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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Aas englische Urtheil user den Untergang des Kam-
öurger Dampfers "Schiller". --

Die verheerenden Naturereignisse dieses Sommers, die in Deutschland,
Ungarn, England und Frankreich so namenloses Elend im Gefolge hatten,
viele Tausende von Menschenopfern forderten, Millionen an Gütern und Ge¬
bäuden zerstörten, haben die Aufmerksamkett des großen Publikums fast voll¬
ständig von derjenigen Katastrophe abgelenkt, welche den Reigen der dies¬
jährigen Unglücksfälle eröffnete. Ich meine den entsetzlichen Schiffbruch des
Hamburger Dampfers Schiller, am Abend des 7. Mai dieses Jahres. --

Ein Wolkenbruch, eine Ueberschwemmung, eine verheerende Feuersbrunst,
ist ein entsetzliches Unglück; ganze Ortschaften werden verwüstet, ganze Fa¬
milien an den Bettelstab gebracht oder vernichtet; und doch möchte ich fast
sagen, der Untergang eines stark besetzten transatlantischen Postdampfers ist
ein noch schrecklicherer Unglücksfall. Sein Untergang bringt Schmerz und
Weh nicht nur einer Gemeinde, einem Lande; manche Stadt diesseits und
jenseits des Oceans wird durch den Tod eines Verwandten, eines nahen
Freundes oder Bekannten schmerzlich berührt. Ein Unglück, das entfesselte
Naturelemente erzeugen, erweckt bei Allen das Bewußtsein, daß der Mensch
solchen Ereignissen gegenüber fast machtlos ist und dadurch meist auch die
allgemeine Theilnahme in einem Grade, daß den Betroffenen, wenigstens
einigermaaßen, der Verlust an Hab und Gut ersetzt wird. Anders bei
einem Unglück, wie das des Schiller. Der Untergang eines transatlantischen
Dampfers sollte fast eine absolute Unmöglichkeit sein; nur ein Orkan oder
Sturm an der Küste sollte ihn herbeiführen können. Die Folgen etwaiger
Unachtsamkeit der Führung aber, eines übermäßigen Selbstvertrauens des
Capitains oder Lootsen sollten verhütet werden durch Vorrichtungen an der
Küste, welche auch dem Leichtsinnigen, dem Irrenden unter allen Umständen
die Nähe einer drohenden Gefahr anzeigen. Es ist daher Pflicht eines
Jeden, vor Allem aber der Presse, auf alle Umstände aufmerksam zu machen,
die bei der Untersuchung der Ursachen eines solchen Unglücks aufgedeckt
werden, und Alles das entschlossen zu rügen, was im Stande wäre, jederzeit
eine Wiederholung des Unglücks möglich zu machen. Ebendarum dürfte auch
die nachstehende Untersuchung keineswegs veraltet erscheinen, weil sie von all¬
gemeinen Gesichtspunkten ausgeht.

Von dem englischen Urtheil, welches aus Anlaß des Unterganges des
Dampfers "Schiller" gefällt wurde, kann dies leider nicht behauptet werden.
Bekanntlich hat das Polizeigericht zu Greenwich diesen Schiffbruch zum Gegen¬
stand einer Untersuchung gemacht und darauf ein Urtheil gefällt. Dieses


Aas englische Urtheil user den Untergang des Kam-
öurger Dampfers „Schiller". —

Die verheerenden Naturereignisse dieses Sommers, die in Deutschland,
Ungarn, England und Frankreich so namenloses Elend im Gefolge hatten,
viele Tausende von Menschenopfern forderten, Millionen an Gütern und Ge¬
bäuden zerstörten, haben die Aufmerksamkett des großen Publikums fast voll¬
ständig von derjenigen Katastrophe abgelenkt, welche den Reigen der dies¬
jährigen Unglücksfälle eröffnete. Ich meine den entsetzlichen Schiffbruch des
Hamburger Dampfers Schiller, am Abend des 7. Mai dieses Jahres. —

