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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Der römische Karneval vor Zeiten.

Wenn ich das Faschingstreiben der Römer ansehe, das eben wieder unter
meinen Fenstern vorbelwogt, so fühle ich mich stets von neuem zu einer Ver-
gleichung des gegenwärtigen Charakters dieser Festlichkeit mit dem in alten
Schilderungen uns entwickelten aufgefordert, die durchaus nicht immer dasselbe
Resultat ergibt. Der römische Karneval befindet sich in einem Uebergangs-,
vielleicht in einem Endstadium, welches seinen jetzigen Charakter vag und
wechselnd erscheinen läßt. Für immer vorüber ist die Stimmung der alten
Zeiten, welche dem Prinzen Karneval gestattete, von der ewigen Stadt ganz
und voll Besitz zu nehmen und welche allmächtig genug war, um alle Stunde,
alle Kreise, alle Persönlichkeiten fortzureißen und ihnen mit dem Machtwort:
"Der Karneval ist da" die mit Jubel begrüßte Pflicht eiuer allgemeinen
vierzehntägiger Ausgelassenheit aufzuerlegen. Mit dem Verschwinden der alten
Sitten, Neigungen und -- gefüllteren Beutel hat auch die Allgemeinheit und
Ausdehnung der Faschingslustbarkeiteu eine bedeutende Einbuße erlitten, und
es ist kein Zweifel, daß anch der römische Karneval in nicht zu ferner Zeit zu
den verflossenen Größen gehören wird. Schon jetzt gibt es eine nicht geringe
Partei der "Fortgeschrittener", welche alle diese "Narreteien" als unserer
Zeit unwürdig verbannt wissen wollen und ans alle Weise gegen den Karneval
kämpfen. Die Bevölkerung selbst nimmt natürlich nicht mehr in dem Umfange
wie früher und noch weniger in der alten reflexionslosen und ausgelassenen
Weise Theil, scheint auch kaum mehr in: Stande zu sein, aus eigener Initia¬
tive, spontan und ohne offizielle Unterstützung die Festlichkeiten ins Werk zu
setzen. Es bedarf jetzt in Rom wie anderswo der offiziellen Programme, der
Theilnahme der städtischen Behörden und Svezialeomitvs, um den Belustigungen
Direktion, Halt und Charakter zu geben. Dennoch ist die Betheiligung der
Bevölkerung noch immer eine solche, daß sie den Fremden in Erstaunen setzt,
und es kommen Tage vor, an denen der alte römische Karnevalsgeist wieder
in einer Weise aus seiner Einschränkung hervorzubrechen scheint, welche kaum
etwas zu wünschen übrig läßt. An solchen Tagen, wenn der Corso von festlich
geschmückten Karrvssen und sich drängenden und belustigenden Fußgängern von
einem Ende bis zum andern gestillt ist, wenn die Coriandvli und Blumen
zwischen den wogenden Massen und den geschmückten Fenstern und Balkonen
unaufhörlich auf und ab fliegen, wenn in altherkömiulicher Weise die ledigen
Rosse mit flatterndem Bänderschmuck die Straße hinabjagen, wenn von Mittags
bis tief in die Nacht die Straßen von scherzenden Maskeraden bedeckt sind
und auf deu freien Plätzen unter freiem Himmel unermüdlich musizirt, getanzt


Der römische Karneval vor Zeiten.

