866 und
1870 endlich gegeben, zu behaupten. Wenn bei dieser Gelegenheit Herr
Liebknecht einen Versuch machte, den Reichstag durch die gewohnten Insulten
in der Berathung zu stören, so hatte dies kaum noch den Erfolg, einige Auf¬
regungen hervorzurufen. Man kennt die Absicht und ist eben deshalb nicht
verstimmt. Der Herr wird seine Methode, wenn er sie nicht einstellen will,
so steigern müssen, daß er den Reichstag zur Aufstellung bisher nicht in Be¬
reitschaft gestellter Schutzmittel nöthigt.

In derselben Sitzung genehmigte der Reichstag den Ankauf der Radzi-
will'schen Grundstücke in der Wilhelmstraße für Reichszwecke. Es war sehr
erfreulich, daß der Reichstag sich nicht stören ließ durch die Denunziation
eines mißvergnügten Agenten, welchem, wie es scheint, die Provision für den
seinerseits nicht bewirkten Kauf entgangen. Der Denunziant wollte insinüiren,
daß die Verkäufer durch betrügerische Vorspiegelung hoher Kaufgebote den
vom Reichstag anzunehmenden Kaufpreis erlangt hätten. Es war aber bei
den Verhandlungen, die zum wirklichen Abschluß geführt haben, gar kein
Kaufgebot namhaft gemacht worden, wie der Präsident des Reichskanzler¬
amtes bezeugte. Es war vielmehr ein recht unangebrachter Eifer, Allem was in
der Welt vorgeht, bei jeder beliebigen Gelegenheit auf den Grund zu kommen,
wenn einige Mitglieder, darunter auch Laster, die Angaben des Denunzianten
durch eine Commission prüfen lassen wollten.

In der Sitzung vom 23. Januar wurde ein Gesetz über die Erweiterung
der Umwallung von Straßburg an die Budgeteommission verwiesen, und das
Gesetz über Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung in dritter
Berathung zu Ende geführt, die definitive Abstimmung jedoch noch verschoben,
weil bei der dritten Berathung einige Aenderungen Annahme gefunden. ')





Die definitive Abstimmung ist inzwischen erfolgt und das Gesetz mit allen gegen 72
Stimmen, zu denen leider auch die der Abgeordneten v. Nostitz-Wallwitz und Könncritz ge¬
D. Red. hören, angenommen worden.
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dazu kommen, von Zetteln, die man auf Schußweite erkennen kann, zu sagen,
sie tragen kein äußeres Merkmal. Die ganze Zettelfrage, die nach zufälligen
Stimmungen bei der einen Wahl so, bei der andern so entschieden wird, läßt sich
allerdings auf vernünftige Weise überhaupt nicht entscheiden. Die vernünftige
Lösung des ganzen Problems liegt in der Beseitigung der geheimen Wahl, zu
welcher uns vielleicht der alljährige Schulze'sche Diätenantrag mit der Zeit verhilft.

Die Sitzung vom 22. Januar beschäftigte sich mit Rechnungsprüfungen
und mit der Schlußberathung über das Landsturmgesetz, das nach den Be¬
schlüssen der zweiten Lesung in namentlicher Abstimmung mit 198 gegen 84
Stimmen angenommen wurde. So hat denn das deutsche Volk durch seine
Vertretung mit großer Majorität erklärt, daß es Alles thun will, die unab¬
hängige Bestimmung über seine Geschicke, die ihm die Kämpfe von 1866 und
1870 endlich gegeben, zu behaupten. Wenn bei dieser Gelegenheit Herr
Liebknecht einen Versuch machte, den Reichstag durch die gewohnten Insulten
in der Berathung zu stören, so hatte dies kaum noch den Erfolg, einige Auf¬
regungen hervorzurufen. Man kennt die Absicht und ist eben deshalb nicht
verstimmt. Der Herr wird seine Methode, wenn er sie nicht einstellen will,
so steigern müssen, daß er den Reichstag zur Aufstellung bisher nicht in Be¬
reitschaft gestellter Schutzmittel nöthigt.

In derselben Sitzung genehmigte der Reichstag den Ankauf der Radzi-
will'schen Grundstücke in der Wilhelmstraße für Reichszwecke. Es war sehr
erfreulich, daß der Reichstag sich nicht stören ließ durch die Denunziation
eines mißvergnügten Agenten, welchem, wie es scheint, die Provision für den
seinerseits nicht bewirkten Kauf entgangen. Der Denunziant wollte insinüiren,
daß die Verkäufer durch betrügerische Vorspiegelung hoher Kaufgebote den
vom Reichstag anzunehmenden Kaufpreis erlangt hätten. Es war aber bei
den Verhandlungen, die zum wirklichen Abschluß geführt haben, gar kein
Kaufgebot namhaft gemacht worden, wie der Präsident des Reichskanzler¬
amtes bezeugte. Es war vielmehr ein recht unangebrachter Eifer, Allem was in
der Welt vorgeht, bei jeder beliebigen Gelegenheit auf den Grund zu kommen,
wenn einige Mitglieder, darunter auch Laster, die Angaben des Denunzianten
durch eine Commission prüfen lassen wollten.

