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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Am 3. Mai stand ein Antrag des Abg. Kapp zur Berathung: die
Staatsregierung zur Kündigung des sogenannten Accessionsvertrages mit dem
Fürsten von Waldeck aufzufordern. Wenn nämlich die Kündigung im Laufe
dieses Jahres nicht erfolgt, so gilt der Vertrag stillschweigend als bis 1887
verlängert. Es zeigte sich, daß über die Zweckmäßigkeit der Kündigung alle
Welt, Regierung und Haus, einverstanden war. So wurde denn der Antrag
von seinem Einbringer als überflüssig zurückgezogen. Auf die Einzelheiten,
welche an dem jetzigen Vertrag bemängelt wurden, wollen wir nicht eingehn,
aber eine allgemeine Bemerkung anschließen.

Die Waldecker sind bedauernswerth, daß sie, die nichts lieber möchten,
als in Preußen aufgehn, die im Aecesstonsvertrag nur unzureichend vermin¬
derte Last eines eigenen Staatswesens unabsehbar fortzutragen verurtheilt sein
sollen. Wer verurtheilt sie? Nicht ihr Fürst, der die Last seiner Souveränität
längst bereit war, formell wie materiell abzulegen. Wer also? Man sagt,
das Reichsinteresse, denn bei einem Aufgehen Waldecks so wie andrer Klein¬
staaten in Preußen würde die führende Macht des Reichs die mit der An¬
nexion verschwindenden Stimmen der von ihr abhängigen Stimmführenden
Staaten verlieren. -- Darauf sagen wir nun: warum bringt die nationale
Partei nicht einen Antrag ein, daß bei einem freiwilligen Aufgeben der
Souveränität seitens eines Bundesstaats zu Gunsten Preußens dem preußischen
Staat mit dem Gebiet und den Bürgern des accrescirenden Staates auch
dessen Stimmen im Bundesrath accresciren? Gerade so aecresciren die Bank¬
notenbefugnisse der in der Bankakte aufgezählten Zettelbanken der Reichsbank,
wenn eine dieser Zettelbanken sich selbst schließt oder wenigstens ihr Noten¬
privilegium ausgiebt. Wir hätten sehr angezeigt gefunden, wenn der Abg.
Kapp bei seinem Verlangen, den Accessionsvertrag zu kündigen, den so na¬
türlichen Gedanken angeregt hätte, dafür einen Aceretionsvertrag zu schließen.

Am 4. und 6. Mai erfolgte die zweite Berathung des Gesetzes über die
evangelische Kirchenverfassung. Ueber alle dieses Gesetz bedingenden Grund¬
sätze ist früher so ausführlich gehandelt worden, daß nichts mehr nachzuholen
geblieben. Die Regierungsvorlage hatte durch die Berathung der Commission
im Ganzen keine principiellen Aenderungen erfahren. Ein höchst unzweck¬
mäßiger Zusatz, daß das Staatsministerium ein den Staatsgesetzen wider¬
sprechendes Kirchengesetz durch den Antrag auf eine aufhebende kürzliche Ver¬
ordnung zu beseitigen gehalten sei, wurde glücklicherweise verworfen. Den
Urhebern dieses Zusatzes genügte die Ueberordnung der Staatsgesetze über die
Kirchengesetze nicht, und im blinden Eifer ihrer Kirchenfeindlichkeit übersehen
sie, daß sie das Staatsministerium in eine unmögliche Lage brachten, unmög'
lich gegenüber dem König, gegenüber der Kirche, gegenüber sich selbst, und
gegenüber den Gerichten. -- Den Fortschrittsrednern, welche abermals für


Am 3. Mai stand ein Antrag des Abg. Kapp zur Berathung: die
Staatsregierung zur Kündigung des sogenannten Accessionsvertrages mit dem
Fürsten von Waldeck aufzufordern. Wenn nämlich die Kündigung im Laufe
dieses Jahres nicht erfolgt, so gilt der Vertrag stillschweigend als bis 1887
verlängert. Es zeigte sich, daß über die Zweckmäßigkeit der Kündigung alle
Welt, Regierung und Haus, einverstanden war. So wurde denn der Antrag
von seinem Einbringer als überflüssig zurückgezogen. Auf die Einzelheiten,
welche an dem jetzigen Vertrag bemängelt wurden, wollen wir nicht eingehn,
aber eine allgemeine Bemerkung anschließen.

Die Waldecker sind bedauernswerth, daß sie, die nichts lieber möchten,
als in Preußen aufgehn, die im Aecesstonsvertrag nur unzureichend vermin¬
derte Last eines eigenen Staatswesens unabsehbar fortzutragen verurtheilt sein
sollen. Wer verurtheilt sie? Nicht ihr Fürst, der die Last seiner Souveränität
längst bereit war, formell wie materiell abzulegen. Wer also? Man sagt,
das Reichsinteresse, denn bei einem Aufgehen Waldecks so wie andrer Klein¬
staaten in Preußen würde die führende Macht des Reichs die mit der An¬
nexion verschwindenden Stimmen der von ihr abhängigen Stimmführenden
Staaten verlieren. — Darauf sagen wir nun: warum bringt die nationale
Partei nicht einen Antrag ein, daß bei einem freiwilligen Aufgeben der
Souveränität seitens eines Bundesstaats zu Gunsten Preußens dem preußischen
Staat mit dem Gebiet und den Bürgern des accrescirenden Staates auch
dessen Stimmen im Bundesrath accresciren? Gerade so aecresciren die Bank¬
notenbefugnisse der in der Bankakte aufgezählten Zettelbanken der Reichsbank,
wenn eine dieser Zettelbanken sich selbst schließt oder wenigstens ihr Noten¬
privilegium ausgiebt. Wir hätten sehr angezeigt gefunden, wenn der Abg.
Kapp bei seinem Verlangen, den Accessionsvertrag zu kündigen, den so na¬
türlichen Gedanken angeregt hätte, dafür einen Aceretionsvertrag zu schließen.

