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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Blüthe ihrer künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Entwickelung die
Frauen keine höhere Stellung einnehmen, als es jetzt unter der schmachvollen
Herrschaft des Halbmondes in denselben Ländern der Fall ist. Babylonier,
Phönicier, Aegypter errichteten ihre kunstvollen Bauten, maßen die Bahnen des
Himmels und der weiten See, machten Erfindungen auf zahlreichen Gebieten
der Kunst, Wissenschaft und Industrie, lauge bevor in Griechenland eine Hand
etwas anderes als Pflug und Schwert führte -- und doch erhoben diese Völker
sich nicht zu einer würdigen Ansicht vom weiblichen Geschlecht. Es fehlte die
sittliche Zucht und innere Tüchtigkeit oder wenigstens die moralische Begabung;
keines von ihnen konnte nnr zur Beseitigung der Vielweiberei gelangen.

Von diesen drei Völkern nnn haben die Griechen die Anfänge ihrer Kultur
erhalten. Dürften wir uns wundern, wenn wir ihre Helden in Kampf und
Jagd, in Waffenspielen und Abenteuern sich tummeln sähen, ohne nach den
Weibern zu fragen? Wenn die Weiber mit der Sorge für den Unterhalt der
Familie belastet und gering geachtet wären wie in Babylon. Kanaan und
Aegypten? -- Aber dem ist nicht so. Wie die Griechen die vom Orient em¬
pfangenen Keime ihrer politischen Einrichtungen, ihrer gesetzlichen und sittlichen
Zustünde, ihrer Wissenschaft, Kunst und Götterlehre sich durch selbständige Um¬
bildung zum ureigner Besitz gemacht haben, so daß nichts Phönieisches, nichts
Aegyptisches, nichts Kleinasiatisches, sondern eben nur Griechisches bei ihnen zu
finden ist, so haben sie von Anfang an der Frau eine würdige Stellung ein¬
geräumt, die ihnen zur größten Ehre gereicht. Sie brachten, als sie ans den
Waldboden und in den sonnigen Thälern von Hellas ihre Hütten aufschlugen,
die innere Gesundheit des kaukasischen Stammes mit sich, die frische Kraft
eines jungen Naturvolkes und glückliche Gaben, die sie zum bevorzugten Kinde
der gemeinsamen Mutter machten. Ein schönes Erbtheil war ihnen geworden:
Kräftige schlanke Leiber, Gefühl für das Schöne, woraus die Liebe zum Guten
wurde, rege Phantasie, geleitet und gezügelt durch leichten Verstand, offenes
Gemüth und Hang zum Lebensgenuß, gemildert durch Selbstbeherrschung und
seinen Sinn für das Maß, und dazu ein Land, ein Meer und ein Himmel,
die jahraus jahrein ein Lächeln der Götter über Hellas' Schönheit zu bedeuten
schienen; ist es ein Wunder, daß die Griechen wurden, was sie geworden
sind; daß sie sich weit über die andern Völker des Alterthums erhoben? Ist
es ein Wunder, daß ihr Schönheitssinn das Schöne und Edle im Wesen der
Fran nie verkannt hat?

Wenn auch sie nicht gleich von Anfang an die Fran als ebenbürtiges
Glied der menschlichen Schöpfung angesehen haben; wenn auch sie erst allmählich
zu einer höheren sittlichen Auffassung in diesem Punkte durchgedrungen und
noch immer weit hinter dem Ideale unserer Zeit zurückgeblieben sind, so wäre


Blüthe ihrer künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Entwickelung die
Frauen keine höhere Stellung einnehmen, als es jetzt unter der schmachvollen
Herrschaft des Halbmondes in denselben Ländern der Fall ist. Babylonier,
Phönicier, Aegypter errichteten ihre kunstvollen Bauten, maßen die Bahnen des
Himmels und der weiten See, machten Erfindungen auf zahlreichen Gebieten
der Kunst, Wissenschaft und Industrie, lauge bevor in Griechenland eine Hand
etwas anderes als Pflug und Schwert führte — und doch erhoben diese Völker
sich nicht zu einer würdigen Ansicht vom weiblichen Geschlecht. Es fehlte die
sittliche Zucht und innere Tüchtigkeit oder wenigstens die moralische Begabung;
keines von ihnen konnte nnr zur Beseitigung der Vielweiberei gelangen.

