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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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an die Art und Weise erinnert werden, in welcher sich die Kräfte, Zwecke und
Ränke dieser Hvfopposition -- die beiläufig schon seit geraumer Zeit bohrt und
wühlt -- in den letzten Mvnateir geltend und fühlbar machten. Der Chefredakteur eines
großen reaktionären Blattes, welches seit Jahren schon bemüht war, der Re¬
gierung und dem Kaiser die Gemüther zu entfremden, wird, endlich wegen
Verleumdung von Ministern angeklagt und verurtheilt, gegen das eingeforderte
Gutachten der beleidigten Minister auf Verwendung -- nun, sagen wir einer
hohen Dame -- begnadigt (nach anderer Version wenigstens beurlaubt). Die¬
selbe hohe Dame schreibt in veröffentlichten Briefen an katholische Vereine, daß
sie die Kirchengesetze mißbillige. Zwei Angehörige der neulich erwähnten vor¬
nehmen polnischen Familie, beide Mitglieder der Centruinsfraktion, der eine
Sekretär von Ledochowski gewesen, der andere Kaplan und bei der famosen
Marpinger Posse betheiligt, sind gern gesehene Gäste in dem Cirkel, dessen
Mittelpunkt sie bildet. Dem Vernehmen nach wären in der Angelegenheit der
Ursulinerinnen von ihr -- Manche werden sich hierdurch vielleicht an Eugenie
während des Krieges erinnert finden -- direkte Reskripte an die Behörden er¬
gangen. Ein Graf und Oberhvfmeister, der als eifrig nltramontan bekannt
ist, dessen Beziehungen zur "Reichsglocke" bei Gelegenheit der Prozesse gegen
dieses Blatt vor der Öffentlichkeit aufgedeckt wurden, und der an den Be¬
rathungen der Redaktion bei Olbrich Theil genommen, erhält unmittelbar nach
diesem Skandal einen der höchsten Orden -- eine Vielen unerklärliche An¬
erkennung, die sich der loyale Leser natürlich nicht dadurch verständlich machen
wird, daß er annimmt, man habe in einem gewissen Kreise des Hofes die
Leistungen der "Reichsglocke" mit höchstem Wohlgefallen gesehen.

Wie gefallen den Lesern diese Dinge, denen sich noch eine gute Anzahl
gleich auffälliger hinzufügen ließe? Daß sie dem Reichskanzler nicht
gefallen konnten, versteht sich wohl von selbst, und sehr möglich ist, daß er die
von ihm kolportirte Aeußerung, die größte Schwierigkeit von allen
mache ihm die diplomatische Mission am eignen Hofe, wirklich
gethan hat.




Jon Keichstage.

Mehr als irgend eine der vorhergegangenen trug die soeben abgelaufene
parlamentarische Woche den Stempel der rührenden wirthschaftlichen Fragen.
Die drei ersten Tage gehörten den auf die Gewerbeordnung bezüglichen An¬
trägen, der letzte war der Zollpolitik gewidmet. Seit dem Beginn der jüngsten


an die Art und Weise erinnert werden, in welcher sich die Kräfte, Zwecke und
Ränke dieser Hvfopposition — die beiläufig schon seit geraumer Zeit bohrt und
wühlt — in den letzten Mvnateir geltend und fühlbar machten. Der Chefredakteur eines
großen reaktionären Blattes, welches seit Jahren schon bemüht war, der Re¬
gierung und dem Kaiser die Gemüther zu entfremden, wird, endlich wegen
Verleumdung von Ministern angeklagt und verurtheilt, gegen das eingeforderte
Gutachten der beleidigten Minister auf Verwendung — nun, sagen wir einer
hohen Dame — begnadigt (nach anderer Version wenigstens beurlaubt). Die¬
selbe hohe Dame schreibt in veröffentlichten Briefen an katholische Vereine, daß
sie die Kirchengesetze mißbillige. Zwei Angehörige der neulich erwähnten vor¬
nehmen polnischen Familie, beide Mitglieder der Centruinsfraktion, der eine
Sekretär von Ledochowski gewesen, der andere Kaplan und bei der famosen
Marpinger Posse betheiligt, sind gern gesehene Gäste in dem Cirkel, dessen
Mittelpunkt sie bildet. Dem Vernehmen nach wären in der Angelegenheit der
Ursulinerinnen von ihr — Manche werden sich hierdurch vielleicht an Eugenie
während des Krieges erinnert finden — direkte Reskripte an die Behörden er¬
gangen. Ein Graf und Oberhvfmeister, der als eifrig nltramontan bekannt
ist, dessen Beziehungen zur „Reichsglocke" bei Gelegenheit der Prozesse gegen
dieses Blatt vor der Öffentlichkeit aufgedeckt wurden, und der an den Be¬
rathungen der Redaktion bei Olbrich Theil genommen, erhält unmittelbar nach
diesem Skandal einen der höchsten Orden — eine Vielen unerklärliche An¬
erkennung, die sich der loyale Leser natürlich nicht dadurch verständlich machen
wird, daß er annimmt, man habe in einem gewissen Kreise des Hofes die
Leistungen der „Reichsglocke" mit höchstem Wohlgefallen gesehen.

Wie gefallen den Lesern diese Dinge, denen sich noch eine gute Anzahl
gleich auffälliger hinzufügen ließe? Daß sie dem Reichskanzler nicht
gefallen konnten, versteht sich wohl von selbst, und sehr möglich ist, daß er die
von ihm kolportirte Aeußerung, die größte Schwierigkeit von allen
mache ihm die diplomatische Mission am eignen Hofe, wirklich
gethan hat.




Jon Keichstage.

Mehr als irgend eine der vorhergegangenen trug die soeben abgelaufene
parlamentarische Woche den Stempel der rührenden wirthschaftlichen Fragen.
Die drei ersten Tage gehörten den auf die Gewerbeordnung bezüglichen An¬
trägen, der letzte war der Zollpolitik gewidmet. Seit dem Beginn der jüngsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/196>, abgerufen am 26.05.2024.