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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Gegen den Entwurf der neuen Städteordnung sprach in ausführlicher
und eifriger Rede Miquel. Seine Liebhaberei für den administrativen Par¬
tikularismus gab ihm den Hauptstoff der Ausstellungen. Allein er fand auch
Stoff zu begründetem Tadel. Nur waren seine Angriffe, wo sie berechtigt
waren, nicht scharf genug. Die Städteordnung der alten Provinzen nämlich,
die dritte Umformung der berühmten Städteordnung des Freiherrn v. Stein,
ist trotz ihres großen Urhebers ein Werk, das man endlich beseitigen sollte.
Nachdem der eine Hauptgedanke der Städteordnung von 1808, die Basirurig
des aktiven Bürgerrechts auf den städtischen Grundbesitz, vielleicht sehr mit
Unrecht aufgegeben worden ist, muß auch der andere Gedanke fallen, der eines
regierenden Bürgerausschusses, für welchen der Magistrat nur die Executive
bildet. Man hat sich genöthigt gesehen, den Magistrat immer selbständiger
zu stellen, und so hat man in die Städte den Dualismus zweier Collegien,
Magistrat und Stadtverordnete, analog dem Dualismus zwischen Regierung
und Parlament, aber in weit schlimmerer Gestalt hineingebracht. Man sollte
endlich die Axt an die Wurzel dieses gänzlich entarteten Verhältnisses legen.
-- Weiter berührt der Redner das städtische Wahlsystem nach den drei Klassen
und ferner den Grundsatz, welche Gemeinden überhaupt das Recht haben
sollen, die Stadtverfassung anzunehmen. Auch Miquel konnte nur sagen, daß
diese Punkte nur im Zusammenhange der ganzen Verwaltungsreform zu er¬
ledigen sind, und daß man Flickwerk macht, so lange man diesen Zusammen¬
hang nicht vor Augen hat. Den Schluß aber, daß man das Flickwerk, das
beständig wieder aufgerissen werden muß, lieber gar nicht machen sollte, zog
er nicht.

Nach Miquel sprach Eugen Richter. Das starke Talent dieses Mannes
springt immer mehr in die Augen mit der Ausbreitung seiner öffentlichen
Thätigkeit. Er traf den kranken Punkt der Städteordnung viel besser als
sein Vorredner. Miquel wollte an dem gemeinschädlichem Dualismus der
städtischen Behörden nur flicken, Richter will ihn beseitigen. Er schlug vor,
den Städten nach Art der neuen Provinzialverfassung einen Bürgermeister zu
geben und dem Bürgermeister zur Seite einen von den Stadtverordneten ge¬
wählten Ausschuß ähnlich wie der Provinzialrath. Unter dem Bürgermeister
sollen nach Bedürfniß gerade wie unter dem Präsidenten und Oberpräsidenten
technische Räthe, aber ohne collegialisches Stimmrecht fungiren, die Geschäfte
der Stadtverordnetenversammlung sollen auf die Ausgabebewilligung und aus
die Ftnanzcontrole für den ganzen Verwaltungsaufwand des Jahres beschränkt
werden. Wir können in der That mit diesem Gedanken lediglich unser voll-
kommnes EinVerständniß erklären. Um aber zu zeigen, daß er zum Kanzler¬
posten doch noch Einiges zu erwerben hat, verlangte Herr Richter für die
Städte das allgemeine gleiche Stimmrecht. Mit der Forderung des gleichen


Gegen den Entwurf der neuen Städteordnung sprach in ausführlicher
und eifriger Rede Miquel. Seine Liebhaberei für den administrativen Par¬
tikularismus gab ihm den Hauptstoff der Ausstellungen. Allein er fand auch
Stoff zu begründetem Tadel. Nur waren seine Angriffe, wo sie berechtigt
waren, nicht scharf genug. Die Städteordnung der alten Provinzen nämlich,
die dritte Umformung der berühmten Städteordnung des Freiherrn v. Stein,
ist trotz ihres großen Urhebers ein Werk, das man endlich beseitigen sollte.
Nachdem der eine Hauptgedanke der Städteordnung von 1808, die Basirurig
des aktiven Bürgerrechts auf den städtischen Grundbesitz, vielleicht sehr mit
Unrecht aufgegeben worden ist, muß auch der andere Gedanke fallen, der eines
regierenden Bürgerausschusses, für welchen der Magistrat nur die Executive
bildet. Man hat sich genöthigt gesehen, den Magistrat immer selbständiger
zu stellen, und so hat man in die Städte den Dualismus zweier Collegien,
Magistrat und Stadtverordnete, analog dem Dualismus zwischen Regierung
und Parlament, aber in weit schlimmerer Gestalt hineingebracht. Man sollte
endlich die Axt an die Wurzel dieses gänzlich entarteten Verhältnisses legen.
— Weiter berührt der Redner das städtische Wahlsystem nach den drei Klassen
und ferner den Grundsatz, welche Gemeinden überhaupt das Recht haben
sollen, die Stadtverfassung anzunehmen. Auch Miquel konnte nur sagen, daß
diese Punkte nur im Zusammenhange der ganzen Verwaltungsreform zu er¬
ledigen sind, und daß man Flickwerk macht, so lange man diesen Zusammen¬
hang nicht vor Augen hat. Den Schluß aber, daß man das Flickwerk, das
beständig wieder aufgerissen werden muß, lieber gar nicht machen sollte, zog
er nicht.

