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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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HnechWe Irauen.
R. schönrer. Antike Bilder von
II.

Sparta ist der erste Staat, der uns aus den Wanderungen der griechischen
Stämme, die auf die Heroenzeit folgten, als ein festgegründeter, wohlgeordneter
und einheitlich abgeschlossener entgegentritt. Der innere Ernst, der strenge
Sinn für Zucht und Ordnung, für Selbstbeherrschung und festgeregelte Sitte,
welcher den dorischen Stamm auszeichnete, hatte hier eine Gesetzgebung mög¬
lich gemacht, die eminent politisch genannt werden muß. Der Staatsgedanke war
über alles Andere emporgehoben worden; der von den Göttern gegründete und
geschützte Staat war das Höchste, dem Alles dienen oder weichen mußte.
Der einzelne Bürger galt nichts für sich allein, sondern nur als Glied des
Ganzen; seine ganze Existenz war dem Dienste des Ganzen geweiht, er durfte
nur leben um des Staates willen.

Deßwegen stand in Sparta mehr als irgendwo anders, in allen dorischen
Staaten mehr als bei andern Stämmen das ganze Leben unter der Aufsicht
des Staates, nicht bloß das öffentliche, sondern auch das Privatleben, die
Sitte, die Familie. Von Kindesbeinen an gehörte der Bürger dem Staate
und wurde von ihm beaufsichtigt; ja man kann sagen, der Staat wandte ihm
schon vor der Geburt seine Aufmerksamkeit zu. Die spartanischen Gesetzgeber
waren sich zu wohl bewußt, welchen Einfluß die Mutter auf körperliche und
geistige Eigenschaften des Kindes habe, um nicht ihre Sorge auch auf diese
auszudehnen, und dies ist der Punkt, an welchen ich zunächst anzuknüpfen
haben werde.

Unter allen Völkern des Alterthums haben die Griechen sich durch Körper¬
schönheit ausgezeichnet. Begünstigt durch ein mildes, gleichmäßiges Klima,
"von erquickender Luft der See und der Berghöhen anf allen Seiten umfangen,
gelangte ihr ganzer Organismus zu einer gedeihlicheren Entfaltung." Die
leicht von statten gehende Entwickelung des Körpers, das freie Leben in Luft
und Sonnenschein, die Nähe der Natur, der sie sich vertraulich Hingaben,
machte ihren Körper gesund und kräftig, die Glieder elastisch, das Auge scharf
und gab ihnen mit der leiblichen Wohlgestalt die geistige Beweglichkeit und die
Offenheit des Charakters. Körperliche Schönheit war bei ihnen nicht eine
seltene und bewunderte Gabe der Natur, sondern der selbstverständliche Besitz
eines Jeden, und ihr Mangel war das Auffällige. Der Beweis dafür ist die
bildende Kunst; denn die Gestalten einer Hera und Artemis, einer Athene und


HnechWe Irauen.
R. schönrer. Antike Bilder von
II.

Sparta ist der erste Staat, der uns aus den Wanderungen der griechischen
Stämme, die auf die Heroenzeit folgten, als ein festgegründeter, wohlgeordneter
und einheitlich abgeschlossener entgegentritt. Der innere Ernst, der strenge
Sinn für Zucht und Ordnung, für Selbstbeherrschung und festgeregelte Sitte,
welcher den dorischen Stamm auszeichnete, hatte hier eine Gesetzgebung mög¬
lich gemacht, die eminent politisch genannt werden muß. Der Staatsgedanke war
über alles Andere emporgehoben worden; der von den Göttern gegründete und
geschützte Staat war das Höchste, dem Alles dienen oder weichen mußte.
Der einzelne Bürger galt nichts für sich allein, sondern nur als Glied des
Ganzen; seine ganze Existenz war dem Dienste des Ganzen geweiht, er durfte
nur leben um des Staates willen.

Deßwegen stand in Sparta mehr als irgendwo anders, in allen dorischen
Staaten mehr als bei andern Stämmen das ganze Leben unter der Aufsicht
des Staates, nicht bloß das öffentliche, sondern auch das Privatleben, die
Sitte, die Familie. Von Kindesbeinen an gehörte der Bürger dem Staate
und wurde von ihm beaufsichtigt; ja man kann sagen, der Staat wandte ihm
schon vor der Geburt seine Aufmerksamkeit zu. Die spartanischen Gesetzgeber
waren sich zu wohl bewußt, welchen Einfluß die Mutter auf körperliche und
geistige Eigenschaften des Kindes habe, um nicht ihre Sorge auch auf diese
auszudehnen, und dies ist der Punkt, an welchen ich zunächst anzuknüpfen
haben werde.

