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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Inn 18. Zuni 1875.
La Welle-KNance.

Am 18. Juni 1873 sind sechzig Jahre verflossen, seit das erste französische
Kaiserthum durch die dello alliance britischer und preußischer Wasserkraft end-
giltig zu Boden geworfen ward. Uns Deutschen von heut, die wir die Schlacht
von Waterloo im Lichte von Sedan schauen, uns ziemt es, dieses Tages in
ernster Treue mit frohem Stolze huldigend zu denken.

Die Einnahme von Paris im März 1814 schien den Höllenrachen jener
furchtbaren Kriege geschlossen zu haben, in deren Geleit Napoleon I. Europa
durchzogen: eine Lucifergestalt von erhabener Tragik, eine Gottesgeißel, deren
Schläge Fürsten und Volk drei Lustra durch mit unerhörter Wuth gepeitscht.
-- Und doch: der Sieg von 1813 und 1814 schien allzuschnell die Wunden
vergessen zu lassen, die doch noch bluteten; der kalte Luftzug diplomatischer
Verhandlung schien allzuschnell die Gluth gekühlt zu haben, welche die Waffen
der Verbündeten zu Einem großen Racheschwert zusammengeschweißt! -- An¬
fangs des Jahres 1815 waren auf dem Congreß zu Wien die Großmächte
über die polnische und sächsische Frage in offenen Streit gerathen; am 1. März
landete Napoleon an der Küste der Provence. "Vortrefflich!" rief Wilhelm
von Humboldt "das giebt Bewegung!" In der That -- mochte es auch
"schrecklich sein, das theuer erkämpfte Gut wieder sich entrissen zu sehn und
nun von neuem anfangen zu müssen"*) -- die "Bewegung" kam gerade noch
Zu rechter Zeit; noch war der Zwiespalt zu versöhnen, noch waren die Heere
nicht allzusehr reducirt, nicht allzuweit von Frankreichs Grenzen zurückgezogen.
Mit Einem Schlage ward alles wieder neu: die Alliance, die Begeisterung.

Doch während Napoleon zu Wien geächtet wurde, beeilten die Franzosen
sich, seine Mitschuldigen zu werden. Auch sie und sie vor Allen waren noch
nicht genug durch ihn gestraft! Nicht fröhlich zwar, aber doch willig boten
sie ihm abermals, was er heischte: die Mittel zum Kriege.

Zwischen der Heeresausbringung Napoleons I. im Jahre 1815 und der¬
jenigen Gambetta's bestehen gewisse Aehnlichkeiten, auf welche man neuerdings



*) Vtnnhac,en: Viuckeö Leben.
Grenjiwten N.
Inn 18. Zuni 1875.
La Welle-KNance.

Am 18. Juni 1873 sind sechzig Jahre verflossen, seit das erste französische
Kaiserthum durch die dello alliance britischer und preußischer Wasserkraft end-
giltig zu Boden geworfen ward. Uns Deutschen von heut, die wir die Schlacht
von Waterloo im Lichte von Sedan schauen, uns ziemt es, dieses Tages in
ernster Treue mit frohem Stolze huldigend zu denken.

Die Einnahme von Paris im März 1814 schien den Höllenrachen jener
furchtbaren Kriege geschlossen zu haben, in deren Geleit Napoleon I. Europa
durchzogen: eine Lucifergestalt von erhabener Tragik, eine Gottesgeißel, deren
Schläge Fürsten und Volk drei Lustra durch mit unerhörter Wuth gepeitscht.
— Und doch: der Sieg von 1813 und 1814 schien allzuschnell die Wunden
vergessen zu lassen, die doch noch bluteten; der kalte Luftzug diplomatischer
Verhandlung schien allzuschnell die Gluth gekühlt zu haben, welche die Waffen
der Verbündeten zu Einem großen Racheschwert zusammengeschweißt! — An¬
fangs des Jahres 1815 waren auf dem Congreß zu Wien die Großmächte
über die polnische und sächsische Frage in offenen Streit gerathen; am 1. März
landete Napoleon an der Küste der Provence. „Vortrefflich!" rief Wilhelm
von Humboldt „das giebt Bewegung!" In der That — mochte es auch
„schrecklich sein, das theuer erkämpfte Gut wieder sich entrissen zu sehn und
nun von neuem anfangen zu müssen"*) — die „Bewegung" kam gerade noch
Zu rechter Zeit; noch war der Zwiespalt zu versöhnen, noch waren die Heere
nicht allzusehr reducirt, nicht allzuweit von Frankreichs Grenzen zurückgezogen.
Mit Einem Schlage ward alles wieder neu: die Alliance, die Begeisterung.

