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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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ziemlich ungenirter Ausdruck, was wir ihm nicht verargen, ohne irgend
einen Nutzen davon einzusehen.

Die Klagen elsässischer Ultramontanen, daß durch das selbständige Reichs¬
amt für Elsaß-Lothringen die dortige Verwaltung abhängiger vom Reichs¬
centrum werde als bisher, sind eitel Wind. Bisher unterstand die Verwal¬
tung Elsaß-Lorhringens dem Reichskanzler, dem Präsidenten des Reichskanzler-
amtes, dem Director der Abtheilung im Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen.
Jetzt untersteht dieselbe Verwaltung dem Reichskanzler, dem Unterstaarssekre¬
tär für Elsaß-Lothringen. Das lokale Centrum ist also im Reichscentruin
eine Instanz los geworden. Wie kann man das verstärkte Centralisation
nennen, es sei denn, daß man der Ansicht wäre, eine zweifache Oberinstanz
müsse drückender sein als eine dreifache? Die Separatisten in Elsaß-Lothringen
möchten freilich am liebsten die völlige bundesstaatliche Autonomie für ihre
Provinz, um mittelst derselben desto bequemer in die Arme der französischen
absoluten Centralisation zurückzufallen. Dieser Wunsch kann wenigstens nicht
durch den deutschen Reichstag erfüllt werden, von welchem man so naiv war,
das Mittel dafür zu verlangen.

Am 8. November gaben die Ausgaben für die Münzreform dem Abge¬
ordneten Bamberger Anlaß, vorzubringen, was er gegen die Durchführung
dieser Reform auf dem Herzen hat. Da kein an der betreffenden Arbeit be-
theiliftter Regierungsvertreter anwesend war, die Beschwerden zu beantworten,
so lassen wir dieselben einstweilen auf sich beruhen. In derselben Sitzung
gaben die Ausgaben für die Post und für die Telegraphenverwaltung Anlaß
zu dem mit einer zufälligen Majorität gefaßten und ob zwar folgenlosen,
doch bedauerlichen Beschluß, für die Telegramme das Unwesen der verschiedenen
0--r. Gebührzonen wieder herzustellen.




Literatur.

Bibliothek der deutschen Nationalliteratur des achtzehnten und
neunzehnten Jahrhunderts. L9. Bd. Werner: Martin Luther oder:
Die Weihe der Kraft. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1876.

Werner's Stück selbst wird den Lesern bekannt sein, obwohl es wie
manches Andere aus den Kreisen der Romantiker eigentlich nur noch der
Literaturgeschichte angehört und denen, die es ungelesen lassen, kaum Un¬
bildung vorzuwerfen sein wird. Indeß ist es das Bedeutendste, was dieser
wüste und unklare Geist geschaffen hat, und so mag man es mit der Ein¬
leitung, die Julian Schmidt dazu geschrieben hat, und die es aus den (Nah¬
rungen der Zeit vor siebzig Jahren erklärt und es in seinen historischen
Scenen der Schule Schillers zuweist, immerhin seiner Bibliothek einverleiben.
Es wird dort aber den geeignetsten Platz unter den Schriften einnehmen, die
sich mit Beiträgen zur Pathologie beschäftigen. Besser wäre, wenn man
etwas aus Werners Dichtungen bringen mußte, sein "Vierundzwanzigster
Februar" gewählt worden, da er der Vater der Schicksalstragödie geworden
ist und somit eine ganze Classe von Dramen bezeichnet, welche ihre'Zeit ge¬
habt haben.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hervi" in Leipzig. - Druck von Hüthel Hermann in Leipzig.

ziemlich ungenirter Ausdruck, was wir ihm nicht verargen, ohne irgend
einen Nutzen davon einzusehen.

Die Klagen elsässischer Ultramontanen, daß durch das selbständige Reichs¬
amt für Elsaß-Lothringen die dortige Verwaltung abhängiger vom Reichs¬
centrum werde als bisher, sind eitel Wind. Bisher unterstand die Verwal¬
tung Elsaß-Lorhringens dem Reichskanzler, dem Präsidenten des Reichskanzler-
amtes, dem Director der Abtheilung im Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen.
Jetzt untersteht dieselbe Verwaltung dem Reichskanzler, dem Unterstaarssekre¬
tär für Elsaß-Lothringen. Das lokale Centrum ist also im Reichscentruin
eine Instanz los geworden. Wie kann man das verstärkte Centralisation
nennen, es sei denn, daß man der Ansicht wäre, eine zweifache Oberinstanz
müsse drückender sein als eine dreifache? Die Separatisten in Elsaß-Lothringen
möchten freilich am liebsten die völlige bundesstaatliche Autonomie für ihre
Provinz, um mittelst derselben desto bequemer in die Arme der französischen
absoluten Centralisation zurückzufallen. Dieser Wunsch kann wenigstens nicht
durch den deutschen Reichstag erfüllt werden, von welchem man so naiv war,
das Mittel dafür zu verlangen.