Nach Miquel sprach Eugen Richter. Das starke Talent dieses Mannes
springt immer mehr in die Augen mit der Ausbreitung seiner öffentlichen
Thätigkeit. Er traf den kranken Punkt der Städteordnung viel besser als
sein Vorredner. Miquel wollte an dem gemeinschädlichem Dualismus der
städtischen Behörden nur flicken, Richter will ihn beseitigen. Er schlug vor,
den Städten nach Art der neuen Provinzialverfassung einen Bürgermeister zu
geben und dem Bürgermeister zur Seite einen von den Stadtverordneten ge¬
wählten Ausschuß ähnlich wie der Provinzialrath. Unter dem Bürgermeister
sollen nach Bedürfniß gerade wie unter dem Präsidenten und Oberpräsidenten
technische Räthe, aber ohne collegialisches Stimmrecht fungiren, die Geschäfte
der Stadtverordnetenversammlung sollen auf die Ausgabebewilligung und aus
die Ftnanzcontrole für den ganzen Verwaltungsaufwand des Jahres beschränkt
werden. Wir können in der That mit diesem Gedanken lediglich unser voll-
kommnes EinVerständniß erklären. Um aber zu zeigen, daß er zum Kanzler¬
posten doch noch Einiges zu erwerben hat, verlangte Herr Richter für die
Städte das allgemeine gleiche Stimmrecht. Mit der Forderung des gleichen


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[0517] Gegen den Entwurf der neuen Städteordnung sprach in ausführlicher und eifriger Rede Miquel. Seine Liebhaberei für den administrativen Par¬ tikularismus gab ihm den Hauptstoff der Ausstellungen. Allein er fand auch Stoff zu begründetem Tadel. Nur waren seine Angriffe, wo sie berechtigt waren, nicht scharf genug. Die Städteordnung der alten Provinzen nämlich, die dritte Umformung der berühmten Städteordnung des Freiherrn v. Stein, ist trotz ihres großen Urhebers ein Werk, das man endlich beseitigen sollte. Nachdem der eine Hauptgedanke der Städteordnung von 1808, die Basirurig des aktiven Bürgerrechts auf den städtischen Grundbesitz, vielleicht sehr mit Unrecht aufgegeben worden ist, muß auch der andere Gedanke fallen, der eines regierenden Bürgerausschusses, für welchen der Magistrat nur die Executive bildet. Man hat sich genöthigt gesehen, den Magistrat immer selbständiger zu stellen, und so hat man in die Städte den Dualismus zweier Collegien, Magistrat und Stadtverordnete, analog dem Dualismus zwischen Regierung und Parlament, aber in weit schlimmerer Gestalt hineingebracht. Man sollte endlich die Axt an die Wurzel dieses gänzlich entarteten Verhältnisses legen. — Weiter berührt der Redner das städtische Wahlsystem nach den drei Klassen und ferner den Grundsatz, welche Gemeinden überhaupt das Recht haben sollen, die Stadtverfassung anzunehmen. Auch Miquel konnte nur sagen, daß diese Punkte nur im Zusammenhange der ganzen Verwaltungsreform zu er¬ ledigen sind, und daß man Flickwerk macht, so lange man diesen Zusammen¬ hang nicht vor Augen hat. Den Schluß aber, daß man das Flickwerk, das beständig wieder aufgerissen werden muß, lieber gar nicht machen sollte, zog er nicht. Nach Miquel sprach Eugen Richter. Das starke Talent dieses Mannes springt immer mehr in die Augen mit der Ausbreitung seiner öffentlichen Thätigkeit. Er traf den kranken Punkt der Städteordnung viel besser als sein Vorredner. Miquel wollte an dem gemeinschädlichem Dualismus der städtischen Behörden nur flicken, Richter will ihn beseitigen. Er schlug vor, den Städten nach Art der neuen Provinzialverfassung einen Bürgermeister zu geben und dem Bürgermeister zur Seite einen von den Stadtverordneten ge¬ wählten Ausschuß ähnlich wie der Provinzialrath. Unter dem Bürgermeister sollen nach Bedürfniß gerade wie unter dem Präsidenten und Oberpräsidenten technische Räthe, aber ohne collegialisches Stimmrecht fungiren, die Geschäfte der Stadtverordnetenversammlung sollen auf die Ausgabebewilligung und aus die Ftnanzcontrole für den ganzen Verwaltungsaufwand des Jahres beschränkt werden. Wir können in der That mit diesem Gedanken lediglich unser voll- kommnes EinVerständniß erklären. Um aber zu zeigen, daß er zum Kanzler¬ posten doch noch Einiges zu erwerben hat, verlangte Herr Richter für die Städte das allgemeine gleiche Stimmrecht. Mit der Forderung des gleichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/517>, abgerufen am 24.05.2024.