Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der Arkaden in Mjzlcmd
(aus dem "Dziennik Warscewski,)"

Der im Januar 1876 geschehene feierliche und öffentliche Uebertritt von
30.000 Unirten im Königreich Polen zur griechisch-russischen Kirche ist eine
Thatsache, deren wohlthätige Folgen für dieses, periodischen Arnhem unter¬
worfene Land, keinem Zweifel unterliegen. Ueber dieses Faktum hat sich die
clerikale Partei in höchst unsympathischer Weise ausgesprochen.

Jetzt nun, da nach zwei Monaten die Leidenschaften sich ein wenig be¬
ruhigt haben und der gesunde Menschenverstand wieder in seine Rechte ge¬
treten ist, dürfte es an der Zeit sein, einige Worte in dieser Angelegenheit
zu sprechen, um die falschen Gerüchte zu zerstreuen, welche die Stimme der
Wahrheit dämpfen.

Es ist wohlbekannt, daß die an ihrer Volkstümlichkeit und Sprache so
sehr hängenden slavischen Stämme nur ungern sich dem Einflüsse der römi¬
schen Missionäre Hingaben, die zugleich mit der Lehre Christi, bei den Neu-
bekehrten in Kirche und Schule und überhaupt ins bürgerliche Leben den
Gebrauch der lateinischen Sprache und die Herrschaft des Papstes einführten.

Die ersten Apostel des Christenthums unter den Slaven waren griechische
Geistliche, die ausschließlich religiöse Zwecke verfolgend, jeglichem Gelüste nach
weltlicher Macht abhold waren. Darum wurden auch bei d'er Organisation
der geistlichen Angelegenheiten im neugebildeten Staatsleben einige Eigen¬
thümlichkeiten bewahrt, die aus dem Leben und dem Sein des Volkes flössen.
Seine Muttersprache, als sie zur Schriftsprache gedieh, ward auch die Sprache
des Cultus.

Als nothwendige Folge eines solchen Verhältnisses ergab sich, daß die
in der Volkssprache verkündeten Wahrheiten des Christenthums tiefer in das
Gewissen der jungen Völkerschaften eindrangen. Gleichzeitig hob sich auch
bedeutend das Niveau der geistigen Bildung in der Masse des Volkes, welches
somit für die mit solchem Eifer von dem lateinischen Clerus verbreiteten
Irrlehren und Vorurtheile keinen günstigen Boden bilden konnte.

Nachdem die römischen Oberhirten die orientalische Kirche (Zeiten des
Photius) schismatisch erklärt hatten, wandten sie zugleich jedes mögliche
Mittel an, die westlichen Slaven in den Schooß der römischen Kirche zu führen.
Die Slaven, gedrängt von allen Seiten durch katholische Volksstämme fremder
Herkunft, waren gezwungen der Uebermacht zu weichen. Am Ende des
XVI- Jahrhunderts aber, als die römische Kirche durch die Reformation
Luther's beschäftigt und der Glaube an den Papst und dessen Allmacht, in
Folge des Erwachens des kritischen Geistes erschüttert war, suchten die Je-


Zur Geschichte der Arkaden in Mjzlcmd
(aus dem „Dziennik Warscewski,)"

Der im Januar 1876 geschehene feierliche und öffentliche Uebertritt von
30.000 Unirten im Königreich Polen zur griechisch-russischen Kirche ist eine
Thatsache, deren wohlthätige Folgen für dieses, periodischen Arnhem unter¬
worfene Land, keinem Zweifel unterliegen. Ueber dieses Faktum hat sich die
clerikale Partei in höchst unsympathischer Weise ausgesprochen.

Jetzt nun, da nach zwei Monaten die Leidenschaften sich ein wenig be¬
ruhigt haben und der gesunde Menschenverstand wieder in seine Rechte ge¬
treten ist, dürfte es an der Zeit sein, einige Worte in dieser Angelegenheit
zu sprechen, um die falschen Gerüchte zu zerstreuen, welche die Stimme der
Wahrheit dämpfen.

Es ist wohlbekannt, daß die an ihrer Volkstümlichkeit und Sprache so
sehr hängenden slavischen Stämme nur ungern sich dem Einflüsse der römi¬
schen Missionäre Hingaben, die zugleich mit der Lehre Christi, bei den Neu-
bekehrten in Kirche und Schule und überhaupt ins bürgerliche Leben den
Gebrauch der lateinischen Sprache und die Herrschaft des Papstes einführten.