Am 8. November gaben die Ausgaben für die Münzreform dem Abge¬
ordneten Bamberger Anlaß, vorzubringen, was er gegen die Durchführung
dieser Reform auf dem Herzen hat. Da kein an der betreffenden Arbeit be-
theiliftter Regierungsvertreter anwesend war, die Beschwerden zu beantworten,
so lassen wir dieselben einstweilen auf sich beruhen. In derselben Sitzung
gaben die Ausgaben für die Post und für die Telegraphenverwaltung Anlaß
zu dem mit einer zufälligen Majorität gefaßten und ob zwar folgenlosen,
doch bedauerlichen Beschluß, für die Telegramme das Unwesen der verschiedenen
0—r. Gebührzonen wieder herzustellen.




Literatur.

Bibliothek der deutschen Nationalliteratur des achtzehnten und
neunzehnten Jahrhunderts. L9. Bd. Werner: Martin Luther oder:
Die Weihe der Kraft. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1876.

Werner's Stück selbst wird den Lesern bekannt sein, obwohl es wie
manches Andere aus den Kreisen der Romantiker eigentlich nur noch der
Literaturgeschichte angehört und denen, die es ungelesen lassen, kaum Un¬
bildung vorzuwerfen sein wird. Indeß ist es das Bedeutendste, was dieser
wüste und unklare Geist geschaffen hat, und so mag man es mit der Ein¬
leitung, die Julian Schmidt dazu geschrieben hat, und die es aus den (Nah¬
rungen der Zeit vor siebzig Jahren erklärt und es in seinen historischen
Scenen der Schule Schillers zuweist, immerhin seiner Bibliothek einverleiben.
Es wird dort aber den geeignetsten Platz unter den Schriften einnehmen, die
sich mit Beiträgen zur Pathologie beschäftigen. Besser wäre, wenn man
etwas aus Werners Dichtungen bringen mußte, sein „Vierundzwanzigster
Februar" gewählt worden, da er der Vater der Schicksalstragödie geworden
ist und somit eine ganze Classe von Dramen bezeichnet, welche ihre'Zeit ge¬
habt haben.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hervi» in Leipzig. - Druck von Hüthel Hermann in Leipzig.
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[0324] ziemlich ungenirter Ausdruck, was wir ihm nicht verargen, ohne irgend einen Nutzen davon einzusehen. Die Klagen elsässischer Ultramontanen, daß durch das selbständige Reichs¬ amt für Elsaß-Lothringen die dortige Verwaltung abhängiger vom Reichs¬ centrum werde als bisher, sind eitel Wind. Bisher unterstand die Verwal¬ tung Elsaß-Lorhringens dem Reichskanzler, dem Präsidenten des Reichskanzler- amtes, dem Director der Abtheilung im Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen. Jetzt untersteht dieselbe Verwaltung dem Reichskanzler, dem Unterstaarssekre¬ tär für Elsaß-Lothringen. Das lokale Centrum ist also im Reichscentruin eine Instanz los geworden. Wie kann man das verstärkte Centralisation nennen, es sei denn, daß man der Ansicht wäre, eine zweifache Oberinstanz müsse drückender sein als eine dreifache? Die Separatisten in Elsaß-Lothringen möchten freilich am liebsten die völlige bundesstaatliche Autonomie für ihre Provinz, um mittelst derselben desto bequemer in die Arme der französischen absoluten Centralisation zurückzufallen. Dieser Wunsch kann wenigstens nicht durch den deutschen Reichstag erfüllt werden, von welchem man so naiv war, das Mittel dafür zu verlangen. Am 8. November gaben die Ausgaben für die Münzreform dem Abge¬ ordneten Bamberger Anlaß, vorzubringen, was er gegen die Durchführung dieser Reform auf dem Herzen hat. Da kein an der betreffenden Arbeit be- theiliftter Regierungsvertreter anwesend war, die Beschwerden zu beantworten, so lassen wir dieselben einstweilen auf sich beruhen. In derselben Sitzung gaben die Ausgaben für die Post und für die Telegraphenverwaltung Anlaß zu dem mit einer zufälligen Majorität gefaßten und ob zwar folgenlosen, doch bedauerlichen Beschluß, für die Telegramme das Unwesen der verschiedenen 0—r. Gebührzonen wieder herzustellen. Literatur. Bibliothek der deutschen Nationalliteratur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. L9. Bd. Werner: Martin Luther oder: Die Weihe der Kraft. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1876. Werner's Stück selbst wird den Lesern bekannt sein, obwohl es wie manches Andere aus den Kreisen der Romantiker eigentlich nur noch der Literaturgeschichte angehört und denen, die es ungelesen lassen, kaum Un¬ bildung vorzuwerfen sein wird. Indeß ist es das Bedeutendste, was dieser wüste und unklare Geist geschaffen hat, und so mag man es mit der Ein¬ leitung, die Julian Schmidt dazu geschrieben hat, und die es aus den (Nah¬ rungen der Zeit vor siebzig Jahren erklärt und es in seinen historischen Scenen der Schule Schillers zuweist, immerhin seiner Bibliothek einverleiben. Es wird dort aber den geeignetsten Platz unter den Schriften einnehmen, die sich mit Beiträgen zur Pathologie beschäftigen. Besser wäre, wenn man etwas aus Werners Dichtungen bringen mußte, sein „Vierundzwanzigster Februar" gewählt worden, da er der Vater der Schicksalstragödie geworden ist und somit eine ganze Classe von Dramen bezeichnet, welche ihre'Zeit ge¬ habt haben. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von K. L. Hervi» in Leipzig. - Druck von Hüthel Hermann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/324>, abgerufen am 29.04.2024.