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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Kulturhistorische Wilder aus den Weinrarischen Landtagen
1700 vis 1747.

Die Gerechtsame der weimarischen Landtage-- vor Eintritt der ständischen
Verfassung Karl Augusts im Jahre 1816 -- entwickeln sich naturgemäß ans
den Verhältnissen der alten ernestinischen Landtage. Wie im alten Kurfürsten-
ihume, haben wir vor 1816 auch eine landstündische Vertretung, die sich aus
dem Stande der Prälaten, der Ritterschaft und Städte zusammensetzt. Es ist
höchst interessant, sie zur Zeit der hussitischen Bewegung auf dem Gipfel ihrer
Macht wirken zu sehen und dann Schritt für Schritt verfolgen zu können, wie
sie allmählich ihrer Macht entkleidet und in die Bahnen geleitet wird,
auf denen wir sie als Spielball der kleinen souveraine antreffen. Das trat
ganz unvermerkt und allmählich ein. Je mehr der Staat an Machtfülle ein¬
büßte, desto tiefer sank die Macht der Stände; ganz besonders verhängnißvoll
waren für sie die minutiösen Landestheilungen in den ernestinischen Häusern,
welche für diese das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert so überaus merk¬
würdig macht. --

Im Jahre 1708 war man rezeßmäßig übereingekommen, daß in Weimar
"lie fünf Jahre ein ordentlicher Landtag, alljährlich aber ein Ausschußtag be¬
rufen werden sollte. Ersterer bestand ans einigen sechzig Mitgliedern, letzterer
fünf bis siebzehn Prälaten, Rittern und städtischen Vertretern, die der
Landesherr auswählte und zu den Sitzungen in beliebiger Zahl berief. Dessen
ungeachtet hat Weimar eiuen ordentlichen Landtag von 1708 bis 1747, also
w den zwei Regierungsperioden vou Wilhelm Ernst und Ernst Angust nie gesehen.
Man behalf sich mit den Ausschußtagen; sie waren ja kurz, trotz der zu be¬
willigenden Steuern und der massenhaft zu berathenden Schäden auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens. Da die Fincmzperivden einjährig zu sein
pflegten, berief der Herzog den Ausschuß bei dringliche" Angelegenheiten oft
un Jahre zwei bis drei Mal und namentlich dann, wenn das Geld auszugehen
un Begriff stand. Regelmüßig war dies um Jakobi der Fall, und etwa ein


Grenzboten II. 1877. 11
Kulturhistorische Wilder aus den Weinrarischen Landtagen
1700 vis 1747.

Die Gerechtsame der weimarischen Landtage— vor Eintritt der ständischen
Verfassung Karl Augusts im Jahre 1816 — entwickeln sich naturgemäß ans
den Verhältnissen der alten ernestinischen Landtage. Wie im alten Kurfürsten-
ihume, haben wir vor 1816 auch eine landstündische Vertretung, die sich aus
dem Stande der Prälaten, der Ritterschaft und Städte zusammensetzt. Es ist
höchst interessant, sie zur Zeit der hussitischen Bewegung auf dem Gipfel ihrer
Macht wirken zu sehen und dann Schritt für Schritt verfolgen zu können, wie
sie allmählich ihrer Macht entkleidet und in die Bahnen geleitet wird,
auf denen wir sie als Spielball der kleinen souveraine antreffen. Das trat
ganz unvermerkt und allmählich ein. Je mehr der Staat an Machtfülle ein¬
büßte, desto tiefer sank die Macht der Stände; ganz besonders verhängnißvoll
waren für sie die minutiösen Landestheilungen in den ernestinischen Häusern,
welche für diese das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert so überaus merk¬
würdig macht. —

Im Jahre 1708 war man rezeßmäßig übereingekommen, daß in Weimar
"lie fünf Jahre ein ordentlicher Landtag, alljährlich aber ein Ausschußtag be¬
rufen werden sollte. Ersterer bestand ans einigen sechzig Mitgliedern, letzterer
fünf bis siebzehn Prälaten, Rittern und städtischen Vertretern, die der
Landesherr auswählte und zu den Sitzungen in beliebiger Zahl berief. Dessen
ungeachtet hat Weimar eiuen ordentlichen Landtag von 1708 bis 1747, also
w den zwei Regierungsperioden vou Wilhelm Ernst und Ernst Angust nie gesehen.
Man behalf sich mit den Ausschußtagen; sie waren ja kurz, trotz der zu be¬
willigenden Steuern und der massenhaft zu berathenden Schäden auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens. Da die Fincmzperivden einjährig zu sein
pflegten, berief der Herzog den Ausschuß bei dringliche« Angelegenheiten oft
un Jahre zwei bis drei Mal und namentlich dann, wenn das Geld auszugehen
un Begriff stand. Regelmüßig war dies um Jakobi der Fall, und etwa ein


Grenzboten II. 1877. 11
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[0085] Kulturhistorische Wilder aus den Weinrarischen Landtagen 1700 vis 1747. Die Gerechtsame der weimarischen Landtage— vor Eintritt der ständischen Verfassung Karl Augusts im Jahre 1816 — entwickeln sich naturgemäß ans den Verhältnissen der alten ernestinischen Landtage. Wie im alten Kurfürsten- ihume, haben wir vor 1816 auch eine landstündische Vertretung, die sich aus dem Stande der Prälaten, der Ritterschaft und Städte zusammensetzt. Es ist höchst interessant, sie zur Zeit der hussitischen Bewegung auf dem Gipfel ihrer Macht wirken zu sehen und dann Schritt für Schritt verfolgen zu können, wie sie allmählich ihrer Macht entkleidet und in die Bahnen geleitet wird, auf denen wir sie als Spielball der kleinen souveraine antreffen. Das trat ganz unvermerkt und allmählich ein. Je mehr der Staat an Machtfülle ein¬ büßte, desto tiefer sank die Macht der Stände; ganz besonders verhängnißvoll waren für sie die minutiösen Landestheilungen in den ernestinischen Häusern, welche für diese das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert so überaus merk¬ würdig macht. — Im Jahre 1708 war man rezeßmäßig übereingekommen, daß in Weimar "lie fünf Jahre ein ordentlicher Landtag, alljährlich aber ein Ausschußtag be¬ rufen werden sollte. Ersterer bestand ans einigen sechzig Mitgliedern, letzterer fünf bis siebzehn Prälaten, Rittern und städtischen Vertretern, die der Landesherr auswählte und zu den Sitzungen in beliebiger Zahl berief. Dessen ungeachtet hat Weimar eiuen ordentlichen Landtag von 1708 bis 1747, also w den zwei Regierungsperioden vou Wilhelm Ernst und Ernst Angust nie gesehen. Man behalf sich mit den Ausschußtagen; sie waren ja kurz, trotz der zu be¬ willigenden Steuern und der massenhaft zu berathenden Schäden auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Da die Fincmzperivden einjährig zu sein pflegten, berief der Herzog den Ausschuß bei dringliche« Angelegenheiten oft un Jahre zwei bis drei Mal und namentlich dann, wenn das Geld auszugehen un Begriff stand. Regelmüßig war dies um Jakobi der Fall, und etwa ein Grenzboten II. 1877. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/85>, abgerufen am 26.05.2024.