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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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unterliegen. Ob es Herrn v. Mittnacht, dem schlauen und nöthigenfalls auch
kühnen Politiker, gelingt, im letzten Augenblick ein Compromiß herauszu¬
schlagen, scheint uns jetzt allein noch die Frage. Dazu bedürfte es aber, so¬
wie die Dinge liegen, eines offenen Bruchs desselben mit der clerikalen
Partei, welchen H. v. M. bisher um jeden Preis zu vermeiden suchte. Das
ganze Land fordert endlich Klarheit über das Verhältniß des württembergi¬
schen Staats zu der reichsfeindlichen Macht der Kirche. Oder sollte etwa
Herr von Mittnacht daran denken, die letzte Karte auszuspielen, seine Schiffe
hinter sich zu verbrennen und die Führung der nationalen Partei in der
". Kammer zu übernehmen!?




Münchner Inefe.
in.

Mit den geistlichen Führern der Clerikalen stimmt fest und unentwegt
das Gros der bäuerlichen Deputaten, so daß man zweifeln kann, was man
mehr anstaunen soll, die feste Taktik, die diese Elemente zusammenhält oder
die blind vertrauende Willigkeit, mit der sie sich zusammen halten lassen.
Manchmal freilich hatte es schon den Anschein, wie wir auch früher schon an¬
gedeutet haben, als ob die Extremen der ultramontanen Partei nicht mehr so
recht fest das Heft in Händen hätten; wenn aber auf irgend welche Mitglie¬
der der Rechten, so können sie auf diese Abgeordneten des "platten Landes"
zählen. Sie sind die treue Heerfolge ihres Meisters, des Herrn Jörg.
Denn, wenn dieser sich auch hier und da die Miene giebt, als führe er nicht
mehr das große Wort unter seiner Schaar, er ist und bleibt doch das Haupt
derselben, alle seine Parteigenossen um eines Kopfes Länge überragend. Das
ist aber nur im geistigen Sinne zu verstehen, denn von Person ist Jörg ein
nicht allzugroßer Murr; wie in sich gekehrt, scheinbar oft der Debatte nicht
allzu aufmerksam folgend, sitzt er auf seinem Platze, seine Züge beleben sich
auch nicht sonderlich beim Reden, aber die prononcirte Art, mit der er spricht,
und seine schneidenden Worte in die Ohren der Hörer gleichsam einbohrt, ver¬
leihen seinen Reden eine hervorragende Bedeutung. Kein Gedanke, kein Wort
ist unüberlegt, jetzt ist's eine ätzende Schärfe, mit der er den Minister oder einen
Vorredner kritisirt, dann ein kaustischer Witz, mit dem er reizt, jetzt wieder
eine auch gegen den Gegner glatte Höflichkeit, unter der aber schon ein neuer
Angriff lauert, mit der er seinem Vortrag eine überraschende Wendung


unterliegen. Ob es Herrn v. Mittnacht, dem schlauen und nöthigenfalls auch
kühnen Politiker, gelingt, im letzten Augenblick ein Compromiß herauszu¬
schlagen, scheint uns jetzt allein noch die Frage. Dazu bedürfte es aber, so¬
wie die Dinge liegen, eines offenen Bruchs desselben mit der clerikalen
Partei, welchen H. v. M. bisher um jeden Preis zu vermeiden suchte. Das
ganze Land fordert endlich Klarheit über das Verhältniß des württembergi¬
schen Staats zu der reichsfeindlichen Macht der Kirche. Oder sollte etwa
Herr von Mittnacht daran denken, die letzte Karte auszuspielen, seine Schiffe
hinter sich zu verbrennen und die Führung der nationalen Partei in der
«. Kammer zu übernehmen!?




Münchner Inefe.
in.

