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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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gesucht waren, oder, wenn es sich um den Hauptpunkt handelte, so wurde
er berührt wie ein Gegenstand im Nebel, dessen Form und Lage man nicht
erkennt. Das wahre Licht über die Bedeutung der Frage muß für das große
Gebiet der öffentlichen Meinung nun von den Verhandlungen des Landtages
erwartet werden. Aber es ist keineswegs sicher, ob auch die Landtagsver¬
handlungen das Verständniß hervorbringen werden. Möglich, daß was im
Ganzen und Großen in der Generalsynode geschehen, sich im Landtag wieder¬
holt, daß man nämlich die Regierungsvorlage gutheißt, weil man sieht, daß
die Regierung entschiedenen Werth darauf legt, weil man sich mit der Regie¬
rung nicht entzweien will, und vor Allem, weil man nichts Besseres weiß.
Sollte diese Stimmung in der Majorität vorherrschend werden, so ist die
Ausstellung bedeutender und die Tiefe der Sache erleuchtender Gesichtspunkte
nicht gerade erforderlich und nicht zu erwarten. Daß eine solche Wendung
nicht unwahrscheinlich, ersieht man aus den Ausführung'en der national¬
liberalen Blätter. Ihre Empfehlung der neuen Verfassung beschränkt sich
auf die Bemerkung, daß, wenn die Verfassung vereitelt wird, das bisherige
landesherrliche Kirchenregiment mit seiner Verwaltung der Kirche durch Con-
sistorien und Staatsbehörden bestehen bleibt. Man ist einstimmig der Mei¬
nung, daß die neue Ordnung vorzuziehen sei, hauptsächlich weil sie die Laien
an der Kirche stärker betheiltgt. Man übersetzt sich das in die landläufigen
Begriffe: dort Bureaukratie, hier theilweise Selbstverwaltung; Selbstverwaltung
ist aber gut überall; wir wissen also, was wir zu wählen haben. Das ist
es, was man entdeckt und herausfindet, und daß es nicht mehr ist, kann in
der That nicht Wunder nehmen bei der völligen Entwöhnung der Laienwelt
von dem Verständniß kirchlicher Dinge, und namentlich von der Bedeutung
des kirchlichen Lebens als eines erziehenden Faktors der nationalen Kraft.
Daß dieses Verständniß so weit geschwunden, daran trägt auch die Kirche ihre
große Schuld. Klagen wir also nicht an, sondern versuchen wir, das neue
Verfassungswerk gerecht und vollständig zu würdigen. Das Wenige, was die
Verhandlungen der Generalsynode zum Verständniß derselben beigetragen, dürfen
wir uns nicht entgehen lassen. Die Hauptpunkte der Verhandlungen wenig¬
stens müssen wir erläuternd zurückrufen.




Die Prachtausgabe von Michelangelo's Hedichten.

In Italien sind zur Feier des vierhundertjährigen Geburtstags des
großen Michelangelo bekanntlich zwei größere wissenschaftliche Arbeiten
erschienen, die Publication von Michelangelo's, bisher in dessen Hausarchiv
zu Florenz eifersüchtig bewahrten Briefen durch den Archivar Gaetano
Milanesi und eine auf sorgfältiger Benutzung bisher nicht bekannter Doku¬
mente beruhende neue Biographie des Meisters von Aurelto Gottl. Es war
ein schöner Gedanke auch in Deutschland, neben den vielen, meist kleineren
Gelegenheitsschriften, die doch bald vergessen sein werden, ein Buch herzu-


gesucht waren, oder, wenn es sich um den Hauptpunkt handelte, so wurde
er berührt wie ein Gegenstand im Nebel, dessen Form und Lage man nicht
erkennt. Das wahre Licht über die Bedeutung der Frage muß für das große
Gebiet der öffentlichen Meinung nun von den Verhandlungen des Landtages
erwartet werden. Aber es ist keineswegs sicher, ob auch die Landtagsver¬
handlungen das Verständniß hervorbringen werden. Möglich, daß was im
Ganzen und Großen in der Generalsynode geschehen, sich im Landtag wieder¬
holt, daß man nämlich die Regierungsvorlage gutheißt, weil man sieht, daß
die Regierung entschiedenen Werth darauf legt, weil man sich mit der Regie¬
rung nicht entzweien will, und vor Allem, weil man nichts Besseres weiß.
Sollte diese Stimmung in der Majorität vorherrschend werden, so ist die
Ausstellung bedeutender und die Tiefe der Sache erleuchtender Gesichtspunkte
nicht gerade erforderlich und nicht zu erwarten. Daß eine solche Wendung
nicht unwahrscheinlich, ersieht man aus den Ausführung'en der national¬
liberalen Blätter. Ihre Empfehlung der neuen Verfassung beschränkt sich
auf die Bemerkung, daß, wenn die Verfassung vereitelt wird, das bisherige
landesherrliche Kirchenregiment mit seiner Verwaltung der Kirche durch Con-
sistorien und Staatsbehörden bestehen bleibt. Man ist einstimmig der Mei¬
nung, daß die neue Ordnung vorzuziehen sei, hauptsächlich weil sie die Laien
an der Kirche stärker betheiltgt. Man übersetzt sich das in die landläufigen
Begriffe: dort Bureaukratie, hier theilweise Selbstverwaltung; Selbstverwaltung
ist aber gut überall; wir wissen also, was wir zu wählen haben. Das ist
es, was man entdeckt und herausfindet, und daß es nicht mehr ist, kann in
der That nicht Wunder nehmen bei der völligen Entwöhnung der Laienwelt
von dem Verständniß kirchlicher Dinge, und namentlich von der Bedeutung
des kirchlichen Lebens als eines erziehenden Faktors der nationalen Kraft.
Daß dieses Verständniß so weit geschwunden, daran trägt auch die Kirche ihre
große Schuld. Klagen wir also nicht an, sondern versuchen wir, das neue
Verfassungswerk gerecht und vollständig zu würdigen. Das Wenige, was die
Verhandlungen der Generalsynode zum Verständniß derselben beigetragen, dürfen
wir uns nicht entgehen lassen. Die Hauptpunkte der Verhandlungen wenig¬
stens müssen wir erläuternd zurückrufen.




Die Prachtausgabe von Michelangelo's Hedichten.

In Italien sind zur Feier des vierhundertjährigen Geburtstags des
großen Michelangelo bekanntlich zwei größere wissenschaftliche Arbeiten
erschienen, die Publication von Michelangelo's, bisher in dessen Hausarchiv
zu Florenz eifersüchtig bewahrten Briefen durch den Archivar Gaetano
Milanesi und eine auf sorgfältiger Benutzung bisher nicht bekannter Doku¬
mente beruhende neue Biographie des Meisters von Aurelto Gottl. Es war
ein schöner Gedanke auch in Deutschland, neben den vielen, meist kleineren
Gelegenheitsschriften, die doch bald vergessen sein werden, ein Buch herzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/87>, abgerufen am 04.05.2024.