Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liberalgegoltene hessische Volksvertretung sich im Culturkampfe auf die Seite
der Hierarchie gestellt hat. Die Grundlage für die Macht des Adels ist
übrigens noch in kurfürstlicher Zeit gelegt. Als der Bundestag die Her¬
stellung der Verfassung von 1831 beschloß, legte er damit zugleich auf, die
bundeswidrigen Punkte zu beseitigen. Bundeswidrig war aber offenbar nur
die im Landtage fehlende Vertretung der früheren Reichsritterschaft; der Land¬
tag von 1864 ließ sich aber in übertriebener Rücksichtnahme herbei, auch die
hessische landsässige Ritterschaft wieder in den Landtag zu ziehen, die 1849
als ganz bedeutungslos glücklich aus derselben beseitigt war. Mit dieser
ganz unnöthigen Wiederhtzranziehung der armen Ritter des Landes hat sich
die liberale Volksvertretung eine schwere Ruthe aufgebunden, denn dem
Communallandtage wurde 1867 das also verballhornte Wahlgesetz von 1849
zu Grunde gelegt und zwar, auf Veranlassung der nachher agrarischen Ele¬
mente, sogar unter Begründung der Interessen-Vertretung von 4 Ständen.

Nun ist freilich unter den Liberalen der Unwille erwacht und als Zeichen
desselben ist die wahrhaft vernichtende Kritik anzusehen, welche der Versuch
der Landboten zur Erhöhung ihrer Diäten in der Presse gefunden hat. Ohne
den Hinblick auf jene allgemeine Wendung hätte man es wohl noch serner
ungerügt gelassen, daß die Abgeordneten ihre Sessionen auffallend in die
Länge zu ziehen Pflegen und daß die meisten derselben die Diäten auch für
die Tage nehmen, an welchen sie sich nicht hier, sondern zu Hause befinden;
und es finden wöchentlich höchstens 2 Sitzungen statt, zu denen die Herren
aus der Provinz auf wenige Stunden herkommen. Im kurhessischen Land¬
tage soll das freilich noch ärger gewesen sein; da pflegte sich der Landtag
Z. B. um Weihnachten nicht zu vertagen, sondern es wurde die nächste Sitzung
auf einen Tag in der drittnächsten Woche angesetzt. So bezog man die Di¬
äten, während diese bei Vertagung weggefallen wären. Auch nahmen Ab¬
geordnete Diäten selbst für die Zeit, in welcher sie, natürlich ohne Entschul¬
digung, weite Geschäftsreisen, z. B. bis Paris, machten. Die Rügen solchen
Verfahrens werden jetzt den ländlichen Abgeordneten zu Theil, die damit zu
ihrem Schrecken sehen, was sie im Gefolge des Adels für sich angerichtet.
Es ist wirklich hoch noth, daß die sogenannte Selbstverwaltung der Provinz
auf andere Beine gesteW'wird und nicht in eine Selbstversorgung der Ver-
treter ausartet.




Grenzboten IV. 1875.3!^

liberalgegoltene hessische Volksvertretung sich im Culturkampfe auf die Seite
der Hierarchie gestellt hat. Die Grundlage für die Macht des Adels ist
übrigens noch in kurfürstlicher Zeit gelegt. Als der Bundestag die Her¬
stellung der Verfassung von 1831 beschloß, legte er damit zugleich auf, die
bundeswidrigen Punkte zu beseitigen. Bundeswidrig war aber offenbar nur
die im Landtage fehlende Vertretung der früheren Reichsritterschaft; der Land¬
tag von 1864 ließ sich aber in übertriebener Rücksichtnahme herbei, auch die
hessische landsässige Ritterschaft wieder in den Landtag zu ziehen, die 1849
als ganz bedeutungslos glücklich aus derselben beseitigt war. Mit dieser
ganz unnöthigen Wiederhtzranziehung der armen Ritter des Landes hat sich
die liberale Volksvertretung eine schwere Ruthe aufgebunden, denn dem
Communallandtage wurde 1867 das also verballhornte Wahlgesetz von 1849
zu Grunde gelegt und zwar, auf Veranlassung der nachher agrarischen Ele¬
mente, sogar unter Begründung der Interessen-Vertretung von 4 Ständen.

