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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Aufnahmen sich seit dem Jahre 1861 nicht mehr auf die Sprache des Volkes
erstreckten. Selbverständlich würde man vollkommen irregehen, wollte man an¬
nehmen, daß in allen Gemeinden, bei denen es ferner nicht mehr gestattet
ist, in den Gemeindeversammlungen, in den Gemeindevertretungen und Schul¬
vorständen anders als deutsch zu verhandeln, die deutsche Sprache die aus¬
schließliche oder auch nur die vorherrschende der Bevölkerung sei. Aber so
viel darf man annehmen, daß in allen nicht als Ausnahmen aufgestellten
Gemeinden, Amtsbezirken, Kreisen u. s. w. das Deutsche mindestens von
der Mehrzahl der Bevölkerung verstanden und von der Mehrzahl der
Gebildeten, denen naturgemäß die Leitung der genannten Versammlungen
gebührt, auch gesprochen wird.

Prüfen wir mit diesem Maßstab in der Hand die amtssprachlichen Fest¬
stellungen der Königlichen Verordnung vom 28. August d. I., so ergiebt sich,
daß der deutsche Vaterlandsfreund mit ihren Ergebnissen zufrieden sein kann.
Was namentlich den wundesten Theil des Staates, die Provinz Posen be¬
trifft, so ersehen wir aus ihnen, daß die deutsche Sprache dort in allen
Städten in vorstehend charakterisirter Weise eingebürgert ist und die Herr¬
schaft ausübt mit Ausnahme von acht kleinen Nestern, welche sich nur durch
ihr ererbtes Stadtrecht von unbedeutenden Dörfern unterscheiden. Die Hälfte
von ihnen, Powidz, Mieltschin, Grabow und Mixstadt, liegt an der russischen
Grenze; Dubin, Kröben, Scharfenort und Opalenitza zerstreut in den west¬
licheren Kreisen. Auffallend ist nur, daß sich unter diesen polnischen Nestern
auch eine Kreisstadt, Kröben, befindet, wobei zu bemerken, daß es diesen
Rang nur seiner Lage in der Mitte des Kreises verdankt, während sich die
ansehnlichen rein deutschen Städte Bojanowo und Rawiez wegen ihrer Lage
an der Kreisgrenze dazu nicht eignen.

Ungünstiger stellt sich freilich das Verhältniß bei den Landgemeinden.
Ihnen wird der amtliche Gebrauch der polnischen Sprache auf fernere 5 Jahre
gestattet; von den 26 Kreisen der Provinz in den Is ganzen Kreisen: Mogilno,
Wregrowitz, Gnesen, Adelnau, But, Kosten, Sabrina, Wreschen, Pleschen,
Schildberg, Krotoschin, Kröben, Posen, Schroda und Sander, ferner in
Theilen der Kreise Jnowrazlaw, Chodschesen, Fraustadt, Bomst und Obornik.
Wer da weiß, wie zahlreich und bedeutend die deutschen Sprachinseln auch
in den Is Kreisen sind, welche ganz Ausnahmen von der Strenge des Ge¬
setzes bilden, wird vielleicht hin und wieder Anstoß nehmen, daß dort nicht
die deutschen Gemeinden Ausnahmen von den Ausnahmen bilden. Dieses
Bedenken läßt sich indeß leicht dadurch heben, daß darauf aufmerksam gemacht
wird, daß die Königliche Verordnung die Anwendung der polnischen Sprache in
den mündlichen Verhandlungen der Schulvorstände, Gemeindevertretungen und
Gemeindeversammlungen nicht anbefiehlt, sondern nur neben der deutschen


Aufnahmen sich seit dem Jahre 1861 nicht mehr auf die Sprache des Volkes
erstreckten. Selbverständlich würde man vollkommen irregehen, wollte man an¬
nehmen, daß in allen Gemeinden, bei denen es ferner nicht mehr gestattet
ist, in den Gemeindeversammlungen, in den Gemeindevertretungen und Schul¬
vorständen anders als deutsch zu verhandeln, die deutsche Sprache die aus¬
schließliche oder auch nur die vorherrschende der Bevölkerung sei. Aber so
viel darf man annehmen, daß in allen nicht als Ausnahmen aufgestellten
Gemeinden, Amtsbezirken, Kreisen u. s. w. das Deutsche mindestens von
der Mehrzahl der Bevölkerung verstanden und von der Mehrzahl der
Gebildeten, denen naturgemäß die Leitung der genannten Versammlungen
gebührt, auch gesprochen wird.

Prüfen wir mit diesem Maßstab in der Hand die amtssprachlichen Fest¬
stellungen der Königlichen Verordnung vom 28. August d. I., so ergiebt sich,
daß der deutsche Vaterlandsfreund mit ihren Ergebnissen zufrieden sein kann.
Was namentlich den wundesten Theil des Staates, die Provinz Posen be¬
trifft, so ersehen wir aus ihnen, daß die deutsche Sprache dort in allen
Städten in vorstehend charakterisirter Weise eingebürgert ist und die Herr¬
schaft ausübt mit Ausnahme von acht kleinen Nestern, welche sich nur durch
ihr ererbtes Stadtrecht von unbedeutenden Dörfern unterscheiden. Die Hälfte
von ihnen, Powidz, Mieltschin, Grabow und Mixstadt, liegt an der russischen
Grenze; Dubin, Kröben, Scharfenort und Opalenitza zerstreut in den west¬
licheren Kreisen. Auffallend ist nur, daß sich unter diesen polnischen Nestern
auch eine Kreisstadt, Kröben, befindet, wobei zu bemerken, daß es diesen
Rang nur seiner Lage in der Mitte des Kreises verdankt, während sich die
ansehnlichen rein deutschen Städte Bojanowo und Rawiez wegen ihrer Lage
an der Kreisgrenze dazu nicht eignen.

Ungünstiger stellt sich freilich das Verhältniß bei den Landgemeinden.
Ihnen wird der amtliche Gebrauch der polnischen Sprache auf fernere 5 Jahre
gestattet; von den 26 Kreisen der Provinz in den Is ganzen Kreisen: Mogilno,
Wregrowitz, Gnesen, Adelnau, But, Kosten, Sabrina, Wreschen, Pleschen,
Schildberg, Krotoschin, Kröben, Posen, Schroda und Sander, ferner in
Theilen der Kreise Jnowrazlaw, Chodschesen, Fraustadt, Bomst und Obornik.
Wer da weiß, wie zahlreich und bedeutend die deutschen Sprachinseln auch
in den Is Kreisen sind, welche ganz Ausnahmen von der Strenge des Ge¬
setzes bilden, wird vielleicht hin und wieder Anstoß nehmen, daß dort nicht
die deutschen Gemeinden Ausnahmen von den Ausnahmen bilden. Dieses
Bedenken läßt sich indeß leicht dadurch heben, daß darauf aufmerksam gemacht
wird, daß die Königliche Verordnung die Anwendung der polnischen Sprache in
den mündlichen Verhandlungen der Schulvorstände, Gemeindevertretungen und
Gemeindeversammlungen nicht anbefiehlt, sondern nur neben der deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/72>, abgerufen am 16.05.2024.