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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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mehr zu sehen ist." Ober - Pannonien blieb damals wenigstens von den
Magyaren verschont. Allein ihr Sieg am 28. Juni 907, der der Blüthe
des bairischen Adels das Leben kostete, brachte ganz Pcinnonien und Oester¬
reich bis zur Enns in die Hände des barbarischen Feindes. Die Hufen der
magyarischen Rosse zertraten die junge deutsche Pflanzung, fast spurlos ver¬
schwand das Deutschthum in Pannonien und im größten Theile desselben ist
es nie wieder zum Leben erwacht. Erst späteren Jahrhunderten blieb es vorbe-
halten, bis an die Grenzen Siebenbürgens und bis in die Hochthäler der
Karpathen deutsche Cultur zu verbreiten. Ihre fröhliche Entwicklung hat das
Gedächtniß an die früheste deutsche Colonisation Ungarns verwischt; es ist
aber nicht überflüssig, eben jetzt daran zu erinnern, daß der ungarische Süd¬
westen früher ein deutsches als ein magyarisches Land gewesen.


Otto Kaemmel.


Iritz Keuler's nachgelassene Schriften*).

Bald nach dem Tode unseres großen deutschen Humoristen Fritz Reuter
wurde allen Literaturfreunden eine angenehme Ueberraschung durch die Mit¬
theilung bereitet, daß sich in dem Nachlasse desselben manche werthvolle, po¬
etische Gabe vorgefunden habe. Bei der seltenen Popularität Reuter's konnte
die in Aussicht gestellte Bereicherung unserer mundartlichen Dichtung nur mit
freudigem Willkommen begrüßt werden.

Adolf Wilbrandt bietet uns jetzt den ersten Band der nachgelassenen
Schriften Reuter's. Wilbrandt ist ein Landsmann des Verfassers der
"Stromtid" und wenn er Reuter auch persönlich nie gekannt, so hat er doch
mit dessen Werken, nach seinem eigenen Ausdruck, wie mit Freunden gelebt.

,Es ist kaum anzunehmen, daß durch das geistige Erbe, welches ein
Schriftsteller wie Fritz Reuter zurückläßt, dem der Tod die Feder nicht erst
aus der Hand zu nehmen brauchte, da er sie schon längst nicht mehr zu
halten im Stande war, das Bild des Mannes in eine wesentlich andere Be¬
leuchtung gerückt werden könnte. Ein Denker von seltener Originalität wird
vielleicht erst nach seinem Ableben in der epochemachenden Bedeutung zu
würdigen sein, welche der Unverstand und die Gehässigkeit der Mitlebenden
M verhüllen suchte. Allein das Ansehen eines Autors, dem die Ruhmeskränze
w reichster Fülle zugeworfen wurden, und der den Inhalt seines Daseins



") Erster Theil, Herausgegeben und mit der Biographie des Dichters eingeleitet von
Adolf Wilbrandt. Wismar. Rostock und Ludwigsluft. Druck und Verlag der Hinstorff'-
schen Hofbuchhandlung 1874.
Grenzboten II. 187S. . 55

mehr zu sehen ist." Ober - Pannonien blieb damals wenigstens von den
Magyaren verschont. Allein ihr Sieg am 28. Juni 907, der der Blüthe
des bairischen Adels das Leben kostete, brachte ganz Pcinnonien und Oester¬
reich bis zur Enns in die Hände des barbarischen Feindes. Die Hufen der
magyarischen Rosse zertraten die junge deutsche Pflanzung, fast spurlos ver¬
schwand das Deutschthum in Pannonien und im größten Theile desselben ist
es nie wieder zum Leben erwacht. Erst späteren Jahrhunderten blieb es vorbe-
halten, bis an die Grenzen Siebenbürgens und bis in die Hochthäler der
Karpathen deutsche Cultur zu verbreiten. Ihre fröhliche Entwicklung hat das
Gedächtniß an die früheste deutsche Colonisation Ungarns verwischt; es ist
aber nicht überflüssig, eben jetzt daran zu erinnern, daß der ungarische Süd¬
westen früher ein deutsches als ein magyarisches Land gewesen.


Otto Kaemmel.


Iritz Keuler's nachgelassene Schriften*).

Bald nach dem Tode unseres großen deutschen Humoristen Fritz Reuter
wurde allen Literaturfreunden eine angenehme Ueberraschung durch die Mit¬
theilung bereitet, daß sich in dem Nachlasse desselben manche werthvolle, po¬
etische Gabe vorgefunden habe. Bei der seltenen Popularität Reuter's konnte
die in Aussicht gestellte Bereicherung unserer mundartlichen Dichtung nur mit
freudigem Willkommen begrüßt werden.