Nun ist freilich unter den Liberalen der Unwille erwacht und als Zeichen
desselben ist die wahrhaft vernichtende Kritik anzusehen, welche der Versuch
der Landboten zur Erhöhung ihrer Diäten in der Presse gefunden hat. Ohne
den Hinblick auf jene allgemeine Wendung hätte man es wohl noch serner
ungerügt gelassen, daß die Abgeordneten ihre Sessionen auffallend in die
Länge zu ziehen Pflegen und daß die meisten derselben die Diäten auch für
die Tage nehmen, an welchen sie sich nicht hier, sondern zu Hause befinden;
und es finden wöchentlich höchstens 2 Sitzungen statt, zu denen die Herren
aus der Provinz auf wenige Stunden herkommen. Im kurhessischen Land¬
tage soll das freilich noch ärger gewesen sein; da pflegte sich der Landtag
Z. B. um Weihnachten nicht zu vertagen, sondern es wurde die nächste Sitzung
auf einen Tag in der drittnächsten Woche angesetzt. So bezog man die Di¬
äten, während diese bei Vertagung weggefallen wären. Auch nahmen Ab¬
geordnete Diäten selbst für die Zeit, in welcher sie, natürlich ohne Entschul¬
digung, weite Geschäftsreisen, z. B. bis Paris, machten. Die Rügen solchen
Verfahrens werden jetzt den ländlichen Abgeordneten zu Theil, die damit zu
ihrem Schrecken sehen, was sie im Gefolge des Adels für sich angerichtet.
Es ist wirklich hoch noth, daß die sogenannte Selbstverwaltung der Provinz
auf andere Beine gesteW'wird und nicht in eine Selbstversorgung der Ver-
treter ausartet.




