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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Charakteristik der hervorragenden Führer der deutschen Sozialdemokraten, nament¬
lich das über Lassalle, Marx, Schweitzer und Bernhard Becker Gesagte. Eine
erschöpfende und kritische Geschichte des deutschen Sozialismus zu geben oder
sein Entstehen und Wachsen im organischen Zusammenhange mit der ganzen
europäischen Arbeiterbewegung zu schildern, wäre unmöglich gewesen und ist
vom Verfasser auch nicht beabsichtigt. Er gibt nur den äußeren Verlauf der
sozialistischen Parteiagitation in seinen charakteristischen Gestalten und Phasen,
"jene schwindelnde Jagd nach dem Glücke, die am 23. Mai 1863 zu Leipzig
mit der bescheidenen Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts begann und
am 26. Mai 1875 zu Gotha mit der Proklamirung des blanken und baaren
Kommunismus theoretisch ihren vorläufigen Abschluß gesunden hat." Was er
aber gibt, ist das wohlgeordnete Ergebniß genauer Bekanntschaft mit der
Sache und eines nüchternen, von Uebertreibung wie von Unterschätzung gleich
weit entfernten Urtheils. Wir behalten uns vor, aus einige Hauptstellen der
Schrift, die sich auch durch schöne, klare Sprache empfiehlt und damit allen
Bildungsreisen zugänglich ist, in Verbindung mit Auszügen aus der soeben
bei Franz Duncker erjchieneueu geistreichen Charakteristik Lassalles (Ferdinand
Lassalle, ein literarisches Charakterbild von Georg Brandes)
M. B. demnächst zurückzukommen.


Theodor Lindner, Zur Geschichte des deutschen Reichs unter
König Wentzel.

Von dem Werke Theodor Lindners, welches eine Geschichte des deutschen
Reiches vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts bis zur Reformation in einer
die Gebildeten der Nation ansprechenden und zugleich der strengen Forschung
Genüge leistenden Darstellung enthalten soll, ist vor zwei Jahren in diesen
Blättern der erste Band besprochen worden. Jetzt ist demselben ein zweiter
gefolgt, der mit einigen Worten eingeführt worden soll. Der Verfasser versetzt
uns gleich im Anfang wieder mitten in die äußerst gespannten Verhältnisse
des südlichen Deutschlands. Eine treulose Gewaltthat, die Gefangennahme
des Erzbischofs von Salzburg durch einen bairischen Herzog, führt den Aus¬
bruch des großen Städtekrieges von 1388 herbei, der sich bald über Schwaben,
Franken und Baiern verbreitet. Des Verfassers genaue, obwohl das rein lokale
Detail vermeidende Darstellung läßt den widerwärtigen Charakter der damaligen
Kriegführung anschaulich erkennen; es kam ihr auf militärische Erfolge viel weniger
an, als auf Schädigung des Gegners, besonders durch Niederbrennung von
Ortschaften; die Vereinigung aller verbündeten Streitkräfte ward auf keiner
Seite versucht, jeder unternahm für sich das Zunüchstliegende. Eine Schlacht
wie die Döffinger war unter solchen Umständen nur das Werk eines zufälligen


Charakteristik der hervorragenden Führer der deutschen Sozialdemokraten, nament¬
lich das über Lassalle, Marx, Schweitzer und Bernhard Becker Gesagte. Eine
erschöpfende und kritische Geschichte des deutschen Sozialismus zu geben oder
sein Entstehen und Wachsen im organischen Zusammenhange mit der ganzen
europäischen Arbeiterbewegung zu schildern, wäre unmöglich gewesen und ist
vom Verfasser auch nicht beabsichtigt. Er gibt nur den äußeren Verlauf der
sozialistischen Parteiagitation in seinen charakteristischen Gestalten und Phasen,
„jene schwindelnde Jagd nach dem Glücke, die am 23. Mai 1863 zu Leipzig
mit der bescheidenen Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts begann und
am 26. Mai 1875 zu Gotha mit der Proklamirung des blanken und baaren
Kommunismus theoretisch ihren vorläufigen Abschluß gesunden hat." Was er
aber gibt, ist das wohlgeordnete Ergebniß genauer Bekanntschaft mit der
Sache und eines nüchternen, von Uebertreibung wie von Unterschätzung gleich
weit entfernten Urtheils. Wir behalten uns vor, aus einige Hauptstellen der
Schrift, die sich auch durch schöne, klare Sprache empfiehlt und damit allen
Bildungsreisen zugänglich ist, in Verbindung mit Auszügen aus der soeben
bei Franz Duncker erjchieneueu geistreichen Charakteristik Lassalles (Ferdinand
Lassalle, ein literarisches Charakterbild von Georg Brandes)
M. B. demnächst zurückzukommen.