Unter allen Völkern des Alterthums haben die Griechen sich durch Körper¬
schönheit ausgezeichnet. Begünstigt durch ein mildes, gleichmäßiges Klima,
„von erquickender Luft der See und der Berghöhen anf allen Seiten umfangen,
gelangte ihr ganzer Organismus zu einer gedeihlicheren Entfaltung." Die
leicht von statten gehende Entwickelung des Körpers, das freie Leben in Luft
und Sonnenschein, die Nähe der Natur, der sie sich vertraulich Hingaben,
machte ihren Körper gesund und kräftig, die Glieder elastisch, das Auge scharf
und gab ihnen mit der leiblichen Wohlgestalt die geistige Beweglichkeit und die
Offenheit des Charakters. Körperliche Schönheit war bei ihnen nicht eine
seltene und bewunderte Gabe der Natur, sondern der selbstverständliche Besitz
eines Jeden, und ihr Mangel war das Auffällige. Der Beweis dafür ist die
bildende Kunst; denn die Gestalten einer Hera und Artemis, einer Athene und


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[0258] HnechWe Irauen. R. schönrer. Antike Bilder von II. Sparta ist der erste Staat, der uns aus den Wanderungen der griechischen Stämme, die auf die Heroenzeit folgten, als ein festgegründeter, wohlgeordneter und einheitlich abgeschlossener entgegentritt. Der innere Ernst, der strenge Sinn für Zucht und Ordnung, für Selbstbeherrschung und festgeregelte Sitte, welcher den dorischen Stamm auszeichnete, hatte hier eine Gesetzgebung mög¬ lich gemacht, die eminent politisch genannt werden muß. Der Staatsgedanke war über alles Andere emporgehoben worden; der von den Göttern gegründete und geschützte Staat war das Höchste, dem Alles dienen oder weichen mußte. Der einzelne Bürger galt nichts für sich allein, sondern nur als Glied des Ganzen; seine ganze Existenz war dem Dienste des Ganzen geweiht, er durfte nur leben um des Staates willen. Deßwegen stand in Sparta mehr als irgendwo anders, in allen dorischen Staaten mehr als bei andern Stämmen das ganze Leben unter der Aufsicht des Staates, nicht bloß das öffentliche, sondern auch das Privatleben, die Sitte, die Familie. Von Kindesbeinen an gehörte der Bürger dem Staate und wurde von ihm beaufsichtigt; ja man kann sagen, der Staat wandte ihm schon vor der Geburt seine Aufmerksamkeit zu. Die spartanischen Gesetzgeber waren sich zu wohl bewußt, welchen Einfluß die Mutter auf körperliche und geistige Eigenschaften des Kindes habe, um nicht ihre Sorge auch auf diese auszudehnen, und dies ist der Punkt, an welchen ich zunächst anzuknüpfen haben werde. Unter allen Völkern des Alterthums haben die Griechen sich durch Körper¬ schönheit ausgezeichnet. Begünstigt durch ein mildes, gleichmäßiges Klima, „von erquickender Luft der See und der Berghöhen anf allen Seiten umfangen, gelangte ihr ganzer Organismus zu einer gedeihlicheren Entfaltung." Die leicht von statten gehende Entwickelung des Körpers, das freie Leben in Luft und Sonnenschein, die Nähe der Natur, der sie sich vertraulich Hingaben, machte ihren Körper gesund und kräftig, die Glieder elastisch, das Auge scharf und gab ihnen mit der leiblichen Wohlgestalt die geistige Beweglichkeit und die Offenheit des Charakters. Körperliche Schönheit war bei ihnen nicht eine seltene und bewunderte Gabe der Natur, sondern der selbstverständliche Besitz eines Jeden, und ihr Mangel war das Auffällige. Der Beweis dafür ist die bildende Kunst; denn die Gestalten einer Hera und Artemis, einer Athene und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/258>, abgerufen am 26.05.2024.