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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Zur Uichtigstellung eines Irrthums.

Seit einiger Zeit wurden Stimmen laut, welche
die Wirthschafts- und Finanzpolitik, die bei der Gestaltung des deutschen
Reiches befolgt worden ist, in wesentlichen Stücken nicht in der Ordnung
finden und das Darniederliegen von Handel und Wandel, das gegenwärtig
allenthalben fühlbar ist und schwere Beängstigung hervorruft, zum Theil oder
ganz auf gewisse Maßnahmen dieser Politik zurückführen wollten. Gegnerische
Stimmen, zuerst sehr zuversichtlich im Bewußtsein, daß eine weitverbreitete
Schule, ein großer Theil der Presse und "maßgebende Kreise" hinter ihnen
standen, dann bisweilen etwas kleinlauter vor dem Zunehmen der Calamität
und den dringender und allgemeiner werdenden Klagen der von ihr zunächst
Betroffenen, blieben nicht aus und versuchten die Beschuldigung zu entkräften.
D. Bl. haben zu dem Streite bisher noch nicht Stellung genommen, und das
soll auch hier nicht in ausführlicher Weise geschehen. Später, wenn die Sache
sich mehr geklärt hat, vielleicht bald, denken wir mit Erlaubniß der Redaktion
nachzuholen, was unterlassen bleiben mußte. Für jetzt nur zweierlei:

Zunächst scheint allerdings von jener Politik in verschiedenen Richtungen
dem Manchesterthum zu viel zugestanden und unter Anderm nicht genügend
berücksichtigt worden zu sein, daß, was für andere Länder sich eignet, z. B.
für England, von Deutschland jetzt noch nicht getragen werden kann. Der
Trost, daß alle Reformen zuerst Mißstände erzeugen, aber in sich selbst auch
das Correctiv für dieselben tragen, daß die Freiheit, das "Gehenlassen" sich
trotz alledem und alledem zuletzt bewährt und lohnt, mag recht gut klingen,
wenn die betreffenden Mißstände nicht zu schwer sich fühlbar machen, und die
erwartete Correctur nicht zu lange ausbleibt und so die Befürchtung entsteht,
es sei überhaupt mit der Hoffnung auf sie mißlich bestellt. Das aber
scheint dermalen bei uns der Fall zu sein und Abhülfe zu fordern.

Zweitens aber -- und das ist für uns hier die Hauptsache -- wird ein
Mißverständniß in Betreff der Persönlichkeiten, die bet jenen wirthschaft¬
lichen Maßnahmen in Frage kommen, zu berichtigen sein. Ein Chor von
Zeitungen macht wieder und immer wieder Herrn Camphausen für das, was
nach den Folgen der Finanzpolitik des deutschen Reichs bei dieser verfehlt er¬
scheint, verantwortlich. Er soll die eigentliche treibende Kraft und somit der
Hauptsünder sein, wenn allenthalben jetzt Klagen über jene Folgen erschallen;
Herr Delbrück würde nach diesen Aeußerungen der Presse von ihm nur gezogen,
geschoben oder gar vorgeschoben. Dagegen müssen wir Einspruch erheben und
das wahre Verhältniß herstellen. Gerade das Umgekehrte ist nämlich der


Zur Uichtigstellung eines Irrthums.

Seit einiger Zeit wurden Stimmen laut, welche
die Wirthschafts- und Finanzpolitik, die bei der Gestaltung des deutschen
Reiches befolgt worden ist, in wesentlichen Stücken nicht in der Ordnung
finden und das Darniederliegen von Handel und Wandel, das gegenwärtig
allenthalben fühlbar ist und schwere Beängstigung hervorruft, zum Theil oder
ganz auf gewisse Maßnahmen dieser Politik zurückführen wollten. Gegnerische
Stimmen, zuerst sehr zuversichtlich im Bewußtsein, daß eine weitverbreitete
Schule, ein großer Theil der Presse und „maßgebende Kreise" hinter ihnen
standen, dann bisweilen etwas kleinlauter vor dem Zunehmen der Calamität
und den dringender und allgemeiner werdenden Klagen der von ihr zunächst
Betroffenen, blieben nicht aus und versuchten die Beschuldigung zu entkräften.
D. Bl. haben zu dem Streite bisher noch nicht Stellung genommen, und das
soll auch hier nicht in ausführlicher Weise geschehen. Später, wenn die Sache
sich mehr geklärt hat, vielleicht bald, denken wir mit Erlaubniß der Redaktion
nachzuholen, was unterlassen bleiben mußte. Für jetzt nur zweierlei:

