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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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demnach die meisten in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts sich gebildet
haben müssen. Ol> sie aus Höfen deutscher Grundherren, die ihre Hörigen
in Dorfweise ansiedelten, ob sie als freie Bauernschaften entstanden sind, wir
wissen es nicht. Denn nur einzelne Streiflichter fallen aus den spärlich er¬
haltenen Urkunden in ein tiefes Dunkel. Wie dem aber auch sei, als sicher
darf dies gelten: im 9. Jahrhundert war Pannonien, also das
heutige südwestliche Ungarn, eine in der G ermanisirung be¬
griffene Landschaft, in welcher König und Kirche, Adel und Bauern
zusammenwirkten für die Ausbreitung deutschen Wesens.

Dies Resultat vermochte auch die kirchliche Lostrennung Pannoniens von
Salzburg nicht umzustoßen. Um 870 nämlich wurde ein nationalslawisches
Erzbisthum im alten Sirmium (an der Sau westlich von Belgrad) für Pan-
nonien und Groß-Mähren (Mähren und Nord-Ungarn) errichtet und dem
Griechen Methodios übertragen, den neben seinem Bruder Kyrillos die sla¬
wischen Völker noch heute als Urheber ihres gesammten geistigen Lebens mit
Recht verehren. Umsonst war es, daß 871 Salzburg in einer uns noch er¬
haltenen Schrift seine Rechte auf Pannonien auf's Klarste nachwies, umsonst
alle Proteste des bairischen Clerus überhaupt; das neue Erzbisthum behaup¬
tete sich und auch Chozil unterstützte eifrig den Griechen, der ihm in slawi¬
scher Sprache den Gottesdienst hielt und ihm das wunderbare Geheimniß der
neuerfundenen kyrillischen Schrift offenbarte. So mußte schließlich Deutschland
die neue Schöpfung anerkennen (874). Hätte sie Bestand gehabt, sie würde
in Verbindung mit der aufstrebenden Macht des großmährischen Reiches unter
Suatopluk das Deutschthum in Pannonien schwer bedroht haben. Denn nach
einer furchtbaren Verwüstung Ober-Pannoniens durch die Mährer im Jahre 884
mußte Unter-Pannonien an Mähren abgetreten werden. Doch scheint es
894 wiederum an das ostfränkische Reich zurückgefallen sein. Zwei Jahre
später starb Methodios und sein Tod machte dem slawischen Erzbisthum ein
Ende, die früheren Verhältnisse traten wieder in Kraft.

Bereits hatte sich jedoch ein neuer Feind an der Donau gezeigt, das
wilde Reitervolk der Magyaren. Schon 894 verwüsteten sie Unter-Pannonien
auf's Entsetzlichste, erschlugen die Männer, schleppten Weiber und Kinder
in die Gefangenschaft. Dasselbe wiederholte sich i. I. 900. Wie es in dem
ganzen Lande aussah, schildert in lebhaften Farben ein Schreiben des Erzbischofs
Dietmar von Salzburg an Papst Johann IX. (900). Die Mährer und
Magyaren, heißt es da, "führten die einen als Gefangene hinweg, andere
tödteten sie, noch andere ließen sie an Hunger und Durst zu Grunde gehen,
unzählige aber schleppten sie in die Verbannung, freie Männer und ehrbare
Frauen brachten sie in die Sklaverei; die Kirchen brannten sie nieder und alle
Gebäude zerstörten sie, so daß in ganz Pannonien nicht eine einzige Kirche


demnach die meisten in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts sich gebildet
haben müssen. Ol> sie aus Höfen deutscher Grundherren, die ihre Hörigen
in Dorfweise ansiedelten, ob sie als freie Bauernschaften entstanden sind, wir
wissen es nicht. Denn nur einzelne Streiflichter fallen aus den spärlich er¬
haltenen Urkunden in ein tiefes Dunkel. Wie dem aber auch sei, als sicher
darf dies gelten: im 9. Jahrhundert war Pannonien, also das
heutige südwestliche Ungarn, eine in der G ermanisirung be¬
griffene Landschaft, in welcher König und Kirche, Adel und Bauern
zusammenwirkten für die Ausbreitung deutschen Wesens.

Dies Resultat vermochte auch die kirchliche Lostrennung Pannoniens von
Salzburg nicht umzustoßen. Um 870 nämlich wurde ein nationalslawisches
Erzbisthum im alten Sirmium (an der Sau westlich von Belgrad) für Pan-
nonien und Groß-Mähren (Mähren und Nord-Ungarn) errichtet und dem
Griechen Methodios übertragen, den neben seinem Bruder Kyrillos die sla¬
wischen Völker noch heute als Urheber ihres gesammten geistigen Lebens mit
Recht verehren. Umsonst war es, daß 871 Salzburg in einer uns noch er¬
haltenen Schrift seine Rechte auf Pannonien auf's Klarste nachwies, umsonst
alle Proteste des bairischen Clerus überhaupt; das neue Erzbisthum behaup¬
tete sich und auch Chozil unterstützte eifrig den Griechen, der ihm in slawi¬
scher Sprache den Gottesdienst hielt und ihm das wunderbare Geheimniß der
neuerfundenen kyrillischen Schrift offenbarte. So mußte schließlich Deutschland
die neue Schöpfung anerkennen (874). Hätte sie Bestand gehabt, sie würde
in Verbindung mit der aufstrebenden Macht des großmährischen Reiches unter
Suatopluk das Deutschthum in Pannonien schwer bedroht haben. Denn nach
einer furchtbaren Verwüstung Ober-Pannoniens durch die Mährer im Jahre 884
mußte Unter-Pannonien an Mähren abgetreten werden. Doch scheint es
894 wiederum an das ostfränkische Reich zurückgefallen sein. Zwei Jahre
später starb Methodios und sein Tod machte dem slawischen Erzbisthum ein
Ende, die früheren Verhältnisse traten wieder in Kraft.

Bereits hatte sich jedoch ein neuer Feind an der Donau gezeigt, das
wilde Reitervolk der Magyaren. Schon 894 verwüsteten sie Unter-Pannonien
auf's Entsetzlichste, erschlugen die Männer, schleppten Weiber und Kinder
in die Gefangenschaft. Dasselbe wiederholte sich i. I. 900. Wie es in dem
ganzen Lande aussah, schildert in lebhaften Farben ein Schreiben des Erzbischofs
Dietmar von Salzburg an Papst Johann IX. (900). Die Mährer und
Magyaren, heißt es da, „führten die einen als Gefangene hinweg, andere
tödteten sie, noch andere ließen sie an Hunger und Durst zu Grunde gehen,
unzählige aber schleppten sie in die Verbannung, freie Männer und ehrbare
Frauen brachten sie in die Sklaverei; die Kirchen brannten sie nieder und alle
Gebäude zerstörten sie, so daß in ganz Pannonien nicht eine einzige Kirche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/436>, abgerufen am 28.05.2024.