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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten vermittelst des Löf¬
fels gespeist.

Das Uebermaß des Genusses dieser berauschenden Suppe führte bet
mehr als einer jener Zusammenkünfte zu Unfug und blutigen Raufereien
während des Heimwegs der Paare, indem man den Raub der Sabinerinnen
nachahmte. So geschah es, daß die Kirche gegen die Schwingfeste zu eifern
begann, und daß seit Anfang dieses Jahrhunderts auch die weltlichen Be¬
hörden mit Verboten und Strafen dagegen einschritten. Auf diese Weise ist
die ursprünglich allenthalben am Niederrhein verbreitete Sitte auf der Ebenen
allmählich verschwunden, und selbst in den Bergen kommt sie nur an wenigen
Orten noch vor.




Die deutsche Sprache in der Provinz "Ireuszen.

Lange hat es gedauert, ehe das Amtssprachen-Gesetz verkündigt worden
ist. Die Erklärung dieser Verzögerung liegt nahe. Nicht daß die himmel¬
schreienden Proteste, die Massenpetitionen der Polen, zum Theil sogar an die
allerhöchste Stelle gerichtet, bei unseren Staatsmännern einen beunruhigenden
Eindruck hervorgerufen und sie zum Zaudern bewogen hätten. Mit einer
solchen Erklärung können sich eben nur die polnischen Nationalitätseiferer
schmeicheln. Der wahre Grund der verzögerten Publication des Gesetzes liegt
offenbar darin, daß mit ihm gleichzeitig die Königliche Verordnung, welche
die vorläufigen Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes enthält, er¬
scheinen mußte. Da eine solche Verordnung Gesetzeskraft besitzt, so durfte
sie nicht übereilt werden, sondern es mußten ihr die genauesten Ermittelungen
über das unzweifelhafte Bedürfniß des ferneren amtlichen Gebrauchs der
fremden Sprachen in den vorherrschend undeutschen Landestheilen vorher¬
gehen, damit die Würde des Gesetzes nicht durch nachträgliche Zusätze oder
Abänderungen geschädigt würde.

Dafür, daß wir auf das Gesetz etwas warten mußten, erhalten wir
durch dasselbe auch werthvolle und zuverlässige Auskunft über die Ver¬
breitung und Machtstellung der Staatssprache in den gemischt-deutschen
Grenzgebieten, welche einigen Ersatz dafür gewährt, daß die statistischen


kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten vermittelst des Löf¬
fels gespeist.

Das Uebermaß des Genusses dieser berauschenden Suppe führte bet
mehr als einer jener Zusammenkünfte zu Unfug und blutigen Raufereien
während des Heimwegs der Paare, indem man den Raub der Sabinerinnen
nachahmte. So geschah es, daß die Kirche gegen die Schwingfeste zu eifern
begann, und daß seit Anfang dieses Jahrhunderts auch die weltlichen Be¬
hörden mit Verboten und Strafen dagegen einschritten. Auf diese Weise ist
die ursprünglich allenthalben am Niederrhein verbreitete Sitte auf der Ebenen
allmählich verschwunden, und selbst in den Bergen kommt sie nur an wenigen
Orten noch vor.




Die deutsche Sprache in der Provinz "Ireuszen.

Lange hat es gedauert, ehe das Amtssprachen-Gesetz verkündigt worden
ist. Die Erklärung dieser Verzögerung liegt nahe. Nicht daß die himmel¬
schreienden Proteste, die Massenpetitionen der Polen, zum Theil sogar an die
allerhöchste Stelle gerichtet, bei unseren Staatsmännern einen beunruhigenden
Eindruck hervorgerufen und sie zum Zaudern bewogen hätten. Mit einer
solchen Erklärung können sich eben nur die polnischen Nationalitätseiferer
schmeicheln. Der wahre Grund der verzögerten Publication des Gesetzes liegt
offenbar darin, daß mit ihm gleichzeitig die Königliche Verordnung, welche
die vorläufigen Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes enthält, er¬
scheinen mußte. Da eine solche Verordnung Gesetzeskraft besitzt, so durfte
sie nicht übereilt werden, sondern es mußten ihr die genauesten Ermittelungen
über das unzweifelhafte Bedürfniß des ferneren amtlichen Gebrauchs der
fremden Sprachen in den vorherrschend undeutschen Landestheilen vorher¬
gehen, damit die Würde des Gesetzes nicht durch nachträgliche Zusätze oder
Abänderungen geschädigt würde.

Dafür, daß wir auf das Gesetz etwas warten mußten, erhalten wir
durch dasselbe auch werthvolle und zuverlässige Auskunft über die Ver¬
breitung und Machtstellung der Staatssprache in den gemischt-deutschen
Grenzgebieten, welche einigen Ersatz dafür gewährt, daß die statistischen


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[0071] kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten vermittelst des Löf¬ fels gespeist. Das Uebermaß des Genusses dieser berauschenden Suppe führte bet mehr als einer jener Zusammenkünfte zu Unfug und blutigen Raufereien während des Heimwegs der Paare, indem man den Raub der Sabinerinnen nachahmte. So geschah es, daß die Kirche gegen die Schwingfeste zu eifern begann, und daß seit Anfang dieses Jahrhunderts auch die weltlichen Be¬ hörden mit Verboten und Strafen dagegen einschritten. Auf diese Weise ist die ursprünglich allenthalben am Niederrhein verbreitete Sitte auf der Ebenen allmählich verschwunden, und selbst in den Bergen kommt sie nur an wenigen Orten noch vor. Die deutsche Sprache in der Provinz "Ireuszen. Lange hat es gedauert, ehe das Amtssprachen-Gesetz verkündigt worden ist. Die Erklärung dieser Verzögerung liegt nahe. Nicht daß die himmel¬ schreienden Proteste, die Massenpetitionen der Polen, zum Theil sogar an die allerhöchste Stelle gerichtet, bei unseren Staatsmännern einen beunruhigenden Eindruck hervorgerufen und sie zum Zaudern bewogen hätten. Mit einer solchen Erklärung können sich eben nur die polnischen Nationalitätseiferer schmeicheln. Der wahre Grund der verzögerten Publication des Gesetzes liegt offenbar darin, daß mit ihm gleichzeitig die Königliche Verordnung, welche die vorläufigen Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes enthält, er¬ scheinen mußte. Da eine solche Verordnung Gesetzeskraft besitzt, so durfte sie nicht übereilt werden, sondern es mußten ihr die genauesten Ermittelungen über das unzweifelhafte Bedürfniß des ferneren amtlichen Gebrauchs der fremden Sprachen in den vorherrschend undeutschen Landestheilen vorher¬ gehen, damit die Würde des Gesetzes nicht durch nachträgliche Zusätze oder Abänderungen geschädigt würde. Dafür, daß wir auf das Gesetz etwas warten mußten, erhalten wir durch dasselbe auch werthvolle und zuverlässige Auskunft über die Ver¬ breitung und Machtstellung der Staatssprache in den gemischt-deutschen Grenzgebieten, welche einigen Ersatz dafür gewährt, daß die statistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/71>, abgerufen am 29.04.2024.