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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Deutscher Htauöe und Krauch bei Aussaat und
Lrnte.

Wir befinden uns mit dem Folgenden wieder einmal auf dem Gebiete
des alten Glaubens und der alten Sitte, von denen jener auch als Aber¬
glaube bezeichnet wird, und die beide mehr oder minder ein Nachhall der
Zeiten sind, wo die Deutschen noch Wuotan, den Himmelsgott, Donar, den
rothbärtigen Wetterherrn, und die fruchtspendende Erdmutter verehrten, die
in den nördlichen Gauen Heile, Flink oder Holda, im Süden Perchta hieß.
Veranlaßt werden wir zu diesen Betrachtungen dadurch, daß wieder einmal
die Ernte im Gange und nahezu vollendet ist. Langsamer Schrittes stieg
sie vom Süden nach Norden und hier bei uns wieder von der Ebene nach
dem Gebirge hinauf -- in Thüringen von der Goldner Ane bis nach Ober¬
hof, wo im Winter der Schnee zwölf Fuß hoch liegt, und von den Feldern
um Stadt Ilm bis zum Knie des Schneekopfs über Marchand, wo wir
dieses Jahr in der Mitte des September noch Weizen und Hafer ein¬
bringen sahen.

Auf den Aeckern schnitten Sense und Sichel den weißen Roggen, um
dann auch den röthlichen Weizen und die borstige Gerste -- die älteste Getreide¬
art auf deutschem Boden, nach welcher einst Fro, der Erntegott, den gold¬
borstigen Eber zum Attribut bekam-- von rüstigen Armen geschwungen, dar¬
niederzulegen. Wir sahen die Schwaden fallen, die Garbenbinderinnen ihre
Mandeln schichten, die Erntewagen hochgethürmte Fuder der Scheune zu¬
führen. Was die nicht faßte, bildete unter freiem Himmel mächtige Mieter
und Feine. Ueber das Stoppelfeld hin aber ging mit den Vögeln die Schaar
der Dorsarmen, die gleich jenen nicht säet und doch ernährt wird, zu be¬
scheidener Nachlese. Allenthalben, im Blachfeld wie in den Bergthälern,
hören wir jetzt bereits den taktmäßigen Fall der Flegel und das Schnurren
und Klappern der Maschinen, die das Korn zu neuem Brote dreschen.

In den Gärten und auf den Gemüsebeeten überm Zaune draußen ver¬
wandelten sich inzwischen die Blüthendolden der Stock- und Laufbohnen in
Schotenbündel, schwoll der Krautkopf, sträubten Braunkohl und Grünkohl
ihren krausen Federbusch und reifte neben der Rübe -- auch einer der ältesten
Speisen der Deutschen -- die Knolle der Kartoffel, die jener erst seit anderthalb
Jahrhunderten an die Seite getreten ist. Weiterhin schlugen zur Freude der
Hausfrauen Flachsbreiten im Winde ihre blauen Wellen, rankte sich hochauf¬
strebend der Hopfen um seine Stangen, nahmen in den Wipfeln des Obst¬
gartens Apfel und Pflaume allmählich die Farben der Reife an, und rötheten


Grenzboten IV. !,876. 8
Deutscher Htauöe und Krauch bei Aussaat und
Lrnte.

Wir befinden uns mit dem Folgenden wieder einmal auf dem Gebiete
des alten Glaubens und der alten Sitte, von denen jener auch als Aber¬
glaube bezeichnet wird, und die beide mehr oder minder ein Nachhall der
Zeiten sind, wo die Deutschen noch Wuotan, den Himmelsgott, Donar, den
rothbärtigen Wetterherrn, und die fruchtspendende Erdmutter verehrten, die
in den nördlichen Gauen Heile, Flink oder Holda, im Süden Perchta hieß.
Veranlaßt werden wir zu diesen Betrachtungen dadurch, daß wieder einmal
die Ernte im Gange und nahezu vollendet ist. Langsamer Schrittes stieg
sie vom Süden nach Norden und hier bei uns wieder von der Ebene nach
dem Gebirge hinauf — in Thüringen von der Goldner Ane bis nach Ober¬
hof, wo im Winter der Schnee zwölf Fuß hoch liegt, und von den Feldern
um Stadt Ilm bis zum Knie des Schneekopfs über Marchand, wo wir
dieses Jahr in der Mitte des September noch Weizen und Hafer ein¬
bringen sahen.