Theodor Lindner, Zur Geschichte des deutschen Reichs unter
König Wentzel.

Von dem Werke Theodor Lindners, welches eine Geschichte des deutschen
Reiches vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts bis zur Reformation in einer
die Gebildeten der Nation ansprechenden und zugleich der strengen Forschung
Genüge leistenden Darstellung enthalten soll, ist vor zwei Jahren in diesen
Blättern der erste Band besprochen worden. Jetzt ist demselben ein zweiter
gefolgt, der mit einigen Worten eingeführt worden soll. Der Verfasser versetzt
uns gleich im Anfang wieder mitten in die äußerst gespannten Verhältnisse
des südlichen Deutschlands. Eine treulose Gewaltthat, die Gefangennahme
des Erzbischofs von Salzburg durch einen bairischen Herzog, führt den Aus¬
bruch des großen Städtekrieges von 1388 herbei, der sich bald über Schwaben,
Franken und Baiern verbreitet. Des Verfassers genaue, obwohl das rein lokale
Detail vermeidende Darstellung läßt den widerwärtigen Charakter der damaligen
Kriegführung anschaulich erkennen; es kam ihr auf militärische Erfolge viel weniger
an, als auf Schädigung des Gegners, besonders durch Niederbrennung von
Ortschaften; die Vereinigung aller verbündeten Streitkräfte ward auf keiner
Seite versucht, jeder unternahm für sich das Zunüchstliegende. Eine Schlacht
wie die Döffinger war unter solchen Umständen nur das Werk eines zufälligen


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[0041] Charakteristik der hervorragenden Führer der deutschen Sozialdemokraten, nament¬ lich das über Lassalle, Marx, Schweitzer und Bernhard Becker Gesagte. Eine erschöpfende und kritische Geschichte des deutschen Sozialismus zu geben oder sein Entstehen und Wachsen im organischen Zusammenhange mit der ganzen europäischen Arbeiterbewegung zu schildern, wäre unmöglich gewesen und ist vom Verfasser auch nicht beabsichtigt. Er gibt nur den äußeren Verlauf der sozialistischen Parteiagitation in seinen charakteristischen Gestalten und Phasen, „jene schwindelnde Jagd nach dem Glücke, die am 23. Mai 1863 zu Leipzig mit der bescheidenen Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts begann und am 26. Mai 1875 zu Gotha mit der Proklamirung des blanken und baaren Kommunismus theoretisch ihren vorläufigen Abschluß gesunden hat." Was er aber gibt, ist das wohlgeordnete Ergebniß genauer Bekanntschaft mit der Sache und eines nüchternen, von Uebertreibung wie von Unterschätzung gleich weit entfernten Urtheils. Wir behalten uns vor, aus einige Hauptstellen der Schrift, die sich auch durch schöne, klare Sprache empfiehlt und damit allen Bildungsreisen zugänglich ist, in Verbindung mit Auszügen aus der soeben bei Franz Duncker erjchieneueu geistreichen Charakteristik Lassalles (Ferdinand Lassalle, ein literarisches Charakterbild von Georg Brandes) M. B. demnächst zurückzukommen. Theodor Lindner, Zur Geschichte des deutschen Reichs unter König Wentzel. Von dem Werke Theodor Lindners, welches eine Geschichte des deutschen Reiches vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts bis zur Reformation in einer die Gebildeten der Nation ansprechenden und zugleich der strengen Forschung Genüge leistenden Darstellung enthalten soll, ist vor zwei Jahren in diesen Blättern der erste Band besprochen worden. Jetzt ist demselben ein zweiter gefolgt, der mit einigen Worten eingeführt worden soll. Der Verfasser versetzt uns gleich im Anfang wieder mitten in die äußerst gespannten Verhältnisse des südlichen Deutschlands. Eine treulose Gewaltthat, die Gefangennahme des Erzbischofs von Salzburg durch einen bairischen Herzog, führt den Aus¬ bruch des großen Städtekrieges von 1388 herbei, der sich bald über Schwaben, Franken und Baiern verbreitet. Des Verfassers genaue, obwohl das rein lokale Detail vermeidende Darstellung läßt den widerwärtigen Charakter der damaligen Kriegführung anschaulich erkennen; es kam ihr auf militärische Erfolge viel weniger an, als auf Schädigung des Gegners, besonders durch Niederbrennung von Ortschaften; die Vereinigung aller verbündeten Streitkräfte ward auf keiner Seite versucht, jeder unternahm für sich das Zunüchstliegende. Eine Schlacht wie die Döffinger war unter solchen Umständen nur das Werk eines zufälligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/41>, abgerufen am 18.05.2024.