Wenn ich das Faschingstreiben der Römer ansehe, das eben wieder unter
meinen Fenstern vorbelwogt, so fühle ich mich stets von neuem zu einer Ver-
gleichung des gegenwärtigen Charakters dieser Festlichkeit mit dem in alten
Schilderungen uns entwickelten aufgefordert, die durchaus nicht immer dasselbe
Resultat ergibt. Der römische Karneval befindet sich in einem Uebergangs-,
vielleicht in einem Endstadium, welches seinen jetzigen Charakter vag und
wechselnd erscheinen läßt. Für immer vorüber ist die Stimmung der alten
Zeiten, welche dem Prinzen Karneval gestattete, von der ewigen Stadt ganz
und voll Besitz zu nehmen und welche allmächtig genug war, um alle Stunde,
alle Kreise, alle Persönlichkeiten fortzureißen und ihnen mit dem Machtwort:
„Der Karneval ist da" die mit Jubel begrüßte Pflicht eiuer allgemeinen
vierzehntägiger Ausgelassenheit aufzuerlegen. Mit dem Verschwinden der alten
Sitten, Neigungen und — gefüllteren Beutel hat auch die Allgemeinheit und
Ausdehnung der Faschingslustbarkeiteu eine bedeutende Einbuße erlitten, und
es ist kein Zweifel, daß anch der römische Karneval in nicht zu ferner Zeit zu
den verflossenen Größen gehören wird. Schon jetzt gibt es eine nicht geringe
Partei der „Fortgeschrittener", welche alle diese „Narreteien" als unserer
Zeit unwürdig verbannt wissen wollen und ans alle Weise gegen den Karneval
kämpfen. Die Bevölkerung selbst nimmt natürlich nicht mehr in dem Umfange
wie früher und noch weniger in der alten reflexionslosen und ausgelassenen
Weise Theil, scheint auch kaum mehr in: Stande zu sein, aus eigener Initia¬
tive, spontan und ohne offizielle Unterstützung die Festlichkeiten ins Werk zu
setzen. Es bedarf jetzt in Rom wie anderswo der offiziellen Programme, der
Theilnahme der städtischen Behörden und Svezialeomitvs, um den Belustigungen
Direktion, Halt und Charakter zu geben. Dennoch ist die Betheiligung der
Bevölkerung noch immer eine solche, daß sie den Fremden in Erstaunen setzt,
und es kommen Tage vor, an denen der alte römische Karnevalsgeist wieder
in einer Weise aus seiner Einschränkung hervorzubrechen scheint, welche kaum
etwas zu wünschen übrig läßt. An solchen Tagen, wenn der Corso von festlich
geschmückten Karrvssen und sich drängenden und belustigenden Fußgängern von
einem Ende bis zum andern gestillt ist, wenn die Coriandvli und Blumen
zwischen den wogenden Massen und den geschmückten Fenstern und Balkonen
unaufhörlich auf und ab fliegen, wenn in altherkömiulicher Weise die ledigen
Rosse mit flatterndem Bänderschmuck die Straße hinabjagen, wenn von Mittags
bis tief in die Nacht die Straßen von scherzenden Maskeraden bedeckt sind
und auf deu freien Plätzen unter freiem Himmel unermüdlich musizirt, getanzt


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[0466] Der römische Karneval vor Zeiten. Wenn ich das Faschingstreiben der Römer ansehe, das eben wieder unter meinen Fenstern vorbelwogt, so fühle ich mich stets von neuem zu einer Ver- gleichung des gegenwärtigen Charakters dieser Festlichkeit mit dem in alten Schilderungen uns entwickelten aufgefordert, die durchaus nicht immer dasselbe Resultat ergibt. Der römische Karneval befindet sich in einem Uebergangs-, vielleicht in einem Endstadium, welches seinen jetzigen Charakter vag und wechselnd erscheinen läßt. Für immer vorüber ist die Stimmung der alten Zeiten, welche dem Prinzen Karneval gestattete, von der ewigen Stadt ganz und voll Besitz zu nehmen und welche allmächtig genug war, um alle Stunde, alle Kreise, alle Persönlichkeiten fortzureißen und ihnen mit dem Machtwort: „Der Karneval ist da" die mit Jubel begrüßte Pflicht eiuer allgemeinen vierzehntägiger Ausgelassenheit aufzuerlegen. Mit dem Verschwinden der alten Sitten, Neigungen und — gefüllteren Beutel hat auch die Allgemeinheit und Ausdehnung der Faschingslustbarkeiteu eine bedeutende Einbuße erlitten, und es ist kein Zweifel, daß anch der römische Karneval in nicht zu ferner Zeit zu den verflossenen Größen gehören wird. Schon jetzt gibt es eine nicht geringe Partei der „Fortgeschrittener", welche alle diese „Narreteien" als unserer Zeit unwürdig verbannt wissen wollen und ans alle Weise gegen den Karneval kämpfen. Die Bevölkerung selbst nimmt natürlich nicht mehr in dem Umfange wie früher und noch weniger in der alten reflexionslosen und ausgelassenen Weise Theil, scheint auch kaum mehr in: Stande zu sein, aus eigener Initia¬ tive, spontan und ohne offizielle Unterstützung die Festlichkeiten ins Werk zu setzen. Es bedarf jetzt in Rom wie anderswo der offiziellen Programme, der Theilnahme der städtischen Behörden und Svezialeomitvs, um den Belustigungen Direktion, Halt und Charakter zu geben. Dennoch ist die Betheiligung der Bevölkerung noch immer eine solche, daß sie den Fremden in Erstaunen setzt, und es kommen Tage vor, an denen der alte römische Karnevalsgeist wieder in einer Weise aus seiner Einschränkung hervorzubrechen scheint, welche kaum etwas zu wünschen übrig läßt. An solchen Tagen, wenn der Corso von festlich geschmückten Karrvssen und sich drängenden und belustigenden Fußgängern von einem Ende bis zum andern gestillt ist, wenn die Coriandvli und Blumen zwischen den wogenden Massen und den geschmückten Fenstern und Balkonen unaufhörlich auf und ab fliegen, wenn in altherkömiulicher Weise die ledigen Rosse mit flatterndem Bänderschmuck die Straße hinabjagen, wenn von Mittags bis tief in die Nacht die Straßen von scherzenden Maskeraden bedeckt sind und auf deu freien Plätzen unter freiem Himmel unermüdlich musizirt, getanzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/466>, abgerufen am 04.05.2024.