Auf den Aeckern schnitten Sense und Sichel den weißen Roggen, um
dann auch den röthlichen Weizen und die borstige Gerste — die älteste Getreide¬
art auf deutschem Boden, nach welcher einst Fro, der Erntegott, den gold¬
borstigen Eber zum Attribut bekam— von rüstigen Armen geschwungen, dar¬
niederzulegen. Wir sahen die Schwaden fallen, die Garbenbinderinnen ihre
Mandeln schichten, die Erntewagen hochgethürmte Fuder der Scheune zu¬
führen. Was die nicht faßte, bildete unter freiem Himmel mächtige Mieter
und Feine. Ueber das Stoppelfeld hin aber ging mit den Vögeln die Schaar
der Dorsarmen, die gleich jenen nicht säet und doch ernährt wird, zu be¬
scheidener Nachlese. Allenthalben, im Blachfeld wie in den Bergthälern,
hören wir jetzt bereits den taktmäßigen Fall der Flegel und das Schnurren
und Klappern der Maschinen, die das Korn zu neuem Brote dreschen.

In den Gärten und auf den Gemüsebeeten überm Zaune draußen ver¬
wandelten sich inzwischen die Blüthendolden der Stock- und Laufbohnen in
Schotenbündel, schwoll der Krautkopf, sträubten Braunkohl und Grünkohl
ihren krausen Federbusch und reifte neben der Rübe — auch einer der ältesten
Speisen der Deutschen — die Knolle der Kartoffel, die jener erst seit anderthalb
Jahrhunderten an die Seite getreten ist. Weiterhin schlugen zur Freude der
Hausfrauen Flachsbreiten im Winde ihre blauen Wellen, rankte sich hochauf¬
strebend der Hopfen um seine Stangen, nahmen in den Wipfeln des Obst¬
gartens Apfel und Pflaume allmählich die Farben der Reife an, und rötheten


Grenzboten IV. !,876. 8
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[0061] Deutscher Htauöe und Krauch bei Aussaat und Lrnte. Wir befinden uns mit dem Folgenden wieder einmal auf dem Gebiete des alten Glaubens und der alten Sitte, von denen jener auch als Aber¬ glaube bezeichnet wird, und die beide mehr oder minder ein Nachhall der Zeiten sind, wo die Deutschen noch Wuotan, den Himmelsgott, Donar, den rothbärtigen Wetterherrn, und die fruchtspendende Erdmutter verehrten, die in den nördlichen Gauen Heile, Flink oder Holda, im Süden Perchta hieß. Veranlaßt werden wir zu diesen Betrachtungen dadurch, daß wieder einmal die Ernte im Gange und nahezu vollendet ist. Langsamer Schrittes stieg sie vom Süden nach Norden und hier bei uns wieder von der Ebene nach dem Gebirge hinauf — in Thüringen von der Goldner Ane bis nach Ober¬ hof, wo im Winter der Schnee zwölf Fuß hoch liegt, und von den Feldern um Stadt Ilm bis zum Knie des Schneekopfs über Marchand, wo wir dieses Jahr in der Mitte des September noch Weizen und Hafer ein¬ bringen sahen. Auf den Aeckern schnitten Sense und Sichel den weißen Roggen, um dann auch den röthlichen Weizen und die borstige Gerste — die älteste Getreide¬ art auf deutschem Boden, nach welcher einst Fro, der Erntegott, den gold¬ borstigen Eber zum Attribut bekam— von rüstigen Armen geschwungen, dar¬ niederzulegen. Wir sahen die Schwaden fallen, die Garbenbinderinnen ihre Mandeln schichten, die Erntewagen hochgethürmte Fuder der Scheune zu¬ führen. Was die nicht faßte, bildete unter freiem Himmel mächtige Mieter und Feine. Ueber das Stoppelfeld hin aber ging mit den Vögeln die Schaar der Dorsarmen, die gleich jenen nicht säet und doch ernährt wird, zu be¬ scheidener Nachlese. Allenthalben, im Blachfeld wie in den Bergthälern, hören wir jetzt bereits den taktmäßigen Fall der Flegel und das Schnurren und Klappern der Maschinen, die das Korn zu neuem Brote dreschen. In den Gärten und auf den Gemüsebeeten überm Zaune draußen ver¬ wandelten sich inzwischen die Blüthendolden der Stock- und Laufbohnen in Schotenbündel, schwoll der Krautkopf, sträubten Braunkohl und Grünkohl ihren krausen Federbusch und reifte neben der Rübe — auch einer der ältesten Speisen der Deutschen — die Knolle der Kartoffel, die jener erst seit anderthalb Jahrhunderten an die Seite getreten ist. Weiterhin schlugen zur Freude der Hausfrauen Flachsbreiten im Winde ihre blauen Wellen, rankte sich hochauf¬ strebend der Hopfen um seine Stangen, nahmen in den Wipfeln des Obst¬ gartens Apfel und Pflaume allmählich die Farben der Reife an, und rötheten Grenzboten IV. !,876. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/61>, abgerufen am 29.04.2024.