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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Griechische Irauen.
R. schönrer. Antike Bilder von

Die Achtung und Würdigung des weiblichen Geschlechtes hält gleichen
Schritt mit der Kultur. Wir wissen, daß bei allen rohen Völkern die Frau
nichts ist, als eine Sklavin des Mannes, angehalten zu denjenigen Arbeiten,
welche der Mann nicht verrichten kann oder seiner unwürdig glaubt. So sehen
wir es noch heute bei den uncivilisirten Völkerschaften anderer Erdtheile; so
War es bei den Voreltern aller Kulturvölker. Je höher der geistige und sitt¬
liche Standpunkt eines Volkes wird, desto mehr wird die Frau aus der
Dienerin eine Gehilfin und gleichgeachtete Gefährtin des Mannes. Natürlich --
denn mit der steigenden Gesittung treten innere Bedürfnisse für den Mann
auf, die er nicht mehr allein befriedigen kann: Bedürfnisse des Herzens und
Gemüthes, denen nur durch weibliche Hand genügt werden kann. Es erwacht
und wächst die Einsicht, daß nicht mehr die Stärke des Armes, nicht mehr
Muth und List im Kampfe, nicht mehr Belehrung über Männerwerke, wie sie
der Sohn vom Vater ererbt, genügen können, sondern daß die Seele ernährt
sein will mit anderer erquickenderer Speise, die das innere Sehnen stillt, das
Ahnen des Höheren befriedigt. Der Mann erkennt, daß die Mutterhand die
Zechte ist, um die zarten Keime in dem Knaben zu pflegen und zu bilden,
auf daß ihm die ersten tiefsten und dauerndsten Eindrücke dnrch die Liebe, die
sie eingepflanzt, zu einem inneren Halt für das ganze Leben werden.

Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß es nicht die äußere Kultur ist,
welche diesen Fortschritt in der Schätzung des Weibes bedingt, sondern die
innere Gesittung. Einen Beweis dafür liefern die alten Deutschen, die im
beginne unserer Zeitrechnung auf einer bei weitem niedrigeren Kulturstufe
standen als die Römer zur Zeit der Gründung ihrer Stadt, und bei denen
nichtsdestoweniger die Frauen eine Achtung genossen, welche ein Römer aus
der verfeinertsten Kaiserzeit, Tacitus, überraschend finden konnte.

Andrerseits fehen wir bei den asiatischen Kulturvölkern zur Zeit der höchsten


Grenzboten II. 1877. 26
Griechische Irauen.
R. schönrer. Antike Bilder von

Die Achtung und Würdigung des weiblichen Geschlechtes hält gleichen
Schritt mit der Kultur. Wir wissen, daß bei allen rohen Völkern die Frau
nichts ist, als eine Sklavin des Mannes, angehalten zu denjenigen Arbeiten,
welche der Mann nicht verrichten kann oder seiner unwürdig glaubt. So sehen
wir es noch heute bei den uncivilisirten Völkerschaften anderer Erdtheile; so
War es bei den Voreltern aller Kulturvölker. Je höher der geistige und sitt¬
liche Standpunkt eines Volkes wird, desto mehr wird die Frau aus der
Dienerin eine Gehilfin und gleichgeachtete Gefährtin des Mannes. Natürlich —
denn mit der steigenden Gesittung treten innere Bedürfnisse für den Mann
auf, die er nicht mehr allein befriedigen kann: Bedürfnisse des Herzens und
Gemüthes, denen nur durch weibliche Hand genügt werden kann. Es erwacht
und wächst die Einsicht, daß nicht mehr die Stärke des Armes, nicht mehr
Muth und List im Kampfe, nicht mehr Belehrung über Männerwerke, wie sie
der Sohn vom Vater ererbt, genügen können, sondern daß die Seele ernährt
sein will mit anderer erquickenderer Speise, die das innere Sehnen stillt, das
Ahnen des Höheren befriedigt. Der Mann erkennt, daß die Mutterhand die
Zechte ist, um die zarten Keime in dem Knaben zu pflegen und zu bilden,
auf daß ihm die ersten tiefsten und dauerndsten Eindrücke dnrch die Liebe, die
sie eingepflanzt, zu einem inneren Halt für das ganze Leben werden.

Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß es nicht die äußere Kultur ist,
welche diesen Fortschritt in der Schätzung des Weibes bedingt, sondern die
innere Gesittung. Einen Beweis dafür liefern die alten Deutschen, die im
beginne unserer Zeitrechnung auf einer bei weitem niedrigeren Kulturstufe
standen als die Römer zur Zeit der Gründung ihrer Stadt, und bei denen
nichtsdestoweniger die Frauen eine Achtung genossen, welche ein Römer aus
der verfeinertsten Kaiserzeit, Tacitus, überraschend finden konnte.

Andrerseits fehen wir bei den asiatischen Kulturvölkern zur Zeit der höchsten


Grenzboten II. 1877. 26
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[0205] Griechische Irauen. R. schönrer. Antike Bilder von Die Achtung und Würdigung des weiblichen Geschlechtes hält gleichen Schritt mit der Kultur. Wir wissen, daß bei allen rohen Völkern die Frau nichts ist, als eine Sklavin des Mannes, angehalten zu denjenigen Arbeiten, welche der Mann nicht verrichten kann oder seiner unwürdig glaubt. So sehen wir es noch heute bei den uncivilisirten Völkerschaften anderer Erdtheile; so War es bei den Voreltern aller Kulturvölker. Je höher der geistige und sitt¬ liche Standpunkt eines Volkes wird, desto mehr wird die Frau aus der Dienerin eine Gehilfin und gleichgeachtete Gefährtin des Mannes. Natürlich — denn mit der steigenden Gesittung treten innere Bedürfnisse für den Mann auf, die er nicht mehr allein befriedigen kann: Bedürfnisse des Herzens und Gemüthes, denen nur durch weibliche Hand genügt werden kann. Es erwacht und wächst die Einsicht, daß nicht mehr die Stärke des Armes, nicht mehr Muth und List im Kampfe, nicht mehr Belehrung über Männerwerke, wie sie der Sohn vom Vater ererbt, genügen können, sondern daß die Seele ernährt sein will mit anderer erquickenderer Speise, die das innere Sehnen stillt, das Ahnen des Höheren befriedigt. Der Mann erkennt, daß die Mutterhand die Zechte ist, um die zarten Keime in dem Knaben zu pflegen und zu bilden, auf daß ihm die ersten tiefsten und dauerndsten Eindrücke dnrch die Liebe, die sie eingepflanzt, zu einem inneren Halt für das ganze Leben werden. Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß es nicht die äußere Kultur ist, welche diesen Fortschritt in der Schätzung des Weibes bedingt, sondern die innere Gesittung. Einen Beweis dafür liefern die alten Deutschen, die im beginne unserer Zeitrechnung auf einer bei weitem niedrigeren Kulturstufe standen als die Römer zur Zeit der Gründung ihrer Stadt, und bei denen nichtsdestoweniger die Frauen eine Achtung genossen, welche ein Römer aus der verfeinertsten Kaiserzeit, Tacitus, überraschend finden konnte. Andrerseits fehen wir bei den asiatischen Kulturvölkern zur Zeit der höchsten Grenzboten II. 1877. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/205>, abgerufen am 18.05.2024.