Am 4. und 6. Mai erfolgte die zweite Berathung des Gesetzes über die
evangelische Kirchenverfassung. Ueber alle dieses Gesetz bedingenden Grund¬
sätze ist früher so ausführlich gehandelt worden, daß nichts mehr nachzuholen
geblieben. Die Regierungsvorlage hatte durch die Berathung der Commission
im Ganzen keine principiellen Aenderungen erfahren. Ein höchst unzweck¬
mäßiger Zusatz, daß das Staatsministerium ein den Staatsgesetzen wider¬
sprechendes Kirchengesetz durch den Antrag auf eine aufhebende kürzliche Ver¬
ordnung zu beseitigen gehalten sei, wurde glücklicherweise verworfen. Den
Urhebern dieses Zusatzes genügte die Ueberordnung der Staatsgesetze über die
Kirchengesetze nicht, und im blinden Eifer ihrer Kirchenfeindlichkeit übersehen
sie, daß sie das Staatsministerium in eine unmögliche Lage brachten, unmög'
lich gegenüber dem König, gegenüber der Kirche, gegenüber sich selbst, und
gegenüber den Gerichten. — Den Fortschrittsrednern, welche abermals für


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[0272] Am 3. Mai stand ein Antrag des Abg. Kapp zur Berathung: die Staatsregierung zur Kündigung des sogenannten Accessionsvertrages mit dem Fürsten von Waldeck aufzufordern. Wenn nämlich die Kündigung im Laufe dieses Jahres nicht erfolgt, so gilt der Vertrag stillschweigend als bis 1887 verlängert. Es zeigte sich, daß über die Zweckmäßigkeit der Kündigung alle Welt, Regierung und Haus, einverstanden war. So wurde denn der Antrag von seinem Einbringer als überflüssig zurückgezogen. Auf die Einzelheiten, welche an dem jetzigen Vertrag bemängelt wurden, wollen wir nicht eingehn, aber eine allgemeine Bemerkung anschließen. Die Waldecker sind bedauernswerth, daß sie, die nichts lieber möchten, als in Preußen aufgehn, die im Aecesstonsvertrag nur unzureichend vermin¬ derte Last eines eigenen Staatswesens unabsehbar fortzutragen verurtheilt sein sollen. Wer verurtheilt sie? Nicht ihr Fürst, der die Last seiner Souveränität längst bereit war, formell wie materiell abzulegen. Wer also? Man sagt, das Reichsinteresse, denn bei einem Aufgehen Waldecks so wie andrer Klein¬ staaten in Preußen würde die führende Macht des Reichs die mit der An¬ nexion verschwindenden Stimmen der von ihr abhängigen Stimmführenden Staaten verlieren. — Darauf sagen wir nun: warum bringt die nationale Partei nicht einen Antrag ein, daß bei einem freiwilligen Aufgeben der Souveränität seitens eines Bundesstaats zu Gunsten Preußens dem preußischen Staat mit dem Gebiet und den Bürgern des accrescirenden Staates auch dessen Stimmen im Bundesrath accresciren? Gerade so aecresciren die Bank¬ notenbefugnisse der in der Bankakte aufgezählten Zettelbanken der Reichsbank, wenn eine dieser Zettelbanken sich selbst schließt oder wenigstens ihr Noten¬ privilegium ausgiebt. Wir hätten sehr angezeigt gefunden, wenn der Abg. Kapp bei seinem Verlangen, den Accessionsvertrag zu kündigen, den so na¬ türlichen Gedanken angeregt hätte, dafür einen Aceretionsvertrag zu schließen. Am 4. und 6. Mai erfolgte die zweite Berathung des Gesetzes über die evangelische Kirchenverfassung. Ueber alle dieses Gesetz bedingenden Grund¬ sätze ist früher so ausführlich gehandelt worden, daß nichts mehr nachzuholen geblieben. Die Regierungsvorlage hatte durch die Berathung der Commission im Ganzen keine principiellen Aenderungen erfahren. Ein höchst unzweck¬ mäßiger Zusatz, daß das Staatsministerium ein den Staatsgesetzen wider¬ sprechendes Kirchengesetz durch den Antrag auf eine aufhebende kürzliche Ver¬ ordnung zu beseitigen gehalten sei, wurde glücklicherweise verworfen. Den Urhebern dieses Zusatzes genügte die Ueberordnung der Staatsgesetze über die Kirchengesetze nicht, und im blinden Eifer ihrer Kirchenfeindlichkeit übersehen sie, daß sie das Staatsministerium in eine unmögliche Lage brachten, unmög' lich gegenüber dem König, gegenüber der Kirche, gegenüber sich selbst, und gegenüber den Gerichten. — Den Fortschrittsrednern, welche abermals für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/272>, abgerufen am 19.05.2024.