Von diesen drei Völkern nnn haben die Griechen die Anfänge ihrer Kultur
erhalten. Dürften wir uns wundern, wenn wir ihre Helden in Kampf und
Jagd, in Waffenspielen und Abenteuern sich tummeln sähen, ohne nach den
Weibern zu fragen? Wenn die Weiber mit der Sorge für den Unterhalt der
Familie belastet und gering geachtet wären wie in Babylon. Kanaan und
Aegypten? — Aber dem ist nicht so. Wie die Griechen die vom Orient em¬
pfangenen Keime ihrer politischen Einrichtungen, ihrer gesetzlichen und sittlichen
Zustünde, ihrer Wissenschaft, Kunst und Götterlehre sich durch selbständige Um¬
bildung zum ureigner Besitz gemacht haben, so daß nichts Phönieisches, nichts
Aegyptisches, nichts Kleinasiatisches, sondern eben nur Griechisches bei ihnen zu
finden ist, so haben sie von Anfang an der Frau eine würdige Stellung ein¬
geräumt, die ihnen zur größten Ehre gereicht. Sie brachten, als sie ans den
Waldboden und in den sonnigen Thälern von Hellas ihre Hütten aufschlugen,
die innere Gesundheit des kaukasischen Stammes mit sich, die frische Kraft
eines jungen Naturvolkes und glückliche Gaben, die sie zum bevorzugten Kinde
der gemeinsamen Mutter machten. Ein schönes Erbtheil war ihnen geworden:
Kräftige schlanke Leiber, Gefühl für das Schöne, woraus die Liebe zum Guten
wurde, rege Phantasie, geleitet und gezügelt durch leichten Verstand, offenes
Gemüth und Hang zum Lebensgenuß, gemildert durch Selbstbeherrschung und
seinen Sinn für das Maß, und dazu ein Land, ein Meer und ein Himmel,
die jahraus jahrein ein Lächeln der Götter über Hellas' Schönheit zu bedeuten
schienen; ist es ein Wunder, daß die Griechen wurden, was sie geworden
sind; daß sie sich weit über die andern Völker des Alterthums erhoben? Ist
es ein Wunder, daß ihr Schönheitssinn das Schöne und Edle im Wesen der
Fran nie verkannt hat?

Wenn auch sie nicht gleich von Anfang an die Fran als ebenbürtiges
Glied der menschlichen Schöpfung angesehen haben; wenn auch sie erst allmählich
zu einer höheren sittlichen Auffassung in diesem Punkte durchgedrungen und
noch immer weit hinter dem Ideale unserer Zeit zurückgeblieben sind, so wäre


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[0206] Blüthe ihrer künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Entwickelung die Frauen keine höhere Stellung einnehmen, als es jetzt unter der schmachvollen Herrschaft des Halbmondes in denselben Ländern der Fall ist. Babylonier, Phönicier, Aegypter errichteten ihre kunstvollen Bauten, maßen die Bahnen des Himmels und der weiten See, machten Erfindungen auf zahlreichen Gebieten der Kunst, Wissenschaft und Industrie, lauge bevor in Griechenland eine Hand etwas anderes als Pflug und Schwert führte — und doch erhoben diese Völker sich nicht zu einer würdigen Ansicht vom weiblichen Geschlecht. Es fehlte die sittliche Zucht und innere Tüchtigkeit oder wenigstens die moralische Begabung; keines von ihnen konnte nnr zur Beseitigung der Vielweiberei gelangen. Von diesen drei Völkern nnn haben die Griechen die Anfänge ihrer Kultur erhalten. Dürften wir uns wundern, wenn wir ihre Helden in Kampf und Jagd, in Waffenspielen und Abenteuern sich tummeln sähen, ohne nach den Weibern zu fragen? Wenn die Weiber mit der Sorge für den Unterhalt der Familie belastet und gering geachtet wären wie in Babylon. Kanaan und Aegypten? — Aber dem ist nicht so. Wie die Griechen die vom Orient em¬ pfangenen Keime ihrer politischen Einrichtungen, ihrer gesetzlichen und sittlichen Zustünde, ihrer Wissenschaft, Kunst und Götterlehre sich durch selbständige Um¬ bildung zum ureigner Besitz gemacht haben, so daß nichts Phönieisches, nichts Aegyptisches, nichts Kleinasiatisches, sondern eben nur Griechisches bei ihnen zu finden ist, so haben sie von Anfang an der Frau eine würdige Stellung ein¬ geräumt, die ihnen zur größten Ehre gereicht. Sie brachten, als sie ans den Waldboden und in den sonnigen Thälern von Hellas ihre Hütten aufschlugen, die innere Gesundheit des kaukasischen Stammes mit sich, die frische Kraft eines jungen Naturvolkes und glückliche Gaben, die sie zum bevorzugten Kinde der gemeinsamen Mutter machten. Ein schönes Erbtheil war ihnen geworden: Kräftige schlanke Leiber, Gefühl für das Schöne, woraus die Liebe zum Guten wurde, rege Phantasie, geleitet und gezügelt durch leichten Verstand, offenes Gemüth und Hang zum Lebensgenuß, gemildert durch Selbstbeherrschung und seinen Sinn für das Maß, und dazu ein Land, ein Meer und ein Himmel, die jahraus jahrein ein Lächeln der Götter über Hellas' Schönheit zu bedeuten schienen; ist es ein Wunder, daß die Griechen wurden, was sie geworden sind; daß sie sich weit über die andern Völker des Alterthums erhoben? Ist es ein Wunder, daß ihr Schönheitssinn das Schöne und Edle im Wesen der Fran nie verkannt hat? Wenn auch sie nicht gleich von Anfang an die Fran als ebenbürtiges Glied der menschlichen Schöpfung angesehen haben; wenn auch sie erst allmählich zu einer höheren sittlichen Auffassung in diesem Punkte durchgedrungen und noch immer weit hinter dem Ideale unserer Zeit zurückgeblieben sind, so wäre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/206>, abgerufen am 10.06.2024.