Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lieben und schützen, die Unterthanen ihrerseits hätten dem Herrscher Ehr¬
furcht und Gehorsam entgegenzubringen. Diesen und ähnlichen Gemeinplätzen
dankt Konfutse die hohe Achtung, die er seit vielen Jcchrhuuderten in China
genossen hat. Seine Lehre hat vor Allem dazu beigetragen, die Macht der
Kaiser zu stützen, die als von der Gottheit selbst eingesetzte Gewalthaber be¬
trachtet werden und allerdings Pflichten gegen das Volk haben, zu deren Er¬
füllung sie gezwungen werden können. Wie solcher Zwang aber auszuüben
sei, hat Konfutse, der nichts weniger als ein Weltweiser mit Bart, Stab und
Mantel, vielmehr in erster Linie ein weltlicher, ehrgeiziger Höfling war, zu
sagen sich weislich gehütet. Dagegen hat sein Schüler Mengtseu den Muth
hierzu allerdings besessen und ganz ungescheut die Lehre vorgetragen, daß un¬
gerechte oder nachlässige Herrscher abgesetzt und selbst mit dem Tode bestraft
werden sollen.

Aus den Schriften des Konfutse sowie aus denen seiner Schüler ging die
gesammte spätere chinesische Literatur wie aus ebenso vielen Samenkörnern
hervor. Sie waren die Klassiker, die Muster. In erster Linie aber ist es
Konfutse selbst, der dem Nationalgeist bis auf die Gegenwart feinen starren,
unveränderlichen Charakter gab. Er dachte nicht daran, feine Schüler zu selb¬
ständiger Geistesthätigkeit und ernster Selbstprüfung anzuhalten, die dem Mann
Festigkeit und Freiheit im Handeln verleiht, vielmehr hielt er sie durch seine
Lehre wie durch sein Beispiel im Banne des traurigsten Formalismus fest, der
alle individuellen Regungen erdrückt. Freilich aber traf er mit seinen Vor¬
schriften das Wesen des chinesischen Volksgeistes und spiegelte dasselbe wieder.
Der Chinese fand in ihnen ausgesprochen und empfohlen, was er selbst von
Natur empfand und erstrebte; das beweist die beispiellose Zähigkeit, mit welcher
die Zeitgenossen und alle späteren Geschlechter an seinem Evangelium festhielten.




Im Verständigung.

Wie wir sehen, hat der zweite unserer Artikel über die Reichskcmzler-
krisis*) in der Presse eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Die
..Germania" hat u. A. die Entdeckung gemacht, daß er auf die Kaiserin Eugenie
gemünzt ist. Andere Blätter waren erstaunt über das Neue, das sie erfahren



*) Vom 19. April in Ur. Is d. Bl.
Grenzboten II. 1877. ^:-5

lieben und schützen, die Unterthanen ihrerseits hätten dem Herrscher Ehr¬
furcht und Gehorsam entgegenzubringen. Diesen und ähnlichen Gemeinplätzen
dankt Konfutse die hohe Achtung, die er seit vielen Jcchrhuuderten in China
genossen hat. Seine Lehre hat vor Allem dazu beigetragen, die Macht der
Kaiser zu stützen, die als von der Gottheit selbst eingesetzte Gewalthaber be¬
trachtet werden und allerdings Pflichten gegen das Volk haben, zu deren Er¬
füllung sie gezwungen werden können. Wie solcher Zwang aber auszuüben
sei, hat Konfutse, der nichts weniger als ein Weltweiser mit Bart, Stab und
Mantel, vielmehr in erster Linie ein weltlicher, ehrgeiziger Höfling war, zu
sagen sich weislich gehütet. Dagegen hat sein Schüler Mengtseu den Muth
hierzu allerdings besessen und ganz ungescheut die Lehre vorgetragen, daß un¬
gerechte oder nachlässige Herrscher abgesetzt und selbst mit dem Tode bestraft
werden sollen.

Aus den Schriften des Konfutse sowie aus denen seiner Schüler ging die
gesammte spätere chinesische Literatur wie aus ebenso vielen Samenkörnern
hervor. Sie waren die Klassiker, die Muster. In erster Linie aber ist es
Konfutse selbst, der dem Nationalgeist bis auf die Gegenwart feinen starren,
unveränderlichen Charakter gab. Er dachte nicht daran, feine Schüler zu selb¬
ständiger Geistesthätigkeit und ernster Selbstprüfung anzuhalten, die dem Mann
Festigkeit und Freiheit im Handeln verleiht, vielmehr hielt er sie durch seine
Lehre wie durch sein Beispiel im Banne des traurigsten Formalismus fest, der
alle individuellen Regungen erdrückt. Freilich aber traf er mit seinen Vor¬
schriften das Wesen des chinesischen Volksgeistes und spiegelte dasselbe wieder.
Der Chinese fand in ihnen ausgesprochen und empfohlen, was er selbst von
Natur empfand und erstrebte; das beweist die beispiellose Zähigkeit, mit welcher
die Zeitgenossen und alle späteren Geschlechter an seinem Evangelium festhielten.




Im Verständigung.