Ein Wolkenbruch, eine Ueberschwemmung, eine verheerende Feuersbrunst,
ist ein entsetzliches Unglück; ganze Ortschaften werden verwüstet, ganze Fa¬
milien an den Bettelstab gebracht oder vernichtet; und doch möchte ich fast
sagen, der Untergang eines stark besetzten transatlantischen Postdampfers ist
ein noch schrecklicherer Unglücksfall. Sein Untergang bringt Schmerz und
Weh nicht nur einer Gemeinde, einem Lande; manche Stadt diesseits und
jenseits des Oceans wird durch den Tod eines Verwandten, eines nahen
Freundes oder Bekannten schmerzlich berührt. Ein Unglück, das entfesselte
Naturelemente erzeugen, erweckt bei Allen das Bewußtsein, daß der Mensch
solchen Ereignissen gegenüber fast machtlos ist und dadurch meist auch die
allgemeine Theilnahme in einem Grade, daß den Betroffenen, wenigstens
einigermaaßen, der Verlust an Hab und Gut ersetzt wird. Anders bei
einem Unglück, wie das des Schiller. Der Untergang eines transatlantischen
Dampfers sollte fast eine absolute Unmöglichkeit sein; nur ein Orkan oder
Sturm an der Küste sollte ihn herbeiführen können. Die Folgen etwaiger
Unachtsamkeit der Führung aber, eines übermäßigen Selbstvertrauens des
Capitains oder Lootsen sollten verhütet werden durch Vorrichtungen an der
Küste, welche auch dem Leichtsinnigen, dem Irrenden unter allen Umständen
die Nähe einer drohenden Gefahr anzeigen. Es ist daher Pflicht eines
Jeden, vor Allem aber der Presse, auf alle Umstände aufmerksam zu machen,
die bei der Untersuchung der Ursachen eines solchen Unglücks aufgedeckt
werden, und Alles das entschlossen zu rügen, was im Stande wäre, jederzeit
eine Wiederholung des Unglücks möglich zu machen. Ebendarum dürfte auch
die nachstehende Untersuchung keineswegs veraltet erscheinen, weil sie von all¬
gemeinen Gesichtspunkten ausgeht.

Von dem englischen Urtheil, welches aus Anlaß des Unterganges des
Dampfers „Schiller" gefällt wurde, kann dies leider nicht behauptet werden.
Bekanntlich hat das Polizeigericht zu Greenwich diesen Schiffbruch zum Gegen¬
stand einer Untersuchung gemacht und darauf ein Urtheil gefällt. Dieses


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[0432] Aas englische Urtheil user den Untergang des Kam- öurger Dampfers „Schiller". — Die verheerenden Naturereignisse dieses Sommers, die in Deutschland, Ungarn, England und Frankreich so namenloses Elend im Gefolge hatten, viele Tausende von Menschenopfern forderten, Millionen an Gütern und Ge¬ bäuden zerstörten, haben die Aufmerksamkett des großen Publikums fast voll¬ ständig von derjenigen Katastrophe abgelenkt, welche den Reigen der dies¬ jährigen Unglücksfälle eröffnete. Ich meine den entsetzlichen Schiffbruch des Hamburger Dampfers Schiller, am Abend des 7. Mai dieses Jahres. — Ein Wolkenbruch, eine Ueberschwemmung, eine verheerende Feuersbrunst, ist ein entsetzliches Unglück; ganze Ortschaften werden verwüstet, ganze Fa¬ milien an den Bettelstab gebracht oder vernichtet; und doch möchte ich fast sagen, der Untergang eines stark besetzten transatlantischen Postdampfers ist ein noch schrecklicherer Unglücksfall. Sein Untergang bringt Schmerz und Weh nicht nur einer Gemeinde, einem Lande; manche Stadt diesseits und jenseits des Oceans wird durch den Tod eines Verwandten, eines nahen Freundes oder Bekannten schmerzlich berührt. Ein Unglück, das entfesselte Naturelemente erzeugen, erweckt bei Allen das Bewußtsein, daß der Mensch solchen Ereignissen gegenüber fast machtlos ist und dadurch meist auch die allgemeine Theilnahme in einem Grade, daß den Betroffenen, wenigstens einigermaaßen, der Verlust an Hab und Gut ersetzt wird. Anders bei einem Unglück, wie das des Schiller. Der Untergang eines transatlantischen Dampfers sollte fast eine absolute Unmöglichkeit sein; nur ein Orkan oder Sturm an der Küste sollte ihn herbeiführen können. Die Folgen etwaiger Unachtsamkeit der Führung aber, eines übermäßigen Selbstvertrauens des Capitains oder Lootsen sollten verhütet werden durch Vorrichtungen an der Küste, welche auch dem Leichtsinnigen, dem Irrenden unter allen Umständen die Nähe einer drohenden Gefahr anzeigen. Es ist daher Pflicht eines Jeden, vor Allem aber der Presse, auf alle Umstände aufmerksam zu machen, die bei der Untersuchung der Ursachen eines solchen Unglücks aufgedeckt werden, und Alles das entschlossen zu rügen, was im Stande wäre, jederzeit eine Wiederholung des Unglücks möglich zu machen. Ebendarum dürfte auch die nachstehende Untersuchung keineswegs veraltet erscheinen, weil sie von all¬ gemeinen Gesichtspunkten ausgeht. Von dem englischen Urtheil, welches aus Anlaß des Unterganges des Dampfers „Schiller" gefällt wurde, kann dies leider nicht behauptet werden. Bekanntlich hat das Polizeigericht zu Greenwich diesen Schiffbruch zum Gegen¬ stand einer Untersuchung gemacht und darauf ein Urtheil gefällt. Dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/432>, abgerufen am 05.05.2024.