Zunächst scheint allerdings von jener Politik in verschiedenen Richtungen
dem Manchesterthum zu viel zugestanden und unter Anderm nicht genügend
berücksichtigt worden zu sein, daß, was für andere Länder sich eignet, z. B.
für England, von Deutschland jetzt noch nicht getragen werden kann. Der
Trost, daß alle Reformen zuerst Mißstände erzeugen, aber in sich selbst auch
das Correctiv für dieselben tragen, daß die Freiheit, das „Gehenlassen" sich
trotz alledem und alledem zuletzt bewährt und lohnt, mag recht gut klingen,
wenn die betreffenden Mißstände nicht zu schwer sich fühlbar machen, und die
erwartete Correctur nicht zu lange ausbleibt und so die Befürchtung entsteht,
es sei überhaupt mit der Hoffnung auf sie mißlich bestellt. Das aber
scheint dermalen bei uns der Fall zu sein und Abhülfe zu fordern.

Zweitens aber — und das ist für uns hier die Hauptsache — wird ein
Mißverständniß in Betreff der Persönlichkeiten, die bet jenen wirthschaft¬
lichen Maßnahmen in Frage kommen, zu berichtigen sein. Ein Chor von
Zeitungen macht wieder und immer wieder Herrn Camphausen für das, was
nach den Folgen der Finanzpolitik des deutschen Reichs bei dieser verfehlt er¬
scheint, verantwortlich. Er soll die eigentliche treibende Kraft und somit der
Hauptsünder sein, wenn allenthalben jetzt Klagen über jene Folgen erschallen;
Herr Delbrück würde nach diesen Aeußerungen der Presse von ihm nur gezogen,
geschoben oder gar vorgeschoben. Dagegen müssen wir Einspruch erheben und
das wahre Verhältniß herstellen. Gerade das Umgekehrte ist nämlich der


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[0278] Zur Uichtigstellung eines Irrthums. Seit einiger Zeit wurden Stimmen laut, welche die Wirthschafts- und Finanzpolitik, die bei der Gestaltung des deutschen Reiches befolgt worden ist, in wesentlichen Stücken nicht in der Ordnung finden und das Darniederliegen von Handel und Wandel, das gegenwärtig allenthalben fühlbar ist und schwere Beängstigung hervorruft, zum Theil oder ganz auf gewisse Maßnahmen dieser Politik zurückführen wollten. Gegnerische Stimmen, zuerst sehr zuversichtlich im Bewußtsein, daß eine weitverbreitete Schule, ein großer Theil der Presse und „maßgebende Kreise" hinter ihnen standen, dann bisweilen etwas kleinlauter vor dem Zunehmen der Calamität und den dringender und allgemeiner werdenden Klagen der von ihr zunächst Betroffenen, blieben nicht aus und versuchten die Beschuldigung zu entkräften. D. Bl. haben zu dem Streite bisher noch nicht Stellung genommen, und das soll auch hier nicht in ausführlicher Weise geschehen. Später, wenn die Sache sich mehr geklärt hat, vielleicht bald, denken wir mit Erlaubniß der Redaktion nachzuholen, was unterlassen bleiben mußte. Für jetzt nur zweierlei: Zunächst scheint allerdings von jener Politik in verschiedenen Richtungen dem Manchesterthum zu viel zugestanden und unter Anderm nicht genügend berücksichtigt worden zu sein, daß, was für andere Länder sich eignet, z. B. für England, von Deutschland jetzt noch nicht getragen werden kann. Der Trost, daß alle Reformen zuerst Mißstände erzeugen, aber in sich selbst auch das Correctiv für dieselben tragen, daß die Freiheit, das „Gehenlassen" sich trotz alledem und alledem zuletzt bewährt und lohnt, mag recht gut klingen, wenn die betreffenden Mißstände nicht zu schwer sich fühlbar machen, und die erwartete Correctur nicht zu lange ausbleibt und so die Befürchtung entsteht, es sei überhaupt mit der Hoffnung auf sie mißlich bestellt. Das aber scheint dermalen bei uns der Fall zu sein und Abhülfe zu fordern. Zweitens aber — und das ist für uns hier die Hauptsache — wird ein Mißverständniß in Betreff der Persönlichkeiten, die bet jenen wirthschaft¬ lichen Maßnahmen in Frage kommen, zu berichtigen sein. Ein Chor von Zeitungen macht wieder und immer wieder Herrn Camphausen für das, was nach den Folgen der Finanzpolitik des deutschen Reichs bei dieser verfehlt er¬ scheint, verantwortlich. Er soll die eigentliche treibende Kraft und somit der Hauptsünder sein, wenn allenthalben jetzt Klagen über jene Folgen erschallen; Herr Delbrück würde nach diesen Aeußerungen der Presse von ihm nur gezogen, geschoben oder gar vorgeschoben. Dagegen müssen wir Einspruch erheben und das wahre Verhältniß herstellen. Gerade das Umgekehrte ist nämlich der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/278>, abgerufen am 04.05.2024.