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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Stimmrechts wird er wohl Recht haben, aber mit dem allgemeinen Stimm¬
recht würde er zunächst die großen Städte, diese Gasthäuser der fluetuirenden
Bevölkerung gründlich ruiniren. Wer weiß aber, ob er bei der Ausführung
dieses mehr als befremdlichen Gedankens nicht Einschränkungen finden würde,
die ihn annehmbar machen?

Der Minister des Innern äußerte sich auf die gegen den Entwurf er¬
hobenen Ausstellungen sehr versöhnlich und entgegenkommend. Die Vorlage
L! -- r. wurde einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.




Aus dem Maß.

Viel Aufsehen hat das Preßproceß-Mißgeschick erregt, welches den Ches-
redacteur und Hauptmitarbeiter des "Elsässer Journals" getroffen. Wegen
eines Leitartikels in einer Januarnummer seines Blattes, welcher von dem
Reichs-Civilehegesetz und dessen Einführung in Mecklenburg handelte und dabei
vor dem Großherzog nicht den genügenden Respect bewahrte, wurden Beide,
Herr Schneegans als Verfasser, Herr Fischbach als verantwortlicher Redacteur,
zu je 1 Monat Festung verurtheilt. Das ist das Minimum der Strafe für
Beleidigungen von Bundesfürsten, vurg, lex -- sha lex.

Die Elsässer schütteln zwar den Kops dazu und meinen, es sei doch eine
gar zu bittere Ironie, daß "es Nselkmbciui'g", dieses freisinnige und auf¬
geklärte Mecklenburg gerade in dieser Hinsicht und gerade wegen dieses Leit¬
artikels dem hochfeudalen Elsaß zum Verhängniß werden müsse. Die El¬
sässer würden ganz recht haben, wenn sie nur nicht vergäßen, daß man in
Mecklenburg den feinen Sarkasmus des französischen Esprits nicht als Scherz
aufnehmen kann.

Auch Herr Stadtpfarrer und Reichstagsabgeordneter Winterer hat kürzlich
in Mülhausen seinen Injurien-Prozeß gehabt, ist aber freigesprochen worden.
Da ich Sie früher schon einmal über den Gegenstand dieses Prozesses unter¬
halten habe, so ziemt es sich, auch bei dem Ausgange desselben einen Augen¬
blick zu verweilen. Kläger war der Ex-Mönch Des Pilliers, Gegenstand der
Klage die Ihnen bekannten Reden des Herrn Winterer im Reichstage und
zwei Artikel im "Inäustr. alsae.", in denen sich Des Pilliers beleidigt sah, weil
sie ihm strafbare Handlungen vorwarfen. Herr Winterer, der sich selbst ver¬
theidigte, konnte nun aber den Wahrheitsbeweis erbringen und nachweisen,
daß der frühere Dominikaner nicht bloß wegen Preßvergehen, sondern auch


Stimmrechts wird er wohl Recht haben, aber mit dem allgemeinen Stimm¬
recht würde er zunächst die großen Städte, diese Gasthäuser der fluetuirenden
Bevölkerung gründlich ruiniren. Wer weiß aber, ob er bei der Ausführung
dieses mehr als befremdlichen Gedankens nicht Einschränkungen finden würde,
die ihn annehmbar machen?

Der Minister des Innern äußerte sich auf die gegen den Entwurf er¬
hobenen Ausstellungen sehr versöhnlich und entgegenkommend. Die Vorlage
L! — r. wurde einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.




Aus dem Maß.

Viel Aufsehen hat das Preßproceß-Mißgeschick erregt, welches den Ches-
redacteur und Hauptmitarbeiter des „Elsässer Journals" getroffen. Wegen
eines Leitartikels in einer Januarnummer seines Blattes, welcher von dem
Reichs-Civilehegesetz und dessen Einführung in Mecklenburg handelte und dabei
vor dem Großherzog nicht den genügenden Respect bewahrte, wurden Beide,
Herr Schneegans als Verfasser, Herr Fischbach als verantwortlicher Redacteur,
zu je 1 Monat Festung verurtheilt. Das ist das Minimum der Strafe für
Beleidigungen von Bundesfürsten, vurg, lex — sha lex.

