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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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den Jndependentimus gegen die Kirche eintraten, antwortete Heinrich v. Sybel
in einer Weise, die wir deshalb nicht loben dürfen, weil sie aufs genaueste
Mit den hier gegebenen Ausführungen über diesen Punkt übereinstimmt.
Schließlich mußte noch Herr Birchow durchdringen mit dem Zusatz, daß die
Landeskirche bei der Besetzung der theologischen Professoren nicht mitwirken
darf. Unglaublich, aber ganz Herr Virchow. ?vto, puis, adsuräumlest. Die
theologischen Professoren sind für die Landeskirche, aber diese soll über ihre
Bedürfnisse nicht gehört werden; sonst natürlich alle Welt. Wir hoffen, daß
diese Ungeheuerlichkeit entweder im Herrenhaus beseitigt wird, oder daß in
der Praxis die engste Interpretation herrschend wird, so daß man unter der
ausgeschlossenen Mitwirkung nur die beschließende Mitwirkung versteht.

Am 6. Mai wurde in erster Lesung die Verlegung des preußischen Haus-
haltjahres und in zweiter Lesung das Anstedelungsgesetz berathen, das eine
vortreffliche Arbeit ist, uns aber hier bei seinem technischen Charakter nicht
v -- r. beschäftigen kann.




Lin Aesuch sei Ferdinand Ilreittgrath.
Von Karl Bartsch.

Es war am 13. September 1874. Auf dem Wege zur Philologenver¬
sammlung in Innsbruck begriffen, beschloß ich einen Tag in Stuttgart zu
verweilen, um die nachgelassene Correspondenz von Franz Pfeiffer etwas durch¬
zusehen und einen alten Freund, Dr. Wilhelm Vollmar, den fleißigen Mit¬
arbeiter an der kritischen Schillerausgabe, nach Jahren wieder einmal zu be¬
grüßen. Nach gegenseitigem Verfehlen kam er am andern Morgen in meinen
Gasthof, und im Gespräche über sein Leben und seinen Umgang in Stutt¬
gart nannte er Freiligrath unter seinen näheren Bekannten. Ich äußerte
den Wunsch, den Dichter kennen zu lernen, und erfuhr, daß er seit ein paar
Monaten nach Canstadt übergesiedelt sei. So machte ich Vollmar den Vor¬
schlag, um 12 Uhr mit mir nach Canstadt zu fahren, worauf er auch gern
einging. Am Bahnhofe trafen wir uns wieder und eine Viertelstunde später
stiegen wir in Canstadt aus. Nach eingenommenem Mittagessen suchten wir
des Dichters Wohnung auf. hörten aber, er sei noch bei Tische, machten daher
noch einen kleinen Spaziergang und kamen nach 2 Uhr wieder.

Wir wurden in den Salon geführt und gleich daraus trat Freiligrath
ein. Eine kräftige, echt westfälische Erscheinung, weißes volles Haar, der
Bart reich und zwischen Grau und weiß gemischt, sein Auge mild und freundlich.


den Jndependentimus gegen die Kirche eintraten, antwortete Heinrich v. Sybel
in einer Weise, die wir deshalb nicht loben dürfen, weil sie aufs genaueste
Mit den hier gegebenen Ausführungen über diesen Punkt übereinstimmt.
Schließlich mußte noch Herr Birchow durchdringen mit dem Zusatz, daß die
Landeskirche bei der Besetzung der theologischen Professoren nicht mitwirken
darf. Unglaublich, aber ganz Herr Virchow. ?vto, puis, adsuräumlest. Die
theologischen Professoren sind für die Landeskirche, aber diese soll über ihre
Bedürfnisse nicht gehört werden; sonst natürlich alle Welt. Wir hoffen, daß
diese Ungeheuerlichkeit entweder im Herrenhaus beseitigt wird, oder daß in
der Praxis die engste Interpretation herrschend wird, so daß man unter der
ausgeschlossenen Mitwirkung nur die beschließende Mitwirkung versteht.

Am 6. Mai wurde in erster Lesung die Verlegung des preußischen Haus-
haltjahres und in zweiter Lesung das Anstedelungsgesetz berathen, das eine
vortreffliche Arbeit ist, uns aber hier bei seinem technischen Charakter nicht
v — r. beschäftigen kann.




Lin Aesuch sei Ferdinand Ilreittgrath.
Von Karl Bartsch.

