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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Im deutschen Reich kommt nun noch eine ganz besondere Schwierig¬
keit zu den allgemeinen Uebelständen der collegialischen Ministerverfassung.
Diese Schwierigkeit ist früher hier schon ausgeführt worden, und es ist er¬
freulich, daß man allgemein jetzt anfängt dahinter zu kommen. Auf dem
Reichskanzler liegt als Vorsitzenden des Bundesrathes die Riesenaufgabe, aus
dem Collegium des Bundesrathes eine ^im Handeln continuirliche Einheit zu
machen. Das Reich würde bald in tausend Stücken gehen, wenn der Bun¬
desrath heute mit Stimmenmehrheit einen Beschluß faßte und morgen einen
zweiten, der zum ersten wie die Faust auf's Auge paßte. Es übersteigt aber
die Kräfte selbst desjenigen Mannes, der hundertfache Männerkraft in seinem
Geist vereinigt, den Bundesrath unter Einen Hut zu bringen und nachher
noch einmal ein collegialisches Ministerium, in jedem Collegium die Stetig¬
keit und in beiden die Harmonie zu erhalten und dann auch noch den Reichs¬
tag nachzuziehen. Wer die unzweckmäßige Liebhaberei für collegialische Mi¬
nisterien hat, muß erst den Bundesrath beseitigen, d, h. aus dem deutschen
Reiche einen Einheitstaat machen. Nun kann Jemand den Einheitstaat
auf das Lebhafteste ersehnen und doch verständig genug sein, die loyale Be¬
obachtung der Reichsverfassung für ^das höchste Gebot der deutschen Politik
zu halten. Wer so verständig denkt, der kann das Drängen auf das collegia¬
lische Reichsministerium, das heißt nach dem treffenden Wort des Fürsten
Bismarck: das Hineintragen des Bundesraths in das Ministerium, dadurch,
daß die Reichsverwaltungszweige in coordinirte Bundesstaaten verwandelt
werden, nur für den Gipfel des Unverstandes erkennen.

Am 7. November waren es die Ultramontanen, welche das collegialische Reichs-
winisterium verlangten, die Ultramontanen, welche nach der erst kürzlich erneuer¬
ten Erklärung ihres Führers Windthorst diejenige Fraction sind, die sich die Er¬
haltung der Einzelstaaten zum Ziele gesetzt hat! War dies nun Kurzsichtig¬
st, Heuchelei oder einfach das Bedürfniß, Lärm und Aufenthalt zu verursachen,
ohne die Lärmparole weiter als für den einmaligen Lärm benutzen zu wollen?
Die Herren vom Centrum wissen das vielleicht selbst nicht, oder sie denken
auch Einer anders über die Sache als der Andere. Sehr löblich aber war
°s, daß die Fortschrittspartei diesmal ausdrücklich ablehnte, auf den ultra-
wontanen Leim zu gehen. Herr Richter-Hagen meinte: durch die Beanstand¬
ung der betreffenden Ausgaben für den Retchsverwaltungsdienst wären die
verantwortlichen Ministerien doch nicht zu erlangen, die Fortschrittspartet
hüte sich vor solcher Beanstandung, weil das von der Neichsregierung adop-
tirte System bereits am Rande des Bankerotts stehe. Das war wohl nur
kräftiger Ausdruck zur Deckung des Rückzugs. Wir wären begierig, den
Nachweis des Bankerotts aus dem Munde des Herrn Richter zu vernehmen.
Der Abgeordnete Bamberger gab seiner Sympathie für den Einheitsstaat


Im deutschen Reich kommt nun noch eine ganz besondere Schwierig¬
keit zu den allgemeinen Uebelständen der collegialischen Ministerverfassung.
Diese Schwierigkeit ist früher hier schon ausgeführt worden, und es ist er¬
freulich, daß man allgemein jetzt anfängt dahinter zu kommen. Auf dem
Reichskanzler liegt als Vorsitzenden des Bundesrathes die Riesenaufgabe, aus
dem Collegium des Bundesrathes eine ^im Handeln continuirliche Einheit zu
machen. Das Reich würde bald in tausend Stücken gehen, wenn der Bun¬
desrath heute mit Stimmenmehrheit einen Beschluß faßte und morgen einen
zweiten, der zum ersten wie die Faust auf's Auge paßte. Es übersteigt aber
die Kräfte selbst desjenigen Mannes, der hundertfache Männerkraft in seinem
Geist vereinigt, den Bundesrath unter Einen Hut zu bringen und nachher
noch einmal ein collegialisches Ministerium, in jedem Collegium die Stetig¬
keit und in beiden die Harmonie zu erhalten und dann auch noch den Reichs¬
tag nachzuziehen. Wer die unzweckmäßige Liebhaberei für collegialische Mi¬
nisterien hat, muß erst den Bundesrath beseitigen, d, h. aus dem deutschen
Reiche einen Einheitstaat machen. Nun kann Jemand den Einheitstaat
auf das Lebhafteste ersehnen und doch verständig genug sein, die loyale Be¬
obachtung der Reichsverfassung für ^das höchste Gebot der deutschen Politik
zu halten. Wer so verständig denkt, der kann das Drängen auf das collegia¬
lische Reichsministerium, das heißt nach dem treffenden Wort des Fürsten
Bismarck: das Hineintragen des Bundesraths in das Ministerium, dadurch,
daß die Reichsverwaltungszweige in coordinirte Bundesstaaten verwandelt
werden, nur für den Gipfel des Unverstandes erkennen.