In der Sitzung vom 23. Januar wurde ein Gesetz über die Erweiterung
der Umwallung von Straßburg an die Budgeteommission verwiesen, und das
Gesetz über Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung in dritter
Berathung zu Ende geführt, die definitive Abstimmung jedoch noch verschoben,
weil bei der dritten Berathung einige Aenderungen Annahme gefunden. ')





Die definitive Abstimmung ist inzwischen erfolgt und das Gesetz mit allen gegen 72
Stimmen, zu denen leider auch die der Abgeordneten v. Nostitz-Wallwitz und Könncritz ge¬
D. Red. hören, angenommen worden.
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[0201] dazu kommen, von Zetteln, die man auf Schußweite erkennen kann, zu sagen, sie tragen kein äußeres Merkmal. Die ganze Zettelfrage, die nach zufälligen Stimmungen bei der einen Wahl so, bei der andern so entschieden wird, läßt sich allerdings auf vernünftige Weise überhaupt nicht entscheiden. Die vernünftige Lösung des ganzen Problems liegt in der Beseitigung der geheimen Wahl, zu welcher uns vielleicht der alljährige Schulze'sche Diätenantrag mit der Zeit verhilft. Die Sitzung vom 22. Januar beschäftigte sich mit Rechnungsprüfungen und mit der Schlußberathung über das Landsturmgesetz, das nach den Be¬ schlüssen der zweiten Lesung in namentlicher Abstimmung mit 198 gegen 84 Stimmen angenommen wurde. So hat denn das deutsche Volk durch seine Vertretung mit großer Majorität erklärt, daß es Alles thun will, die unab¬ hängige Bestimmung über seine Geschicke, die ihm die Kämpfe von 1866 und 1870 endlich gegeben, zu behaupten. Wenn bei dieser Gelegenheit Herr Liebknecht einen Versuch machte, den Reichstag durch die gewohnten Insulten in der Berathung zu stören, so hatte dies kaum noch den Erfolg, einige Auf¬ regungen hervorzurufen. Man kennt die Absicht und ist eben deshalb nicht verstimmt. Der Herr wird seine Methode, wenn er sie nicht einstellen will, so steigern müssen, daß er den Reichstag zur Aufstellung bisher nicht in Be¬ reitschaft gestellter Schutzmittel nöthigt. In derselben Sitzung genehmigte der Reichstag den Ankauf der Radzi- will'schen Grundstücke in der Wilhelmstraße für Reichszwecke. Es war sehr erfreulich, daß der Reichstag sich nicht stören ließ durch die Denunziation eines mißvergnügten Agenten, welchem, wie es scheint, die Provision für den seinerseits nicht bewirkten Kauf entgangen. Der Denunziant wollte insinüiren, daß die Verkäufer durch betrügerische Vorspiegelung hoher Kaufgebote den vom Reichstag anzunehmenden Kaufpreis erlangt hätten. Es war aber bei den Verhandlungen, die zum wirklichen Abschluß geführt haben, gar kein Kaufgebot namhaft gemacht worden, wie der Präsident des Reichskanzler¬ amtes bezeugte. Es war vielmehr ein recht unangebrachter Eifer, Allem was in der Welt vorgeht, bei jeder beliebigen Gelegenheit auf den Grund zu kommen, wenn einige Mitglieder, darunter auch Laster, die Angaben des Denunzianten durch eine Commission prüfen lassen wollten. In der Sitzung vom 23. Januar wurde ein Gesetz über die Erweiterung der Umwallung von Straßburg an die Budgeteommission verwiesen, und das Gesetz über Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung in dritter Berathung zu Ende geführt, die definitive Abstimmung jedoch noch verschoben, weil bei der dritten Berathung einige Aenderungen Annahme gefunden. ') Die definitive Abstimmung ist inzwischen erfolgt und das Gesetz mit allen gegen 72 Stimmen, zu denen leider auch die der Abgeordneten v. Nostitz-Wallwitz und Könncritz ge¬ D. Red. hören, angenommen worden. Grenzboten l. l87l>.25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/201>, abgerufen am 19.05.2024.