Doch während Napoleon zu Wien geächtet wurde, beeilten die Franzosen
sich, seine Mitschuldigen zu werden. Auch sie und sie vor Allen waren noch
nicht genug durch ihn gestraft! Nicht fröhlich zwar, aber doch willig boten
sie ihm abermals, was er heischte: die Mittel zum Kriege.

Zwischen der Heeresausbringung Napoleons I. im Jahre 1815 und der¬
jenigen Gambetta's bestehen gewisse Aehnlichkeiten, auf welche man neuerdings



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Grenjiwten N.
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[0445] Inn 18. Zuni 1875. La Welle-KNance. Am 18. Juni 1873 sind sechzig Jahre verflossen, seit das erste französische Kaiserthum durch die dello alliance britischer und preußischer Wasserkraft end- giltig zu Boden geworfen ward. Uns Deutschen von heut, die wir die Schlacht von Waterloo im Lichte von Sedan schauen, uns ziemt es, dieses Tages in ernster Treue mit frohem Stolze huldigend zu denken. Die Einnahme von Paris im März 1814 schien den Höllenrachen jener furchtbaren Kriege geschlossen zu haben, in deren Geleit Napoleon I. Europa durchzogen: eine Lucifergestalt von erhabener Tragik, eine Gottesgeißel, deren Schläge Fürsten und Volk drei Lustra durch mit unerhörter Wuth gepeitscht. — Und doch: der Sieg von 1813 und 1814 schien allzuschnell die Wunden vergessen zu lassen, die doch noch bluteten; der kalte Luftzug diplomatischer Verhandlung schien allzuschnell die Gluth gekühlt zu haben, welche die Waffen der Verbündeten zu Einem großen Racheschwert zusammengeschweißt! — An¬ fangs des Jahres 1815 waren auf dem Congreß zu Wien die Großmächte über die polnische und sächsische Frage in offenen Streit gerathen; am 1. März landete Napoleon an der Küste der Provence. „Vortrefflich!" rief Wilhelm von Humboldt „das giebt Bewegung!" In der That — mochte es auch „schrecklich sein, das theuer erkämpfte Gut wieder sich entrissen zu sehn und nun von neuem anfangen zu müssen"*) — die „Bewegung" kam gerade noch Zu rechter Zeit; noch war der Zwiespalt zu versöhnen, noch waren die Heere nicht allzusehr reducirt, nicht allzuweit von Frankreichs Grenzen zurückgezogen. Mit Einem Schlage ward alles wieder neu: die Alliance, die Begeisterung. Doch während Napoleon zu Wien geächtet wurde, beeilten die Franzosen sich, seine Mitschuldigen zu werden. Auch sie und sie vor Allen waren noch nicht genug durch ihn gestraft! Nicht fröhlich zwar, aber doch willig boten sie ihm abermals, was er heischte: die Mittel zum Kriege. Zwischen der Heeresausbringung Napoleons I. im Jahre 1815 und der¬ jenigen Gambetta's bestehen gewisse Aehnlichkeiten, auf welche man neuerdings *) Vtnnhac,en: Viuckeö Leben. Grenjiwten N.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/445>, abgerufen am 06.05.2024.