Es war am 13. September 1874. Auf dem Wege zur Philologenver¬
sammlung in Innsbruck begriffen, beschloß ich einen Tag in Stuttgart zu
verweilen, um die nachgelassene Correspondenz von Franz Pfeiffer etwas durch¬
zusehen und einen alten Freund, Dr. Wilhelm Vollmar, den fleißigen Mit¬
arbeiter an der kritischen Schillerausgabe, nach Jahren wieder einmal zu be¬
grüßen. Nach gegenseitigem Verfehlen kam er am andern Morgen in meinen
Gasthof, und im Gespräche über sein Leben und seinen Umgang in Stutt¬
gart nannte er Freiligrath unter seinen näheren Bekannten. Ich äußerte
den Wunsch, den Dichter kennen zu lernen, und erfuhr, daß er seit ein paar
Monaten nach Canstadt übergesiedelt sei. So machte ich Vollmar den Vor¬
schlag, um 12 Uhr mit mir nach Canstadt zu fahren, worauf er auch gern
einging. Am Bahnhofe trafen wir uns wieder und eine Viertelstunde später
stiegen wir in Canstadt aus. Nach eingenommenem Mittagessen suchten wir
des Dichters Wohnung auf. hörten aber, er sei noch bei Tische, machten daher
noch einen kleinen Spaziergang und kamen nach 2 Uhr wieder.

Wir wurden in den Salon geführt und gleich daraus trat Freiligrath
ein. Eine kräftige, echt westfälische Erscheinung, weißes volles Haar, der
Bart reich und zwischen Grau und weiß gemischt, sein Auge mild und freundlich.


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[0273] den Jndependentimus gegen die Kirche eintraten, antwortete Heinrich v. Sybel in einer Weise, die wir deshalb nicht loben dürfen, weil sie aufs genaueste Mit den hier gegebenen Ausführungen über diesen Punkt übereinstimmt. Schließlich mußte noch Herr Birchow durchdringen mit dem Zusatz, daß die Landeskirche bei der Besetzung der theologischen Professoren nicht mitwirken darf. Unglaublich, aber ganz Herr Virchow. ?vto, puis, adsuräumlest. Die theologischen Professoren sind für die Landeskirche, aber diese soll über ihre Bedürfnisse nicht gehört werden; sonst natürlich alle Welt. Wir hoffen, daß diese Ungeheuerlichkeit entweder im Herrenhaus beseitigt wird, oder daß in der Praxis die engste Interpretation herrschend wird, so daß man unter der ausgeschlossenen Mitwirkung nur die beschließende Mitwirkung versteht. Am 6. Mai wurde in erster Lesung die Verlegung des preußischen Haus- haltjahres und in zweiter Lesung das Anstedelungsgesetz berathen, das eine vortreffliche Arbeit ist, uns aber hier bei seinem technischen Charakter nicht v — r. beschäftigen kann. Lin Aesuch sei Ferdinand Ilreittgrath. Von Karl Bartsch. Es war am 13. September 1874. Auf dem Wege zur Philologenver¬ sammlung in Innsbruck begriffen, beschloß ich einen Tag in Stuttgart zu verweilen, um die nachgelassene Correspondenz von Franz Pfeiffer etwas durch¬ zusehen und einen alten Freund, Dr. Wilhelm Vollmar, den fleißigen Mit¬ arbeiter an der kritischen Schillerausgabe, nach Jahren wieder einmal zu be¬ grüßen. Nach gegenseitigem Verfehlen kam er am andern Morgen in meinen Gasthof, und im Gespräche über sein Leben und seinen Umgang in Stutt¬ gart nannte er Freiligrath unter seinen näheren Bekannten. Ich äußerte den Wunsch, den Dichter kennen zu lernen, und erfuhr, daß er seit ein paar Monaten nach Canstadt übergesiedelt sei. So machte ich Vollmar den Vor¬ schlag, um 12 Uhr mit mir nach Canstadt zu fahren, worauf er auch gern einging. Am Bahnhofe trafen wir uns wieder und eine Viertelstunde später stiegen wir in Canstadt aus. Nach eingenommenem Mittagessen suchten wir des Dichters Wohnung auf. hörten aber, er sei noch bei Tische, machten daher noch einen kleinen Spaziergang und kamen nach 2 Uhr wieder. Wir wurden in den Salon geführt und gleich daraus trat Freiligrath ein. Eine kräftige, echt westfälische Erscheinung, weißes volles Haar, der Bart reich und zwischen Grau und weiß gemischt, sein Auge mild und freundlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/273>, abgerufen am 07.05.2024.