Die Elsässer schütteln zwar den Kops dazu und meinen, es sei doch eine
gar zu bittere Ironie, daß „es Nselkmbciui'g", dieses freisinnige und auf¬
geklärte Mecklenburg gerade in dieser Hinsicht und gerade wegen dieses Leit¬
artikels dem hochfeudalen Elsaß zum Verhängniß werden müsse. Die El¬
sässer würden ganz recht haben, wenn sie nur nicht vergäßen, daß man in
Mecklenburg den feinen Sarkasmus des französischen Esprits nicht als Scherz
aufnehmen kann.

Auch Herr Stadtpfarrer und Reichstagsabgeordneter Winterer hat kürzlich
in Mülhausen seinen Injurien-Prozeß gehabt, ist aber freigesprochen worden.
Da ich Sie früher schon einmal über den Gegenstand dieses Prozesses unter¬
halten habe, so ziemt es sich, auch bei dem Ausgange desselben einen Augen¬
blick zu verweilen. Kläger war der Ex-Mönch Des Pilliers, Gegenstand der
Klage die Ihnen bekannten Reden des Herrn Winterer im Reichstage und
zwei Artikel im „Inäustr. alsae.", in denen sich Des Pilliers beleidigt sah, weil
sie ihm strafbare Handlungen vorwarfen. Herr Winterer, der sich selbst ver¬
theidigte, konnte nun aber den Wahrheitsbeweis erbringen und nachweisen,
daß der frühere Dominikaner nicht bloß wegen Preßvergehen, sondern auch


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[0518] Stimmrechts wird er wohl Recht haben, aber mit dem allgemeinen Stimm¬ recht würde er zunächst die großen Städte, diese Gasthäuser der fluetuirenden Bevölkerung gründlich ruiniren. Wer weiß aber, ob er bei der Ausführung dieses mehr als befremdlichen Gedankens nicht Einschränkungen finden würde, die ihn annehmbar machen? Der Minister des Innern äußerte sich auf die gegen den Entwurf er¬ hobenen Ausstellungen sehr versöhnlich und entgegenkommend. Die Vorlage L! — r. wurde einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen. Aus dem Maß. Viel Aufsehen hat das Preßproceß-Mißgeschick erregt, welches den Ches- redacteur und Hauptmitarbeiter des „Elsässer Journals" getroffen. Wegen eines Leitartikels in einer Januarnummer seines Blattes, welcher von dem Reichs-Civilehegesetz und dessen Einführung in Mecklenburg handelte und dabei vor dem Großherzog nicht den genügenden Respect bewahrte, wurden Beide, Herr Schneegans als Verfasser, Herr Fischbach als verantwortlicher Redacteur, zu je 1 Monat Festung verurtheilt. Das ist das Minimum der Strafe für Beleidigungen von Bundesfürsten, vurg, lex — sha lex. Die Elsässer schütteln zwar den Kops dazu und meinen, es sei doch eine gar zu bittere Ironie, daß „es Nselkmbciui'g", dieses freisinnige und auf¬ geklärte Mecklenburg gerade in dieser Hinsicht und gerade wegen dieses Leit¬ artikels dem hochfeudalen Elsaß zum Verhängniß werden müsse. Die El¬ sässer würden ganz recht haben, wenn sie nur nicht vergäßen, daß man in Mecklenburg den feinen Sarkasmus des französischen Esprits nicht als Scherz aufnehmen kann. Auch Herr Stadtpfarrer und Reichstagsabgeordneter Winterer hat kürzlich in Mülhausen seinen Injurien-Prozeß gehabt, ist aber freigesprochen worden. Da ich Sie früher schon einmal über den Gegenstand dieses Prozesses unter¬ halten habe, so ziemt es sich, auch bei dem Ausgange desselben einen Augen¬ blick zu verweilen. Kläger war der Ex-Mönch Des Pilliers, Gegenstand der Klage die Ihnen bekannten Reden des Herrn Winterer im Reichstage und zwei Artikel im „Inäustr. alsae.", in denen sich Des Pilliers beleidigt sah, weil sie ihm strafbare Handlungen vorwarfen. Herr Winterer, der sich selbst ver¬ theidigte, konnte nun aber den Wahrheitsbeweis erbringen und nachweisen, daß der frühere Dominikaner nicht bloß wegen Preßvergehen, sondern auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/518>, abgerufen am 04.05.2024.