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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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einer zeitgemäßen Umgestaltung dieser Zweige der Staatsverwaltung. Nicht
wie früher steht eine mangelhafte Staatsform den Verbesserungen und dem
Fortschritt im Wege, es ist jetzt nur allein die Selbstsucht der Regierenden,
in der Kammer sowohl, wie am Ministertisch und bei der Wahlurne, der
man die Schuld zu geben vermag.

Es ist Thorbecke gelungen, diese Selbstsucht der Einzelnen eine Zeitlang
zurück zu drängen, aber es ist ihm nicht gelungen, sie dauerhaft unschädlich
zu machen. Er richtete sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung der Staats-
formen; aber er sorgte nicht mit gleichem Eifer dafür, daß das Volk zu
Staatsbürgern erzogen wurde. Wohl erkannte er die Nothwendigkett, daß
Jeder sich als Theil des Staates und dieser sich wieder als ein Theil der
Gesammtheit fühle, aber wer sollte das Bewußtsein der Pflicht dem Volke,
der Jugend einpflanzen?

Das Studium und die Beherzigung der Schriften Thorbecke's, die leider
nur äußerst gering an Umfang sind, eine Vergleichung derselben mit den jetzigen
Zuständen, würde den Holländern vielleicht die Augen für die ihnen drohenden
Gefahren öffnen. Sehr vieles, was Thorbecke über die Schäden der alten
republikanischen Wirthschaft sagte, ist noch jetzt auf die eben herrschende
Wilhelm Otto. parlamentarische Wirthschaft zutreffend.




Lin französisches Seitenstück zu Anigges "Umgang mit
Menschen."

So darf man wohl die Schriften der Madame Louise d'Alq nennen, die
sich mit der Lebenskunst und dem beschäftigen, was in der feinen Welt Frank¬
reichs und mehr oder minder unter den Gebildeten und Zartfühlenden aller
etvilisirten Nationen für schicklich und wohlanständig gilt. Als die Ver-
fasserin vor zwei Jahren mit dem Buche "I^s 8a>voir-vivrs co toutss Iss
eiroonstcmees 6s ig, vie" an die Oeffentlichkett trat, wurde ihr ein Empfang
zu Theil, der fast unerhört war. Bis dahin war sie dem Publikum völlig
unbekannt gewesen, und dennoch erlebte ihr kleines Werk binnen Kurzem elf
starke Auflagen, und es erfreut sich jetzt unter unsern Nachbarn jenseits der
Vogesen eines Ansehens, wie zu seiner Zeit in Deutschland der in der Ueber,
schrift genannte Rathgeber Knigges.


einer zeitgemäßen Umgestaltung dieser Zweige der Staatsverwaltung. Nicht
wie früher steht eine mangelhafte Staatsform den Verbesserungen und dem
Fortschritt im Wege, es ist jetzt nur allein die Selbstsucht der Regierenden,
in der Kammer sowohl, wie am Ministertisch und bei der Wahlurne, der
man die Schuld zu geben vermag.

Es ist Thorbecke gelungen, diese Selbstsucht der Einzelnen eine Zeitlang
zurück zu drängen, aber es ist ihm nicht gelungen, sie dauerhaft unschädlich
zu machen. Er richtete sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung der Staats-
formen; aber er sorgte nicht mit gleichem Eifer dafür, daß das Volk zu
Staatsbürgern erzogen wurde. Wohl erkannte er die Nothwendigkett, daß
Jeder sich als Theil des Staates und dieser sich wieder als ein Theil der
Gesammtheit fühle, aber wer sollte das Bewußtsein der Pflicht dem Volke,
der Jugend einpflanzen?

Das Studium und die Beherzigung der Schriften Thorbecke's, die leider
nur äußerst gering an Umfang sind, eine Vergleichung derselben mit den jetzigen
Zuständen, würde den Holländern vielleicht die Augen für die ihnen drohenden
Gefahren öffnen. Sehr vieles, was Thorbecke über die Schäden der alten
republikanischen Wirthschaft sagte, ist noch jetzt auf die eben herrschende
Wilhelm Otto. parlamentarische Wirthschaft zutreffend.




Lin französisches Seitenstück zu Anigges „Umgang mit
Menschen."

So darf man wohl die Schriften der Madame Louise d'Alq nennen, die
sich mit der Lebenskunst und dem beschäftigen, was in der feinen Welt Frank¬
reichs und mehr oder minder unter den Gebildeten und Zartfühlenden aller
etvilisirten Nationen für schicklich und wohlanständig gilt. Als die Ver-
fasserin vor zwei Jahren mit dem Buche „I^s 8a>voir-vivrs co toutss Iss
eiroonstcmees 6s ig, vie" an die Oeffentlichkett trat, wurde ihr ein Empfang
zu Theil, der fast unerhört war. Bis dahin war sie dem Publikum völlig
unbekannt gewesen, und dennoch erlebte ihr kleines Werk binnen Kurzem elf
starke Auflagen, und es erfreut sich jetzt unter unsern Nachbarn jenseits der
Vogesen eines Ansehens, wie zu seiner Zeit in Deutschland der in der Ueber,
schrift genannte Rathgeber Knigges.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/178>, abgerufen am 29.04.2024.