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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Im Aeform unserer öffentlichen Bibliotheken.

Es war im Jahre 1869, als der Minister des öffentlichen Unterrichts
des Königreichs Italien, A. Bargoni, durch Decret vom 20. Juli eine
Commission von Senatoren, Parlamentsdeputirten, Bibliothekaren und Archi¬
varen unter dem Vorsitz des Grafen Luigi Cibrario einsetzte,-um "die
Reformen zu studieren, welche in der Katalogisirung, Ordnung und Verwaltung
der Bibliotheken des Reiches einzuführen wären", und um auf Grund dessen
ein "allgemeines Reglement" (liöAoiamLnto gcznerals) für alle Italie¬
nischen Bibliotheken zu entwerfen, sowie zu untersuchen, ob an den Universi¬
täten "ein Cursus für Bibliologie" einzurichten, der für den Zutritt zu
Bibliothekämtern obligatorisch wäre.

Dieser Schritt, wenn er auch praktisch nicht über die Vorschläge der
Commission hinausführte*), war doch theoretisch für das Bibliothekwesen von
höchster Wichtigkeit. Denn hier zum ersten Male war von der Staatsleitung
das Bedürfniß einer Reform der Bibliotheken im Sinne einheitlicher
Regelung und die Unerläßlichkeit genügender technischer Vorbildung der Biblio¬
thekbeamten gebührend anerkannt.

Es lag schon damals nahe, im Hinblick darauf unsere deutschen Biblio¬
theken ins Auge zu fassen, deren Zustände so mannigfaltig gestaltet sind, daß
die Frage gewiß berechtigt erscheint, ob nicht auch für unsere Bibliothekver¬
hältnisse und in welcher Weise eine übereinstimmende Regelung möglich,
wünschenswert!), ja nothwendig sei.

Diese Frage ist denn auch vor Kurzem aus biblothekarischen Kreisen
einer öffentlichen Erörterung unterzogen worden**), leider mit so wenig Geschick,
daß wir von einer Lösung noch weit entfernt sind.

Die Lösung aber ist um so dringlicher, als die bisherigen Einrichtungen
vieles Veraltete und Mangelhafte darbieten, und demzufolge bei einer großen
Zahl von Bibliotheken eine Neugestaltung im Werke ist. Dazu tritt noch
ein anderes Moment. Je mehr unsere öffentlichen Bücherschätze von Jahr zu
Jahr anwachsen, und je stärker ihre Benutzung wird, desto fühlbarer wird
das Bedürfniß, daß auf Vereinfachung der Organisation und Beseitigung
aller Erschwernisse des-Dienstes hingearbeitet werde, um mit den vorhandenen
Kräften den gesteigerten Anforderungen Genüge zu leisten. Will man nicht
das Personal vermehren, so wird man auf den Grundsatz, daß "Zeit Geld"
ist, Bedacht nehmen müssen.




') Die Aktenstücke sind gedruckt in P eus vide's "Anzeiger für Bibliographie und Biblio-
'hekwisscnschaft", S. 30t ff., 337 ff., 305 ff.
"
^ ) F. Nullmann, "Die Vibliotliekeieinrichtnngsknndc", Freiburg i, Br. 1874. Vergl.
"Jenaer Litcrawrzeitung", 1875, Ur. 6.
Im Aeform unserer öffentlichen Bibliotheken.

Es war im Jahre 1869, als der Minister des öffentlichen Unterrichts
des Königreichs Italien, A. Bargoni, durch Decret vom 20. Juli eine
Commission von Senatoren, Parlamentsdeputirten, Bibliothekaren und Archi¬
varen unter dem Vorsitz des Grafen Luigi Cibrario einsetzte,-um „die
Reformen zu studieren, welche in der Katalogisirung, Ordnung und Verwaltung
der Bibliotheken des Reiches einzuführen wären", und um auf Grund dessen
ein „allgemeines Reglement" (liöAoiamLnto gcznerals) für alle Italie¬
nischen Bibliotheken zu entwerfen, sowie zu untersuchen, ob an den Universi¬
täten „ein Cursus für Bibliologie" einzurichten, der für den Zutritt zu
Bibliothekämtern obligatorisch wäre.

Dieser Schritt, wenn er auch praktisch nicht über die Vorschläge der
Commission hinausführte*), war doch theoretisch für das Bibliothekwesen von
höchster Wichtigkeit. Denn hier zum ersten Male war von der Staatsleitung
das Bedürfniß einer Reform der Bibliotheken im Sinne einheitlicher
Regelung und die Unerläßlichkeit genügender technischer Vorbildung der Biblio¬
thekbeamten gebührend anerkannt.

Es lag schon damals nahe, im Hinblick darauf unsere deutschen Biblio¬
theken ins Auge zu fassen, deren Zustände so mannigfaltig gestaltet sind, daß
die Frage gewiß berechtigt erscheint, ob nicht auch für unsere Bibliothekver¬
hältnisse und in welcher Weise eine übereinstimmende Regelung möglich,
wünschenswert!), ja nothwendig sei.

