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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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die Sistirung der Zuschüsse an die gesetzwidrigen Geistlichen auch aus der Ge-
meindecasse, die Auflösung der Klöster und Congregationen -- das sind Ma߬
regeln, die den Clerus wenigstens zur Besinnung bringen, die ihm den Ernst
des gegen den Staat unternommenen Kriegs fühlbar machen werden. Wich¬
tiger noch, als diese Gesetze, ist die Beseitigung der ultramontanen Verwal¬
tungsbeamten. Ein Drittheil der Landräthe am Rhein gilt für elerikal; einer
von ihnen ist so eben zum Oberbürgermeister gewählt, die Regierung versagt
ihm wegen ultramontaner Gesinnung die Bestätigung, aber Landrath durfte
er bisher sein. Zu dem bedeutenden Amt eines Landesdirectors wird von der
klerikalen Partei ein Mann ihrer Farbe ausgesucht, und der Oberpräsident
der Provinz gewährt ihm seine Protection! So lange die Staatsregierung
hier nicht Wandel schafft, werden alle Gesetze nur halben Eindruck machen.
Man denke an die klassische Aeußerung jenes ultramontanen Landraths: "Wie
kann ich vor einem Ministerium Respect haben, das einen Mann wie mich
im Amte läßt!"

Seien wir gerecht auch gegen unsere Widersacher! An dem Streit, der
heute die Gemüther trennt und verwirrt, tragen wir Alle Schuld, nicht blos
die Jesuiten, die Bischöfe und der Clerus. Es war der Staat Preußen selbst,
seine Regierung, sein Beamtenthum, seine Parteien, die jenen hierarchischen
Hochmuth großzogen, den wir jetzt um unserer Existenz willen brechen müssen.
Wir haben die Sünden einer ganzen Generation zu büßen. Aber weil das
Uebel so tief gewurzelt ist, müssen auch die Heilmittel radicaler sein, als sie
irgend ein anderes Land, die Schweiz ausgenommen, bisher versucht hat.
Das Problem, welches wir zu lösen haben, besteht nicht mehr darin, durch
starke Anwendung staatlicher Zwangsmittel einen leidlichen moäus vivvuäi
zu schaffen, sondern die katholische Kirchenverfassung so weit umzugestalten,
daß sie mit der nationalen Einheit des Reichs und mit den Formen bürger¬
licher Selbstverwaltung verträglich wird. So lange wir einen absolutistisch-
büreaukratischen Staat hatten, ließ sich mit der Hierarchie fertig werden;
wenn sie nach unten unbedingten Gehorsam forderte, so gehorchte sie dafür
nach oben. Mit einem parlamentarischen Staatswesen dagegen steht ein
Priesterthum im grellsten Widerspruch, das nach unten die Massen wie eine
Heerde leitet, nach oben sich zugleich vom Staatswillen emancipirr, und nun
all die Freiheitsrechte, deren Uebung nationalen und bürgerlich-gesetzlichen
Sinn voraussetzt, agitatorisch ohne solche Voraussetzung ausbeutet. Wer
jenem Widerspruch scharf nachgeht, wird finden, daß wir zum Schutz unserer
bürgerlichen Freiheit noch tiefe Einschnitte in die sogenannte hierarchische
Ordnung machen müssen.




die Sistirung der Zuschüsse an die gesetzwidrigen Geistlichen auch aus der Ge-
meindecasse, die Auflösung der Klöster und Congregationen — das sind Ma߬
regeln, die den Clerus wenigstens zur Besinnung bringen, die ihm den Ernst
des gegen den Staat unternommenen Kriegs fühlbar machen werden. Wich¬
tiger noch, als diese Gesetze, ist die Beseitigung der ultramontanen Verwal¬
tungsbeamten. Ein Drittheil der Landräthe am Rhein gilt für elerikal; einer
von ihnen ist so eben zum Oberbürgermeister gewählt, die Regierung versagt
ihm wegen ultramontaner Gesinnung die Bestätigung, aber Landrath durfte
er bisher sein. Zu dem bedeutenden Amt eines Landesdirectors wird von der
klerikalen Partei ein Mann ihrer Farbe ausgesucht, und der Oberpräsident
der Provinz gewährt ihm seine Protection! So lange die Staatsregierung
hier nicht Wandel schafft, werden alle Gesetze nur halben Eindruck machen.
Man denke an die klassische Aeußerung jenes ultramontanen Landraths: „Wie
kann ich vor einem Ministerium Respect haben, das einen Mann wie mich
im Amte läßt!"

