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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sie ja auch die Ehre -und den Vortheil, einen der Ihrigen in der einflu߬
reichsten Stellung an der Spitze der ganzen württembergischen Regierung zu
besitzen. Recht ungeschickt war es deßhalb von der Bonner "deutschen Reichs-
Mung", dein Organ für das katholische deutsche Volk, daß dieselbe vor einiger
Zeit Herrn von Mittnacht ausdrücklich als einen "Ultramontanen" für sich
reclamirte und ihn ihren katholischen Lesern im Gegensatz zu den bayrischen
Ministern Fäustle und Lutz als gut "römisch-katholischen" Mann vorstellte
und noch dazu mit siegestrunkener Freude auf die Zustände im Departement
der Auswärtigen hinwies. Letztere können allerdings einem guten Württem¬
berger schlaflose Nächte bereiten. Man höre! Jenes ganze Departement, die
Gesandtschaften eingeschlossen, ist fast ausschließlich von Katholiken verwaltet!
Und was das heißt! Alle württembergischen Staatsgeheimnisse der Gegenwart
und der Vergangenheit, die theuersten historischen Erinnerungen, die geheimsten
Correspondenzen seit den Zeiten des Herzogs Christof, kurz das ganze dem
Ministerium der Auswärtigen unterstehende Staatsarchiv -- ist vor den
Jesuiten nicht mehr sicher! Ist doch der Kanzleidirektor des Ministeriums
der Auswärtigen, der Alterego des Ministers, der Mann dem alle Geheim¬
nisse, auch die chiffrirten Correspondenzen offen stehen, nicht nur ein Katholik
wie Mittnacht, sondern ein eraltirter Convertit, der an der Spitze des katho¬
lischen Gesellenvereins in Stuttgart steht und den Versammlungen des Mainzer
Katholikenvereins nachzieht, kurz die württembergische Ausgabe des Herrn von
Los in Mainz. Das wird auch Herr v. Mittnacht nicht dementiren wollen.
Wie es aber in der Justiz steht, darüber haben ja die Grenzboten schon vor
Jahren berichtet.

Wir haben zu einer Zeit, als noch alles schwieg, die Anfänge dieser Be¬
strebungen ans Licht gezogen und die öffentliche Meinung auf dasjenige vor¬
bereitet, was jetzt eingetreten ist: Es mußte arg werden, es mußte dem
Schwaben, wie man hier zu sagen pflegt, erst "das Fell über die Ohren ge¬
zogen werden". Nun aber regt sich's überall, die Fluth steigt zusehends. Und
nun--kehren wir zu Herrn von Sick zurück. Bedenken Sie wohl, daß
Tick ein strenger Protestant, der Abgott des echten Stuttgarter Bürgerthums
und noch dazu ein Liebling wenn auch kein Zugehöriger der "Frommen" im
Lande ist: und Sie werden verstehen, was es bedeutet, wenn der Mann der
gefälligsten Formen, der Mann, der nicht kalt und berechnend ist wie Mitt¬
nacht, sondern mit einer gewissen Hingebung jeden nach seiner Weise zu be¬
handeln versteht, in die dermalen -- seit Hölder's Wahl zum Kammerpräsi¬
denten auch die nationale Partei nicht ausgenommen -- führerlose und möchte
ich fast sagen rathlose Ständekammer eintritt. Wohin die Würfel fallen
werden, kann für denjenigen, der das protestantische Württemberg kennt, und
die Verhältnisse im deutschen Reich in Rechnung zieht, keinem Zweifel


Grenzboten I. 187S. 64

sie ja auch die Ehre -und den Vortheil, einen der Ihrigen in der einflu߬
reichsten Stellung an der Spitze der ganzen württembergischen Regierung zu
besitzen. Recht ungeschickt war es deßhalb von der Bonner „deutschen Reichs-
Mung", dein Organ für das katholische deutsche Volk, daß dieselbe vor einiger
Zeit Herrn von Mittnacht ausdrücklich als einen „Ultramontanen" für sich
reclamirte und ihn ihren katholischen Lesern im Gegensatz zu den bayrischen
Ministern Fäustle und Lutz als gut „römisch-katholischen" Mann vorstellte
und noch dazu mit siegestrunkener Freude auf die Zustände im Departement
der Auswärtigen hinwies. Letztere können allerdings einem guten Württem¬
berger schlaflose Nächte bereiten. Man höre! Jenes ganze Departement, die
Gesandtschaften eingeschlossen, ist fast ausschließlich von Katholiken verwaltet!
Und was das heißt! Alle württembergischen Staatsgeheimnisse der Gegenwart
und der Vergangenheit, die theuersten historischen Erinnerungen, die geheimsten
Correspondenzen seit den Zeiten des Herzogs Christof, kurz das ganze dem
Ministerium der Auswärtigen unterstehende Staatsarchiv — ist vor den
Jesuiten nicht mehr sicher! Ist doch der Kanzleidirektor des Ministeriums
der Auswärtigen, der Alterego des Ministers, der Mann dem alle Geheim¬
nisse, auch die chiffrirten Correspondenzen offen stehen, nicht nur ein Katholik
wie Mittnacht, sondern ein eraltirter Convertit, der an der Spitze des katho¬
lischen Gesellenvereins in Stuttgart steht und den Versammlungen des Mainzer
Katholikenvereins nachzieht, kurz die württembergische Ausgabe des Herrn von
Los in Mainz. Das wird auch Herr v. Mittnacht nicht dementiren wollen.
Wie es aber in der Justiz steht, darüber haben ja die Grenzboten schon vor
Jahren berichtet.

Wir haben zu einer Zeit, als noch alles schwieg, die Anfänge dieser Be¬
strebungen ans Licht gezogen und die öffentliche Meinung auf dasjenige vor¬
bereitet, was jetzt eingetreten ist: Es mußte arg werden, es mußte dem
Schwaben, wie man hier zu sagen pflegt, erst „das Fell über die Ohren ge¬
zogen werden". Nun aber regt sich's überall, die Fluth steigt zusehends. Und
nun--kehren wir zu Herrn von Sick zurück. Bedenken Sie wohl, daß
Tick ein strenger Protestant, der Abgott des echten Stuttgarter Bürgerthums
und noch dazu ein Liebling wenn auch kein Zugehöriger der „Frommen" im
Lande ist: und Sie werden verstehen, was es bedeutet, wenn der Mann der
gefälligsten Formen, der Mann, der nicht kalt und berechnend ist wie Mitt¬
nacht, sondern mit einer gewissen Hingebung jeden nach seiner Weise zu be¬
handeln versteht, in die dermalen — seit Hölder's Wahl zum Kammerpräsi¬
denten auch die nationale Partei nicht ausgenommen — führerlose und möchte
ich fast sagen rathlose Ständekammer eintritt. Wohin die Würfel fallen
werden, kann für denjenigen, der das protestantische Württemberg kennt, und
die Verhältnisse im deutschen Reich in Rechnung zieht, keinem Zweifel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/513>, abgerufen am 19.05.2024.