Grenzboten IV. 1875.3!^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134623"/>
          <p xml:id="ID_848" prev="#ID_847"> liberalgegoltene hessische Volksvertretung sich im Culturkampfe auf die Seite<lb/>
der Hierarchie gestellt hat. Die Grundlage für die Macht des Adels ist<lb/>
übrigens noch in kurfürstlicher Zeit gelegt. Als der Bundestag die Her¬<lb/>
stellung der Verfassung von 1831 beschloß, legte er damit zugleich auf, die<lb/>
bundeswidrigen Punkte zu beseitigen. Bundeswidrig war aber offenbar nur<lb/>
die im Landtage fehlende Vertretung der früheren Reichsritterschaft; der Land¬<lb/>
tag von 1864 ließ sich aber in übertriebener Rücksichtnahme herbei, auch die<lb/>
hessische landsässige Ritterschaft wieder in den Landtag zu ziehen, die 1849<lb/>
als ganz bedeutungslos glücklich aus derselben beseitigt war. Mit dieser<lb/>
ganz unnöthigen Wiederhtzranziehung der armen Ritter des Landes hat sich<lb/>
die liberale Volksvertretung eine schwere Ruthe aufgebunden, denn dem<lb/>
Communallandtage wurde 1867 das also verballhornte Wahlgesetz von 1849<lb/>
zu Grunde gelegt und zwar, auf Veranlassung der nachher agrarischen Ele¬<lb/>
mente, sogar unter Begründung der Interessen-Vertretung von 4 Ständen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_849"> Nun ist freilich unter den Liberalen der Unwille erwacht und als Zeichen<lb/>
desselben ist die wahrhaft vernichtende Kritik anzusehen, welche der Versuch<lb/>
der Landboten zur Erhöhung ihrer Diäten in der Presse gefunden hat. Ohne<lb/>
den Hinblick auf jene allgemeine Wendung hätte man es wohl noch serner<lb/>
ungerügt gelassen, daß die Abgeordneten ihre Sessionen auffallend in die<lb/>
Länge zu ziehen Pflegen und daß die meisten derselben die Diäten auch für<lb/>
die Tage nehmen, an welchen sie sich nicht hier, sondern zu Hause befinden;<lb/>
und es finden wöchentlich höchstens 2 Sitzungen statt, zu denen die Herren<lb/>
aus der Provinz auf wenige Stunden herkommen. Im kurhessischen Land¬<lb/>
tage soll das freilich noch ärger gewesen sein; da pflegte sich der Landtag<lb/>
Z. B. um Weihnachten nicht zu vertagen, sondern es wurde die nächste Sitzung<lb/>
auf einen Tag in der drittnächsten Woche angesetzt. So bezog man die Di¬<lb/>
äten, während diese bei Vertagung weggefallen wären. Auch nahmen Ab¬<lb/>
geordnete Diäten selbst für die Zeit, in welcher sie, natürlich ohne Entschul¬<lb/>
digung, weite Geschäftsreisen, z. B. bis Paris, machten. Die Rügen solchen<lb/>
Verfahrens werden jetzt den ländlichen Abgeordneten zu Theil, die damit zu<lb/>
ihrem Schrecken sehen, was sie im Gefolge des Adels für sich angerichtet.<lb/>
Es ist wirklich hoch noth, daß die sogenannte Selbstverwaltung der Provinz<lb/>
auf andere Beine gesteW'wird und nicht in eine Selbstversorgung der Ver-<lb/>
treter ausartet.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1875.3!^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] liberalgegoltene hessische Volksvertretung sich im Culturkampfe auf die Seite der Hierarchie gestellt hat. Die Grundlage für die Macht des Adels ist übrigens noch in kurfürstlicher Zeit gelegt. Als der Bundestag die Her¬ stellung der Verfassung von 1831 beschloß, legte er damit zugleich auf, die bundeswidrigen Punkte zu beseitigen. Bundeswidrig war aber offenbar nur die im Landtage fehlende Vertretung der früheren Reichsritterschaft; der Land¬ tag von 1864 ließ sich aber in übertriebener Rücksichtnahme herbei, auch die hessische landsässige Ritterschaft wieder in den Landtag zu ziehen, die 1849 als ganz bedeutungslos glücklich aus derselben beseitigt war. Mit dieser ganz unnöthigen Wiederhtzranziehung der armen Ritter des Landes hat sich die liberale Volksvertretung eine schwere Ruthe aufgebunden, denn dem Communallandtage wurde 1867 das also verballhornte Wahlgesetz von 1849 zu Grunde gelegt und zwar, auf Veranlassung der nachher agrarischen Ele¬ mente, sogar unter Begründung der Interessen-Vertretung von 4 Ständen. Nun ist freilich unter den Liberalen der Unwille erwacht und als Zeichen desselben ist die wahrhaft vernichtende Kritik anzusehen, welche der Versuch der Landboten zur Erhöhung ihrer Diäten in der Presse gefunden hat. Ohne den Hinblick auf jene allgemeine Wendung hätte man es wohl noch serner ungerügt gelassen, daß die Abgeordneten ihre Sessionen auffallend in die Länge zu ziehen Pflegen und daß die meisten derselben die Diäten auch für die Tage nehmen, an welchen sie sich nicht hier, sondern zu Hause befinden; und es finden wöchentlich höchstens 2 Sitzungen statt, zu denen die Herren aus der Provinz auf wenige Stunden herkommen. Im kurhessischen Land¬ tage soll das freilich noch ärger gewesen sein; da pflegte sich der Landtag Z. B. um Weihnachten nicht zu vertagen, sondern es wurde die nächste Sitzung auf einen Tag in der drittnächsten Woche angesetzt. So bezog man die Di¬ äten, während diese bei Vertagung weggefallen wären. Auch nahmen Ab¬ geordnete Diäten selbst für die Zeit, in welcher sie, natürlich ohne Entschul¬ digung, weite Geschäftsreisen, z. B. bis Paris, machten. Die Rügen solchen Verfahrens werden jetzt den ländlichen Abgeordneten zu Theil, die damit zu ihrem Schrecken sehen, was sie im Gefolge des Adels für sich angerichtet. Es ist wirklich hoch noth, daß die sogenannte Selbstverwaltung der Provinz auf andere Beine gesteW'wird und nicht in eine Selbstversorgung der Ver- treter ausartet. Grenzboten IV. 1875.3!^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/277>, abgerufen am 24.05.2024.