Seien wir gerecht auch gegen unsere Widersacher! An dem Streit, der
heute die Gemüther trennt und verwirrt, tragen wir Alle Schuld, nicht blos
die Jesuiten, die Bischöfe und der Clerus. Es war der Staat Preußen selbst,
seine Regierung, sein Beamtenthum, seine Parteien, die jenen hierarchischen
Hochmuth großzogen, den wir jetzt um unserer Existenz willen brechen müssen.
Wir haben die Sünden einer ganzen Generation zu büßen. Aber weil das
Uebel so tief gewurzelt ist, müssen auch die Heilmittel radicaler sein, als sie
irgend ein anderes Land, die Schweiz ausgenommen, bisher versucht hat.
Das Problem, welches wir zu lösen haben, besteht nicht mehr darin, durch
starke Anwendung staatlicher Zwangsmittel einen leidlichen moäus vivvuäi
zu schaffen, sondern die katholische Kirchenverfassung so weit umzugestalten,
daß sie mit der nationalen Einheit des Reichs und mit den Formen bürger¬
licher Selbstverwaltung verträglich wird. So lange wir einen absolutistisch-
büreaukratischen Staat hatten, ließ sich mit der Hierarchie fertig werden;
wenn sie nach unten unbedingten Gehorsam forderte, so gehorchte sie dafür
nach oben. Mit einem parlamentarischen Staatswesen dagegen steht ein
Priesterthum im grellsten Widerspruch, das nach unten die Massen wie eine
Heerde leitet, nach oben sich zugleich vom Staatswillen emancipirr, und nun
all die Freiheitsrechte, deren Uebung nationalen und bürgerlich-gesetzlichen
Sinn voraussetzt, agitatorisch ohne solche Voraussetzung ausbeutet. Wer
jenem Widerspruch scharf nachgeht, wird finden, daß wir zum Schutz unserer
bürgerlichen Freiheit noch tiefe Einschnitte in die sogenannte hierarchische
Ordnung machen müssen.




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[0185] die Sistirung der Zuschüsse an die gesetzwidrigen Geistlichen auch aus der Ge- meindecasse, die Auflösung der Klöster und Congregationen — das sind Ma߬ regeln, die den Clerus wenigstens zur Besinnung bringen, die ihm den Ernst des gegen den Staat unternommenen Kriegs fühlbar machen werden. Wich¬ tiger noch, als diese Gesetze, ist die Beseitigung der ultramontanen Verwal¬ tungsbeamten. Ein Drittheil der Landräthe am Rhein gilt für elerikal; einer von ihnen ist so eben zum Oberbürgermeister gewählt, die Regierung versagt ihm wegen ultramontaner Gesinnung die Bestätigung, aber Landrath durfte er bisher sein. Zu dem bedeutenden Amt eines Landesdirectors wird von der klerikalen Partei ein Mann ihrer Farbe ausgesucht, und der Oberpräsident der Provinz gewährt ihm seine Protection! So lange die Staatsregierung hier nicht Wandel schafft, werden alle Gesetze nur halben Eindruck machen. Man denke an die klassische Aeußerung jenes ultramontanen Landraths: „Wie kann ich vor einem Ministerium Respect haben, das einen Mann wie mich im Amte läßt!" Seien wir gerecht auch gegen unsere Widersacher! An dem Streit, der heute die Gemüther trennt und verwirrt, tragen wir Alle Schuld, nicht blos die Jesuiten, die Bischöfe und der Clerus. Es war der Staat Preußen selbst, seine Regierung, sein Beamtenthum, seine Parteien, die jenen hierarchischen Hochmuth großzogen, den wir jetzt um unserer Existenz willen brechen müssen. Wir haben die Sünden einer ganzen Generation zu büßen. Aber weil das Uebel so tief gewurzelt ist, müssen auch die Heilmittel radicaler sein, als sie irgend ein anderes Land, die Schweiz ausgenommen, bisher versucht hat. Das Problem, welches wir zu lösen haben, besteht nicht mehr darin, durch starke Anwendung staatlicher Zwangsmittel einen leidlichen moäus vivvuäi zu schaffen, sondern die katholische Kirchenverfassung so weit umzugestalten, daß sie mit der nationalen Einheit des Reichs und mit den Formen bürger¬ licher Selbstverwaltung verträglich wird. So lange wir einen absolutistisch- büreaukratischen Staat hatten, ließ sich mit der Hierarchie fertig werden; wenn sie nach unten unbedingten Gehorsam forderte, so gehorchte sie dafür nach oben. Mit einem parlamentarischen Staatswesen dagegen steht ein Priesterthum im grellsten Widerspruch, das nach unten die Massen wie eine Heerde leitet, nach oben sich zugleich vom Staatswillen emancipirr, und nun all die Freiheitsrechte, deren Uebung nationalen und bürgerlich-gesetzlichen Sinn voraussetzt, agitatorisch ohne solche Voraussetzung ausbeutet. Wer jenem Widerspruch scharf nachgeht, wird finden, daß wir zum Schutz unserer bürgerlichen Freiheit noch tiefe Einschnitte in die sogenannte hierarchische Ordnung machen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/185>, abgerufen am 27.05.2024.