Mit den geistlichen Führern der Clerikalen stimmt fest und unentwegt
das Gros der bäuerlichen Deputaten, so daß man zweifeln kann, was man
mehr anstaunen soll, die feste Taktik, die diese Elemente zusammenhält oder
die blind vertrauende Willigkeit, mit der sie sich zusammen halten lassen.
Manchmal freilich hatte es schon den Anschein, wie wir auch früher schon an¬
gedeutet haben, als ob die Extremen der ultramontanen Partei nicht mehr so
recht fest das Heft in Händen hätten; wenn aber auf irgend welche Mitglie¬
der der Rechten, so können sie auf diese Abgeordneten des „platten Landes"
zählen. Sie sind die treue Heerfolge ihres Meisters, des Herrn Jörg.
Denn, wenn dieser sich auch hier und da die Miene giebt, als führe er nicht
mehr das große Wort unter seiner Schaar, er ist und bleibt doch das Haupt
derselben, alle seine Parteigenossen um eines Kopfes Länge überragend. Das
ist aber nur im geistigen Sinne zu verstehen, denn von Person ist Jörg ein
nicht allzugroßer Murr; wie in sich gekehrt, scheinbar oft der Debatte nicht
allzu aufmerksam folgend, sitzt er auf seinem Platze, seine Züge beleben sich
auch nicht sonderlich beim Reden, aber die prononcirte Art, mit der er spricht,
und seine schneidenden Worte in die Ohren der Hörer gleichsam einbohrt, ver¬
leihen seinen Reden eine hervorragende Bedeutung. Kein Gedanke, kein Wort
ist unüberlegt, jetzt ist's eine ätzende Schärfe, mit der er den Minister oder einen
Vorredner kritisirt, dann ein kaustischer Witz, mit dem er reizt, jetzt wieder
eine auch gegen den Gegner glatte Höflichkeit, unter der aber schon ein neuer
Angriff lauert, mit der er seinem Vortrag eine überraschende Wendung


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[0514] unterliegen. Ob es Herrn v. Mittnacht, dem schlauen und nöthigenfalls auch kühnen Politiker, gelingt, im letzten Augenblick ein Compromiß herauszu¬ schlagen, scheint uns jetzt allein noch die Frage. Dazu bedürfte es aber, so¬ wie die Dinge liegen, eines offenen Bruchs desselben mit der clerikalen Partei, welchen H. v. M. bisher um jeden Preis zu vermeiden suchte. Das ganze Land fordert endlich Klarheit über das Verhältniß des württembergi¬ schen Staats zu der reichsfeindlichen Macht der Kirche. Oder sollte etwa Herr von Mittnacht daran denken, die letzte Karte auszuspielen, seine Schiffe hinter sich zu verbrennen und die Führung der nationalen Partei in der «. Kammer zu übernehmen!? Münchner Inefe. in. Mit den geistlichen Führern der Clerikalen stimmt fest und unentwegt das Gros der bäuerlichen Deputaten, so daß man zweifeln kann, was man mehr anstaunen soll, die feste Taktik, die diese Elemente zusammenhält oder die blind vertrauende Willigkeit, mit der sie sich zusammen halten lassen. Manchmal freilich hatte es schon den Anschein, wie wir auch früher schon an¬ gedeutet haben, als ob die Extremen der ultramontanen Partei nicht mehr so recht fest das Heft in Händen hätten; wenn aber auf irgend welche Mitglie¬ der der Rechten, so können sie auf diese Abgeordneten des „platten Landes" zählen. Sie sind die treue Heerfolge ihres Meisters, des Herrn Jörg. Denn, wenn dieser sich auch hier und da die Miene giebt, als führe er nicht mehr das große Wort unter seiner Schaar, er ist und bleibt doch das Haupt derselben, alle seine Parteigenossen um eines Kopfes Länge überragend. Das ist aber nur im geistigen Sinne zu verstehen, denn von Person ist Jörg ein nicht allzugroßer Murr; wie in sich gekehrt, scheinbar oft der Debatte nicht allzu aufmerksam folgend, sitzt er auf seinem Platze, seine Züge beleben sich auch nicht sonderlich beim Reden, aber die prononcirte Art, mit der er spricht, und seine schneidenden Worte in die Ohren der Hörer gleichsam einbohrt, ver¬ leihen seinen Reden eine hervorragende Bedeutung. Kein Gedanke, kein Wort ist unüberlegt, jetzt ist's eine ätzende Schärfe, mit der er den Minister oder einen Vorredner kritisirt, dann ein kaustischer Witz, mit dem er reizt, jetzt wieder eine auch gegen den Gegner glatte Höflichkeit, unter der aber schon ein neuer Angriff lauert, mit der er seinem Vortrag eine überraschende Wendung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/514>, abgerufen am 06.05.2024.