Die ersten Apostel des Christenthums unter den Slaven waren griechische
Geistliche, die ausschließlich religiöse Zwecke verfolgend, jeglichem Gelüste nach
weltlicher Macht abhold waren. Darum wurden auch bei d'er Organisation
der geistlichen Angelegenheiten im neugebildeten Staatsleben einige Eigen¬
thümlichkeiten bewahrt, die aus dem Leben und dem Sein des Volkes flössen.
Seine Muttersprache, als sie zur Schriftsprache gedieh, ward auch die Sprache
des Cultus.

Als nothwendige Folge eines solchen Verhältnisses ergab sich, daß die
in der Volkssprache verkündeten Wahrheiten des Christenthums tiefer in das
Gewissen der jungen Völkerschaften eindrangen. Gleichzeitig hob sich auch
bedeutend das Niveau der geistigen Bildung in der Masse des Volkes, welches
somit für die mit solchem Eifer von dem lateinischen Clerus verbreiteten
Irrlehren und Vorurtheile keinen günstigen Boden bilden konnte.

Nachdem die römischen Oberhirten die orientalische Kirche (Zeiten des
Photius) schismatisch erklärt hatten, wandten sie zugleich jedes mögliche
Mittel an, die westlichen Slaven in den Schooß der römischen Kirche zu führen.
Die Slaven, gedrängt von allen Seiten durch katholische Volksstämme fremder
Herkunft, waren gezwungen der Uebermacht zu weichen. Am Ende des
XVI- Jahrhunderts aber, als die römische Kirche durch die Reformation
Luther's beschäftigt und der Glaube an den Papst und dessen Allmacht, in
Folge des Erwachens des kritischen Geistes erschüttert war, suchten die Je-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133474"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Geschichte der Arkaden in Mjzlcmd<lb/>
(aus dem &#x201E;Dziennik Warscewski,)" </head><lb/>
          <p xml:id="ID_582"> Der im Januar 1876 geschehene feierliche und öffentliche Uebertritt von<lb/>
30.000 Unirten im Königreich Polen zur griechisch-russischen Kirche ist eine<lb/>
Thatsache, deren wohlthätige Folgen für dieses, periodischen Arnhem unter¬<lb/>
worfene Land, keinem Zweifel unterliegen. Ueber dieses Faktum hat sich die<lb/>
clerikale Partei in höchst unsympathischer Weise ausgesprochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_583"> Jetzt nun, da nach zwei Monaten die Leidenschaften sich ein wenig be¬<lb/>
ruhigt haben und der gesunde Menschenverstand wieder in seine Rechte ge¬<lb/>
treten ist, dürfte es an der Zeit sein, einige Worte in dieser Angelegenheit<lb/>
zu sprechen, um die falschen Gerüchte zu zerstreuen, welche die Stimme der<lb/>
Wahrheit dämpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Es ist wohlbekannt, daß die an ihrer Volkstümlichkeit und Sprache so<lb/>
sehr hängenden slavischen Stämme nur ungern sich dem Einflüsse der römi¬<lb/>
schen Missionäre Hingaben, die zugleich mit der Lehre Christi, bei den Neu-<lb/>
bekehrten in Kirche und Schule und überhaupt ins bürgerliche Leben den<lb/>
Gebrauch der lateinischen Sprache und die Herrschaft des Papstes einführten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> Die ersten Apostel des Christenthums unter den Slaven waren griechische<lb/>
Geistliche, die ausschließlich religiöse Zwecke verfolgend, jeglichem Gelüste nach<lb/>
weltlicher Macht abhold waren. Darum wurden auch bei d'er Organisation<lb/>
der geistlichen Angelegenheiten im neugebildeten Staatsleben einige Eigen¬<lb/>
thümlichkeiten bewahrt, die aus dem Leben und dem Sein des Volkes flössen.<lb/>
Seine Muttersprache, als sie zur Schriftsprache gedieh, ward auch die Sprache<lb/>
des Cultus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Als nothwendige Folge eines solchen Verhältnisses ergab sich, daß die<lb/>
in der Volkssprache verkündeten Wahrheiten des Christenthums tiefer in das<lb/>