Am 7. November waren es die Ultramontanen, welche das collegialische Reichs-
winisterium verlangten, die Ultramontanen, welche nach der erst kürzlich erneuer¬
ten Erklärung ihres Führers Windthorst diejenige Fraction sind, die sich die Er¬
haltung der Einzelstaaten zum Ziele gesetzt hat! War dies nun Kurzsichtig¬
st, Heuchelei oder einfach das Bedürfniß, Lärm und Aufenthalt zu verursachen,
ohne die Lärmparole weiter als für den einmaligen Lärm benutzen zu wollen?
Die Herren vom Centrum wissen das vielleicht selbst nicht, oder sie denken
auch Einer anders über die Sache als der Andere. Sehr löblich aber war
°s, daß die Fortschrittspartei diesmal ausdrücklich ablehnte, auf den ultra-
wontanen Leim zu gehen. Herr Richter-Hagen meinte: durch die Beanstand¬
ung der betreffenden Ausgaben für den Retchsverwaltungsdienst wären die
verantwortlichen Ministerien doch nicht zu erlangen, die Fortschrittspartet
hüte sich vor solcher Beanstandung, weil das von der Neichsregierung adop-
tirte System bereits am Rande des Bankerotts stehe. Das war wohl nur
kräftiger Ausdruck zur Deckung des Rückzugs. Wir wären begierig, den
Nachweis des Bankerotts aus dem Munde des Herrn Richter zu vernehmen.
Der Abgeordnete Bamberger gab seiner Sympathie für den Einheitsstaat


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[0323] Im deutschen Reich kommt nun noch eine ganz besondere Schwierig¬ keit zu den allgemeinen Uebelständen der collegialischen Ministerverfassung. Diese Schwierigkeit ist früher hier schon ausgeführt worden, und es ist er¬ freulich, daß man allgemein jetzt anfängt dahinter zu kommen. Auf dem Reichskanzler liegt als Vorsitzenden des Bundesrathes die Riesenaufgabe, aus dem Collegium des Bundesrathes eine ^im Handeln continuirliche Einheit zu machen. Das Reich würde bald in tausend Stücken gehen, wenn der Bun¬ desrath heute mit Stimmenmehrheit einen Beschluß faßte und morgen einen zweiten, der zum ersten wie die Faust auf's Auge paßte. Es übersteigt aber die Kräfte selbst desjenigen Mannes, der hundertfache Männerkraft in seinem Geist vereinigt, den Bundesrath unter Einen Hut zu bringen und nachher noch einmal ein collegialisches Ministerium, in jedem Collegium die Stetig¬ keit und in beiden die Harmonie zu erhalten und dann auch noch den Reichs¬ tag nachzuziehen. Wer die unzweckmäßige Liebhaberei für collegialische Mi¬ nisterien hat, muß erst den Bundesrath beseitigen, d, h. aus dem deutschen Reiche einen Einheitstaat machen. Nun kann Jemand den Einheitstaat auf das Lebhafteste ersehnen und doch verständig genug sein, die loyale Be¬ obachtung der Reichsverfassung für ^das höchste Gebot der deutschen Politik zu halten. Wer so verständig denkt, der kann das Drängen auf das collegia¬ lische Reichsministerium, das heißt nach dem treffenden Wort des Fürsten Bismarck: das Hineintragen des Bundesraths in das Ministerium, dadurch, daß die Reichsverwaltungszweige in coordinirte Bundesstaaten verwandelt werden, nur für den Gipfel des Unverstandes erkennen. Am 7. November waren es die Ultramontanen, welche das collegialische Reichs- winisterium verlangten, die Ultramontanen, welche nach der erst kürzlich erneuer¬ ten Erklärung ihres Führers Windthorst diejenige Fraction sind, die sich die Er¬ haltung der Einzelstaaten zum Ziele gesetzt hat! War dies nun Kurzsichtig¬ st, Heuchelei oder einfach das Bedürfniß, Lärm und Aufenthalt zu verursachen, ohne die Lärmparole weiter als für den einmaligen Lärm benutzen zu wollen? Die Herren vom Centrum wissen das vielleicht selbst nicht, oder sie denken auch Einer anders über die Sache als der Andere. Sehr löblich aber war °s, daß die Fortschrittspartei diesmal ausdrücklich ablehnte, auf den ultra- wontanen Leim zu gehen. Herr Richter-Hagen meinte: durch die Beanstand¬ ung der betreffenden Ausgaben für den Retchsverwaltungsdienst wären die verantwortlichen Ministerien doch nicht zu erlangen, die Fortschrittspartet hüte sich vor solcher Beanstandung, weil das von der Neichsregierung adop- tirte System bereits am Rande des Bankerotts stehe. Das war wohl nur kräftiger Ausdruck zur Deckung des Rückzugs. Wir wären begierig, den Nachweis des Bankerotts aus dem Munde des Herrn Richter zu vernehmen. Der Abgeordnete Bamberger gab seiner Sympathie für den Einheitsstaat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/323>, abgerufen am 15.05.2024.