Adolf Wilbrandt bietet uns jetzt den ersten Band der nachgelassenen
Schriften Reuter's. Wilbrandt ist ein Landsmann des Verfassers der
„Stromtid" und wenn er Reuter auch persönlich nie gekannt, so hat er doch
mit dessen Werken, nach seinem eigenen Ausdruck, wie mit Freunden gelebt.

,Es ist kaum anzunehmen, daß durch das geistige Erbe, welches ein
Schriftsteller wie Fritz Reuter zurückläßt, dem der Tod die Feder nicht erst
aus der Hand zu nehmen brauchte, da er sie schon längst nicht mehr zu
halten im Stande war, das Bild des Mannes in eine wesentlich andere Be¬
leuchtung gerückt werden könnte. Ein Denker von seltener Originalität wird
vielleicht erst nach seinem Ableben in der epochemachenden Bedeutung zu
würdigen sein, welche der Unverstand und die Gehässigkeit der Mitlebenden
M verhüllen suchte. Allein das Ansehen eines Autors, dem die Ruhmeskränze
w reichster Fülle zugeworfen wurden, und der den Inhalt seines Daseins



") Erster Theil, Herausgegeben und mit der Biographie des Dichters eingeleitet von
Adolf Wilbrandt. Wismar. Rostock und Ludwigsluft. Druck und Verlag der Hinstorff'-
schen Hofbuchhandlung 1874.
Grenzboten II. 187S. . 55
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[0437] mehr zu sehen ist." Ober - Pannonien blieb damals wenigstens von den Magyaren verschont. Allein ihr Sieg am 28. Juni 907, der der Blüthe des bairischen Adels das Leben kostete, brachte ganz Pcinnonien und Oester¬ reich bis zur Enns in die Hände des barbarischen Feindes. Die Hufen der magyarischen Rosse zertraten die junge deutsche Pflanzung, fast spurlos ver¬ schwand das Deutschthum in Pannonien und im größten Theile desselben ist es nie wieder zum Leben erwacht. Erst späteren Jahrhunderten blieb es vorbe- halten, bis an die Grenzen Siebenbürgens und bis in die Hochthäler der Karpathen deutsche Cultur zu verbreiten. Ihre fröhliche Entwicklung hat das Gedächtniß an die früheste deutsche Colonisation Ungarns verwischt; es ist aber nicht überflüssig, eben jetzt daran zu erinnern, daß der ungarische Süd¬ westen früher ein deutsches als ein magyarisches Land gewesen. Otto Kaemmel. Iritz Keuler's nachgelassene Schriften*). Bald nach dem Tode unseres großen deutschen Humoristen Fritz Reuter wurde allen Literaturfreunden eine angenehme Ueberraschung durch die Mit¬ theilung bereitet, daß sich in dem Nachlasse desselben manche werthvolle, po¬ etische Gabe vorgefunden habe. Bei der seltenen Popularität Reuter's konnte die in Aussicht gestellte Bereicherung unserer mundartlichen Dichtung nur mit freudigem Willkommen begrüßt werden. Adolf Wilbrandt bietet uns jetzt den ersten Band der nachgelassenen Schriften Reuter's. Wilbrandt ist ein Landsmann des Verfassers der „Stromtid" und wenn er Reuter auch persönlich nie gekannt, so hat er doch mit dessen Werken, nach seinem eigenen Ausdruck, wie mit Freunden gelebt. ,Es ist kaum anzunehmen, daß durch das geistige Erbe, welches ein Schriftsteller wie Fritz Reuter zurückläßt, dem der Tod die Feder nicht erst aus der Hand zu nehmen brauchte, da er sie schon längst nicht mehr zu halten im Stande war, das Bild des Mannes in eine wesentlich andere Be¬ leuchtung gerückt werden könnte. Ein Denker von seltener Originalität wird vielleicht erst nach seinem Ableben in der epochemachenden Bedeutung zu würdigen sein, welche der Unverstand und die Gehässigkeit der Mitlebenden M verhüllen suchte. Allein das Ansehen eines Autors, dem die Ruhmeskränze w reichster Fülle zugeworfen wurden, und der den Inhalt seines Daseins ") Erster Theil, Herausgegeben und mit der Biographie des Dichters eingeleitet von Adolf Wilbrandt. Wismar. Rostock und Ludwigsluft. Druck und Verlag der Hinstorff'- schen Hofbuchhandlung 1874. Grenzboten II. 187S. . 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/437>, abgerufen am 07.05.2024.