Gewissen der jungen Völkerschaften eindrangen. Gleichzeitig hob sich auch<lb/>
bedeutend das Niveau der geistigen Bildung in der Masse des Volkes, welches<lb/>
somit für die mit solchem Eifer von dem lateinischen Clerus verbreiteten<lb/>
Irrlehren und Vorurtheile keinen günstigen Boden bilden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587" next="#ID_588"> Nachdem die römischen Oberhirten die orientalische Kirche (Zeiten des<lb/>
Photius) schismatisch erklärt hatten, wandten sie zugleich jedes mögliche<lb/>
Mittel an, die westlichen Slaven in den Schooß der römischen Kirche zu führen.<lb/>
Die Slaven, gedrängt von allen Seiten durch katholische Volksstämme fremder<lb/>
Herkunft, waren gezwungen der Uebermacht zu weichen. Am Ende des<lb/>
XVI- Jahrhunderts aber, als die römische Kirche durch die Reformation<lb/>
Luther's beschäftigt und der Glaube an den Papst und dessen Allmacht, in<lb/>
Folge des Erwachens des kritischen Geistes erschüttert war, suchten die Je-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Zur Geschichte der Arkaden in Mjzlcmd (aus dem „Dziennik Warscewski,)" Der im Januar 1876 geschehene feierliche und öffentliche Uebertritt von 30.000 Unirten im Königreich Polen zur griechisch-russischen Kirche ist eine Thatsache, deren wohlthätige Folgen für dieses, periodischen Arnhem unter¬ worfene Land, keinem Zweifel unterliegen. Ueber dieses Faktum hat sich die clerikale Partei in höchst unsympathischer Weise ausgesprochen. Jetzt nun, da nach zwei Monaten die Leidenschaften sich ein wenig be¬ ruhigt haben und der gesunde Menschenverstand wieder in seine Rechte ge¬ treten ist, dürfte es an der Zeit sein, einige Worte in dieser Angelegenheit zu sprechen, um die falschen Gerüchte zu zerstreuen, welche die Stimme der Wahrheit dämpfen. Es ist wohlbekannt, daß die an ihrer Volkstümlichkeit und Sprache so sehr hängenden slavischen Stämme nur ungern sich dem Einflüsse der römi¬ schen Missionäre Hingaben, die zugleich mit der Lehre Christi, bei den Neu- bekehrten in Kirche und Schule und überhaupt ins bürgerliche Leben den Gebrauch der lateinischen Sprache und die Herrschaft des Papstes einführten. Die ersten Apostel des Christenthums unter den Slaven waren griechische Geistliche, die ausschließlich religiöse Zwecke verfolgend, jeglichem Gelüste nach weltlicher Macht abhold waren. Darum wurden auch bei d'er Organisation der geistlichen Angelegenheiten im neugebildeten Staatsleben einige Eigen¬ thümlichkeiten bewahrt, die aus dem Leben und dem Sein des Volkes flössen. Seine Muttersprache, als sie zur Schriftsprache gedieh, ward auch die Sprache des Cultus. Als nothwendige Folge eines solchen Verhältnisses ergab sich, daß die in der Volkssprache verkündeten Wahrheiten des Christenthums tiefer in das Gewissen der jungen Völkerschaften eindrangen. Gleichzeitig hob sich auch bedeutend das Niveau der geistigen Bildung in der Masse des Volkes, welches somit für die mit solchem Eifer von dem lateinischen Clerus verbreiteten Irrlehren und Vorurtheile keinen günstigen Boden bilden konnte. Nachdem die römischen Oberhirten die orientalische Kirche (Zeiten des Photius) schismatisch erklärt hatten, wandten sie zugleich jedes mögliche Mittel an, die westlichen Slaven in den Schooß der römischen Kirche zu führen. Die Slaven, gedrängt von allen Seiten durch katholische Volksstämme fremder Herkunft, waren gezwungen der Uebermacht zu weichen. Am Ende des XVI- Jahrhunderts aber, als die römische Kirche durch die Reformation Luther's beschäftigt und der Glaube an den Papst und dessen Allmacht, in Folge des Erwachens des kritischen Geistes erschüttert war, suchten die Je-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/186>, abgerufen am 06.05.2024.