Diese Frage ist denn auch vor Kurzem aus biblothekarischen Kreisen
einer öffentlichen Erörterung unterzogen worden**), leider mit so wenig Geschick,
daß wir von einer Lösung noch weit entfernt sind.

Die Lösung aber ist um so dringlicher, als die bisherigen Einrichtungen
vieles Veraltete und Mangelhafte darbieten, und demzufolge bei einer großen
Zahl von Bibliotheken eine Neugestaltung im Werke ist. Dazu tritt noch
ein anderes Moment. Je mehr unsere öffentlichen Bücherschätze von Jahr zu
Jahr anwachsen, und je stärker ihre Benutzung wird, desto fühlbarer wird
das Bedürfniß, daß auf Vereinfachung der Organisation und Beseitigung
aller Erschwernisse des-Dienstes hingearbeitet werde, um mit den vorhandenen
Kräften den gesteigerten Anforderungen Genüge zu leisten. Will man nicht
das Personal vermehren, so wird man auf den Grundsatz, daß „Zeit Geld"
ist, Bedacht nehmen müssen.




') Die Aktenstücke sind gedruckt in P eus vide's „Anzeiger für Bibliographie und Biblio-
'hekwisscnschaft", S. 30t ff., 337 ff., 305 ff.
"
^ ) F. Nullmann, „Die Vibliotliekeieinrichtnngsknndc", Freiburg i, Br. 1874. Vergl.
„Jenaer Litcrawrzeitung", 1875, Ur. 6.
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[0379] Im Aeform unserer öffentlichen Bibliotheken. Es war im Jahre 1869, als der Minister des öffentlichen Unterrichts des Königreichs Italien, A. Bargoni, durch Decret vom 20. Juli eine Commission von Senatoren, Parlamentsdeputirten, Bibliothekaren und Archi¬ varen unter dem Vorsitz des Grafen Luigi Cibrario einsetzte,-um „die Reformen zu studieren, welche in der Katalogisirung, Ordnung und Verwaltung der Bibliotheken des Reiches einzuführen wären", und um auf Grund dessen ein „allgemeines Reglement" (liöAoiamLnto gcznerals) für alle Italie¬ nischen Bibliotheken zu entwerfen, sowie zu untersuchen, ob an den Universi¬ täten „ein Cursus für Bibliologie" einzurichten, der für den Zutritt zu Bibliothekämtern obligatorisch wäre. Dieser Schritt, wenn er auch praktisch nicht über die Vorschläge der Commission hinausführte*), war doch theoretisch für das Bibliothekwesen von höchster Wichtigkeit. Denn hier zum ersten Male war von der Staatsleitung das Bedürfniß einer Reform der Bibliotheken im Sinne einheitlicher Regelung und die Unerläßlichkeit genügender technischer Vorbildung der Biblio¬ thekbeamten gebührend anerkannt. Es lag schon damals nahe, im Hinblick darauf unsere deutschen Biblio¬ theken ins Auge zu fassen, deren Zustände so mannigfaltig gestaltet sind, daß die Frage gewiß berechtigt erscheint, ob nicht auch für unsere Bibliothekver¬ hältnisse und in welcher Weise eine übereinstimmende Regelung möglich, wünschenswert!), ja nothwendig sei. Diese Frage ist denn auch vor Kurzem aus biblothekarischen Kreisen einer öffentlichen Erörterung unterzogen worden**), leider mit so wenig Geschick, daß wir von einer Lösung noch weit entfernt sind. Die Lösung aber ist um so dringlicher, als die bisherigen Einrichtungen vieles Veraltete und Mangelhafte darbieten, und demzufolge bei einer großen Zahl von Bibliotheken eine Neugestaltung im Werke ist. Dazu tritt noch ein anderes Moment. Je mehr unsere öffentlichen Bücherschätze von Jahr zu Jahr anwachsen, und je stärker ihre Benutzung wird, desto fühlbarer wird das Bedürfniß, daß auf Vereinfachung der Organisation und Beseitigung aller Erschwernisse des-Dienstes hingearbeitet werde, um mit den vorhandenen Kräften den gesteigerten Anforderungen Genüge zu leisten. Will man nicht das Personal vermehren, so wird man auf den Grundsatz, daß „Zeit Geld" ist, Bedacht nehmen müssen. ') Die Aktenstücke sind gedruckt in P eus vide's „Anzeiger für Bibliographie und Biblio- 'hekwisscnschaft", S. 30t ff., 337 ff., 305 ff. " ^ ) F. Nullmann, „Die Vibliotliekeieinrichtnngsknndc", Freiburg i, Br. 1874. Vergl. „Jenaer Litcrawrzeitung", 1875, Ur. 6.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/379>, abgerufen am 07.05.2024.