Wie wir sehen, hat der zweite unserer Artikel über die Reichskcmzler-
krisis*) in der Presse eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Die
..Germania" hat u. A. die Entdeckung gemacht, daß er auf die Kaiserin Eugenie
gemünzt ist. Andere Blätter waren erstaunt über das Neue, das sie erfahren



*) Vom 19. April in Ur. Is d. Bl.
Grenzboten II. 1877. ^:-5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137978"/>
          <p xml:id="ID_779" prev="#ID_778"> lieben und schützen, die Unterthanen ihrerseits hätten dem Herrscher Ehr¬<lb/>
furcht und Gehorsam entgegenzubringen. Diesen und ähnlichen Gemeinplätzen<lb/>
dankt Konfutse die hohe Achtung, die er seit vielen Jcchrhuuderten in China<lb/>
genossen hat. Seine Lehre hat vor Allem dazu beigetragen, die Macht der<lb/>
Kaiser zu stützen, die als von der Gottheit selbst eingesetzte Gewalthaber be¬<lb/>
trachtet werden und allerdings Pflichten gegen das Volk haben, zu deren Er¬<lb/>
füllung sie gezwungen werden können. Wie solcher Zwang aber auszuüben<lb/>
sei, hat Konfutse, der nichts weniger als ein Weltweiser mit Bart, Stab und<lb/>
Mantel, vielmehr in erster Linie ein weltlicher, ehrgeiziger Höfling war, zu<lb/>
sagen sich weislich gehütet. Dagegen hat sein Schüler Mengtseu den Muth<lb/>
hierzu allerdings besessen und ganz ungescheut die Lehre vorgetragen, daß un¬<lb/>
gerechte oder nachlässige Herrscher abgesetzt und selbst mit dem Tode bestraft<lb/>
werden sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_780"> Aus den Schriften des Konfutse sowie aus denen seiner Schüler ging die<lb/>
gesammte spätere chinesische Literatur wie aus ebenso vielen Samenkörnern<lb/>
hervor. Sie waren die Klassiker, die Muster. In erster Linie aber ist es<lb/>
Konfutse selbst, der dem Nationalgeist bis auf die Gegenwart feinen starren,<lb/>
unveränderlichen Charakter gab. Er dachte nicht daran, feine Schüler zu selb¬<lb/>
ständiger Geistesthätigkeit und ernster Selbstprüfung anzuhalten, die dem Mann<lb/>
Festigkeit und Freiheit im Handeln verleiht, vielmehr hielt er sie durch seine<lb/>
Lehre wie durch sein Beispiel im Banne des traurigsten Formalismus fest, der<lb/>
alle individuellen Regungen erdrückt. Freilich aber traf er mit seinen Vor¬<lb/>
schriften das Wesen des chinesischen Volksgeistes und spiegelte dasselbe wieder.<lb/>
Der Chinese fand in ihnen ausgesprochen und empfohlen, was er selbst von<lb/>
Natur empfand und erstrebte; das beweist die beispiellose Zähigkeit, mit welcher<lb/>
die Zeitgenossen und alle späteren Geschlechter an seinem Evangelium festhielten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Im Verständigung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_781" next="#ID_782"> Wie wir sehen, hat der zweite unserer Artikel über die Reichskcmzler-<lb/>
krisis*) in der Presse eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Die<lb/>
..Germania" hat u. A. die Entdeckung gemacht, daß er auf die Kaiserin Eugenie<lb/>
gemünzt ist. Andere Blätter waren erstaunt über das Neue, das sie erfahren</p><lb/>
          <note xml:id="FID_119" place="foot"> *) Vom 19. April in Ur. Is d. Bl.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1877. ^:-5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] lieben und schützen, die Unterthanen ihrerseits hätten dem Herrscher Ehr¬ furcht und Gehorsam entgegenzubringen. Diesen und ähnlichen Gemeinplätzen dankt Konfutse die hohe Achtung, die er seit vielen Jcchrhuuderten in China genossen hat. Seine Lehre hat vor Allem dazu beigetragen, die Macht der Kaiser zu stützen, die als von der Gottheit selbst eingesetzte Gewalthaber be¬ trachtet werden und allerdings Pflichten gegen das Volk haben, zu deren Er¬ füllung sie gezwungen werden können. Wie solcher Zwang aber auszuüben sei, hat Konfutse, der nichts weniger als ein Weltweiser mit Bart, Stab und Mantel, vielmehr in erster Linie ein weltlicher, ehrgeiziger Höfling war, zu sagen sich weislich gehütet. Dagegen hat sein Schüler Mengtseu den Muth hierzu allerdings besessen und ganz ungescheut die Lehre vorgetragen, daß un¬ gerechte oder nachlässige Herrscher abgesetzt und selbst mit dem Tode bestraft werden sollen. Aus den Schriften des Konfutse sowie aus denen seiner Schüler ging die gesammte spätere chinesische Literatur wie aus ebenso vielen Samenkörnern hervor. Sie waren die Klassiker, die Muster. In erster Linie aber ist es Konfutse selbst, der dem Nationalgeist bis auf die Gegenwart feinen starren, unveränderlichen Charakter gab. Er dachte nicht daran, feine Schüler zu selb¬ ständiger Geistesthätigkeit und ernster Selbstprüfung anzuhalten, die dem Mann Festigkeit und Freiheit im Handeln verleiht, vielmehr hielt er sie durch seine Lehre wie durch sein Beispiel im Banne des traurigsten Formalismus fest, der alle individuellen Regungen erdrückt. Freilich aber traf er mit seinen Vor¬ schriften das Wesen des chinesischen Volksgeistes und spiegelte dasselbe wieder. Der Chinese fand in ihnen ausgesprochen und empfohlen, was er selbst von Natur empfand und erstrebte; das beweist die beispiellose Zähigkeit, mit welcher die Zeitgenossen und alle späteren Geschlechter an seinem Evangelium festhielten. Im Verständigung. Wie wir sehen, hat der zweite unserer Artikel über die Reichskcmzler- krisis*) in der Presse eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Die ..Germania" hat u. A. die Entdeckung gemacht, daß er auf die Kaiserin Eugenie gemünzt ist. Andere Blätter waren erstaunt über das Neue, das sie erfahren *) Vom 19. April in Ur. Is d. Bl. Grenzboten II. 1877. ^:-5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/277>, abgerufen am 18.05.2024.